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Das künftige Bild der Europäischen Union (EU) wird maßgeblich davon geprägt, wie sich die zentralen Wesensmerkmale einer europäischen Ordnung verändern. Das sind in erster Linie
- die Handlungsfähigkeit, Effizienz und Akzeptanz des politischen Systems der EU;
- die Zahl der Mitgliedstaaten und damit die geographische Reichweite der europäischen Integration
- sowie die Fähigkeit der EU, als weltpolitischer Akteur auf Entwicklungen internationaler Politik maßgeblich einwirken zu können.
Diese zentralen Bestimmungsmerkmale einer künftigen Entwicklung sind auf das Engste miteinander verflochten und können bei der Erarbeitung von EU-Zukunftsszenarien nicht unabhängig voneinander gedacht werden. So beeinflusst beispielsweise der Erfolg bzw. der Misserfolg einer EU-Vertragsreform die Erweiterungsfähigkeit der Union. Die Zahl der Mitgliedstaaten wiederum wirkt sich auf den Konsensfindungsprozess und damit auch auf die Fähigkeit der EU aus, den Herausforderungen politisch und institutionell gerecht zu werden. Gleichzeitig operiert die EU jedoch nicht im Vakuum. Interne und externe Entwicklungsfaktoren wirken direkt oder indirekt auf den weiteren Verlauf des Integrationsprozesses. Zu den internen Einflussgrößen gehören politische (u.a. Vertrauenskrisen, politischer Radikalismus, Regierungskonstellationen), gesellschaftliche (u.a. demographischer Wandel, Bildungskrise, Wertewandel), wirtschaftliche (u.a. Arbeitslosigkeit, Konjunkturverlauf, Vertrauen in die Märkte) sowie wirtschafts- und sozialpolitische Entwicklungen (u.a. Reform der sozialen Sicherungssysteme, Haushaltskonsolidierung) innerhalb der EU und ihrer Mitgliedstaaten. Zu den externen Faktoren gehören die politischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Entwicklungen insbesondere in der direkten Nachbarschaft einer erweiterten EU sowie bei den gegenwärtigen und künftigen Global Players (USA, Russland, China, Japan), die Veränderung sicherheitspolitischer Herausforderungen (u.a. internationaler Terrorismus), die globalen Auswirkungen regionaler Krisen (Naher Osten, Indien–Pakistan, Südostasien), die strukturellen Veränderungen des Weltordnungssystems, die zunehmende Verflechtung der globalen Finanzmärkte sowie nachhaltige Veränderungen der Weltwirtschaftsordnung. Zwischen den internen und externen Einflussfaktoren sowie der künftigen Verfasstheit der Europäischen Union besteht eine intensive Wechselwirkung. Beide dürfen daher nicht strikt voneinander abgegrenzt werden. Interne und externe Entwicklungen beeinflussen die künftige Entwicklung des Integrationsprozesses und werden im Gegenzug vom Wirken der EU beeinflusst.
www.cap.uni-muenchen.de/download/2003/ ...
Szenario 1: Titanic
Szenario 2: Geschlossenes Kerneuropa
Szenario 3: Methode Monnet
Szenario 4: Offener Gravitationsraum
Szenario 5: Supermacht Europa
Fünf Zukunftsszenarien zur zukünftigen europäischen Integrationsentwicklung
Die Betrachtung dieser Szenarien lädt zu einer Antwort auf die Frage „Welches Europa wollen Sie?" ein:
Szenario 1: Ende der Integration
In diesem Szenario ist die weitere Integration gefährdet bzw. in Auflösung begriffen. Aufgrund unüberbrückbarer Interessens- und Leistungsunterschiede zwischen den Mitgliedstaaten gelingen keine weiteren Reformschritte, verliert Solidarität der Mitgliedstaaten untereinander an Bedeutung, und die EU gerät in eine anhaltende Krise. Dies führt schließlich zur Rückverlagerung von bereits vergemeinschafteten Politikbereichen auf die nationale Ebene, zur Auflösung der Währungsunion bis hin zur Schwächung der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit Europas gegenüber Nordamerika und Asien. Die EU verliert sowohl nach innen als auch nach außen an Attraktivität und der Zerfall der Union ist die abschließende Folge.
Szenario 2: Geschlossenes Kerneuropa
Im Geschlossenen Kerneuropa werden die Vorteile des Binnenmarkts, die gemeinsame Währung und der grenzenlose Reiseverkehr weiterhin geschätzt. Allerdings werden keine weiteren Integrationsschritte (z. B. eine Verteidigungsunion) mehr in Angriff genommen. Auch die Idee einer großen, föderativen politischen Union wird nicht weiter verfolgt.
Szenario 3: Weitere Integration in kleinen Schritten
Dieses Szenario kommt dem Muster der vergangenen Jahrzehnte am nächsten: Da die 27 Mitgliedstaaten generell einer weiteren Vertiefung der Gemeinschaft nicht abgeneigt sind, sich allerdings aufgrund ihrer Interessensunterschiede und aufgrund von Verteilungskonflikten immer nur auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigen können, gelingen keine tief greifenden Reformschritte, sondern immer nur Reformansätze.
Szenario 4: Europa der unterschiedlichen Geschwindigkeiten
Die europäische Integration verläuft nicht gleichzeitig, sondern in unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Ähnlich wie in der Vergangenheit beim Wegfall der Grenzkontrollen (Schengener Abkommen) – 1985 von fünf, inzwischen von 13 Mitgliedstaaten unterzeichnet – oder bei der Einführung des Euro als Gemeinschaftswährung (derzeit Zahlungsmittel in 15 der 27 Mitgliedstaaten) vollziehen die integrationswilligen Mitgliedstaaten weitere Vertiefungsschritte im vertraglich abgesicherten Rahmen der Europäischen Union.
Szenario 5: Supermacht Europa
Die Handlungsfähigkeit der EU verbessert sich durch stetige Reformerfolge und die Europäische Union nutzt ihr wirtschaftliches, politisches und militärisches Potenzial in vollem Umfang. Die Akzeptanz der EU bei den Bürgern wächst kontinuierlich, weil das System der EU zunehmend transparenter wird und die EU in der Lage ist, sowohl den internen als auch den internationalen Herausforderungen erfolgreich zu begegnen.
Na, welches Europa wollen Sie?
…
Arbeitsauftrag: Betrachten Sie die fünf dargestellten Zukunftsszenarien für die Vertiefung der Union. Welches Szenario schätzen Sie als realistisch, welches als wünschenswert ein? Diskutieren Sie in der Gruppe darüber.
Quelle: Weidenfeld, Werner: Europa leicht gemacht. Antworten für junge Europäer. Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 2007.
Auch in: Thilo Harth/Wichard Woyke: Die Europäische Union konkret. Nachgefragt in zwölf Kapiteln, Opladen/Farmington Hills 2008, S. 55–60.
Szenariowerkstatt
- Ziel: Entwicklung von möglichen Zukünften und daraus resultierenden Handlungsoptionen
- Methodentyp: Verschiedenes
- Thema: Europäische Dimension
Quelle für Methodenanleitung: Szenariowerkstatt