Vorwort der Autoren
Europa - noch eine Aufgabe für Schulen?!
Mit dem Thema „Europa“ kann es uns gehen wie Augustinus bei der Frage nach dem Geheimnis der Zeit: „Solange mich niemand danach fragt, ist mir's, als wüsste ich's; doch fragt man mich und soll ich es erklären, so weiß ich's nicht.“ (Confessiones, 238)
Das Thema Europa entzieht sich eindeutigen Antworten und jeglicher „Identität“. Seine Aneignung erzwingt vielmehr konsequent mehrperspektivische Betrachtung und Interpretation und kann immer wieder irritieren. Die These dieser Handreichung ist, dass gerade diese Eigenschaft Europa zu einem anspruchsvollen „Gegenstand“ schulischer Bildungsarbeit machen kann. Es lohnt, dieses sperrige Thema in das Zentrum von Schul- und Unterrichtsentwicklung zu stellen. Es geht nicht um eine europazentrierte Bildung (Eurozentrismus), sondern um eine europazentrische Perspektive (Wolfgang Mickel).
Drei didaktische Grundeinsichten durchziehen die folgenden Materialien:
1. Das Thema Europa ist ambivalent und kontrovers. Europa- und EU-Skepsis und Kritik muß in der offenen Bildungsarbeit breiten Raum haben. Missionierung ist kontraproduktiv! Das Thema Europa ist eingestellt in die Spannung von Weltoffenheit und Begrenzung, von Internationalität und Regionalität. Europa geht nicht in EU auf. Unsere spezifische Europa-Didaktik ist geprägt durch das Leitmodell vom kosmopolitischen Europa (Ulrich Beck/Edgar Grande) im Rahmen einer Global Citizenship Education (UNESCO). Dafür gibt es in der Stadt Hamburg eine lange Tradition. Die Aufgabe der Europa-Bildung ist ein Teilgebiet der Interkulturellen Bildung und des Globalen Lernens. Wir verwenden einen weiten und offenen Kulturbegriff.
Die Schule als Bildungsort der Gesellschaft überprüft daher laufend, inwieweit sie eine Lern- und Schulkultur entwickelt, in der sich alle Schülerinnen und Schüler willkommen und akzeptiert fühlen können.
(Bildungspläne Hamburg, Aufgabengebiete, 2011)
2. Europa ist eine Idee und Bewegung, die sich in ganz erstaunlichem Masse im Medium Internet darstellt und ereignet. Die überwiegende Anzahl von Projekten und Initiativen lässt sich daher im Internet verfolgen. Dies ersetzt aber nicht intensive persönliche Begegnungen vor Ort als Zentrum der Europa-Bildung.
Was wir in dieser Handreichung unbedingt vermeiden wollen, ist eine schulpolitische Hochglanzsprache. So heißt es zum Beispiel in der Darstellung eines deutschen Schulministeriums: „Aus der evaluierten Erfahrung der Europaschulen hat sich das Bild eines idealen Schultypus herauskristallisiert, in dem sich junge Menschen zu europäischen Bürgern entwickeln können.“
3. Europa ist in Hamburg zu entdecken! Europa braucht gute Orte im lokalen Kontext, Ankerfächer und Andockstellen für die europäische Kultur und Erinnerung. Deshalb haben wir Bilder solcher Orte immer wieder in diesen Wiki eingestreut. Sonst verliert man sich leicht in den Texten der Hochglanzbroschüren zu Europa. Noch einmal: Europa ist eine kulturpädagogische Aufgabe - Kultur macht Europa:
www.kultur-macht-europa.eu/
Deshalb haben wir auch versucht, den sog. „europaeuphorischen Komparativ“ weitgehend zu vermeiden. Imperativische Formulierungen wie „Europa wird in der komplexen Welt noch wichtiger ...“, „die EU bemüht sich in ihrer Bildungsoffensive noch intensiver ...“ u.ä. helfen in der nachhaltigen Bildungsarbeit kaum weiter.
Die folgenden Seiten möchten Anregungen für Schul- und Unterrichtsentwicklung geben (-> Vgl. in diesem Kapitel: Schulzeitpartitur). Dabei kann eine Handreichung gerade zu diesem Thema keinerlei Vollständigkeit anstreben. Wir bevorzugen ein „Best-of“ von Ansätzen und Projekten, von denen wir gehört haben/überzeugt sind, dass sie in der Hamburger Schullandschaft einen guten Platz haben sollten. Auf weitere Materialien wird dann knapp verwiesen.
Wir haben uns bemüht, in allen Fällen die Quellen sorgfältig zu prüfen. Wenn uns im Einzelfall etwas entgangen sein sollte, bitten wir freundlich um Benachrichtigung.
Eine erste Auflage dieser Handreichung entstand auf Initiative der Europa-Union Hamburg und der Senatskanzlei Hamburg und ging Ende 2009 online. Ende 2011 erfolgte ein vollständiges Update aller Informationen und Quellen, das hier in einer leicht gekürzten Druckversion vorgelegt wird (Bearbeitungsstand Februar 2012). Die online-Version der Handreichung wird nach wie vor regelmäßig aktualisiert werden, wie es der Lebhaftigkeit des Themas entspricht. Für entsprechende Hinweise sind wir dankbar.
Tilman Grammes, Otto Klink und Julia Sammoray
Hamburg, Dezember 2015