2018-2021: Textverständlichkeit sprachlich variierter physikbezogener Sachtexte
Sachtexte sind wichtige Unterrichtsmedien und beeinflussen das Unterrichtsgeschehen und Lernen in Physik und anderen Fächern. Lernende und Lehrkräfte empfinden Sachtexte in Schulbüchern oftmals als sprachlich komplex, unverständlich und unbrauchbar. Entsprechende Schulbuchanalysen belegen eine Stagnation des sprachlichen Anforderungsniveaus von physikbezogenen Sachtexten über Jahrgänge hinweg, obwohl eine Anpassung des sprachlichen Anforderungsniveaus an die sprachlichen Voraussetzungen der Lernenden förderlich für das Textverständnis sein könnte. Diese Aussage wird gestützt durch moderate bis hohe Korrelationen zwischen der Lesekompetenz und den fachlichen Leistungen in den Naturwissenschaften und in Mathematik in Schulleistungsstudien. Es liegen jedoch keine eindeutigen empirischen Belege für die Wirkung von einzelnen Merkmalen des sprachlichen Anforderungsniveaus auf das Textverständnis von physikbezogenen Sachtexten vor. Es könnte z.B. sein, dass das Verstehen eines physikbezogenen Sachtextes durch dessen sprachliche Oberflächenmerkmale behindert wird.
Diese experimentelle Studie ist Teil eines größeren Forschungsanliegen der Arbeitsgruppe Fach und Sprach (AG FuS) zu untersuchen, ob und wie sprachliche Anforderungen das Textverständnis von Sachtexten (in dieser Studei) und die Lösungshäufigkeit von Items (im Projekt VAMPS) beeinflussen.
In dieser Studie wird untersucht, ob das sprachliche Anforderungsniveau von physikbezogenen Sachtexten das Textverständnis und die empfundene Verständlichkeit beeinflusst. In der Hauptstudie lesen N = 812 Lernenden der Mittelstufe drei Sachtexte zur Wärmelehre und beantworteten 27 Textverständnisitems. Zudem wird die empfundene Verständlichkeit über eine Likert-Skala in Schulnoten erfasst. Das sprachliche Anforderungsniveau der Sachtexte wird systematisch nach einem Modell über eine Vielzahl von linguistischen Oberflächenmerkmale variiert (Heine et al. 2018). Weitere Textverständlichkeitsmerkmale und der fachliche Inhalt werden konstant gehalten. In drei Vorstudien wird das dafür nötige Instrument erprobt und entwickelt.
Die Ergebnisse der IRT-Analyse der Hauptstudie zeigen keine konsistente Wirkung des sprachlichen Anforderungsniveaus auf die Itemschwierigkeit und damit auf das Textverständnis der Lernenden. Darüber hinaus zeigen differenzielle Analysen leistungsrelevanter Subgruppen keine konsistente Wirkung des sprachlichen Anforderungsniveaus. Weiter zeigt sich, dass das höchste sprachliche Anforderungsniveau zu einer geringeren empfundenen Textverständlichkeit führt, obwohl das Textverständnis der Lernenden nicht beeinträchtigt wird. Kurz gesagt: Sprachliche Anforderung wird als Herausforderung wahrgenommen, aber beeinflusst das Textverständnis nicht.
Die Studie liefert somit einen weiteren Beitrag dafür, dass der Einfluss des sprachlichen Anforderungsniveau auf das Textverständnis allenfalls gering ist und in der aktuellen Diskussion möglicherweise überschätzt wird. Sie wird in Kooperation mit dem Arbeitsbereich "Sprachbildung und Mehrsprachigkeit" von Prof. Lena Heine (RUB Bochum) durchgeführt.
Weiterführende Literatur
Hackemann, T. (2023). Textverständlichkeit sprachlich variierter physikbezogener Sachtexte. Logos-Verlag, Diss., doi: 10.30819/5675.
Hackemann, T., Heine, L., & Höttecke, D. (2022). Challenging to Read, Easy to Comprehend? Effects of Linguistic Demands on Secondary Students' Text Comprehension in Physics. International Journal of Science and Mathematics Education. https://doi.org/10.1007/s10763-022-10306-1
Hackemann, T., Heine, L. & Höttecke, D. (2021). Effects of linguistic complexity on students’ text comprehension – an experimental study. Paper presented at the ESERA conference as part of the symposium The role of language in learning science in four countries: Different languages, same conclusions? 30th-3rd September 2021 virtual.
Hackemann, T., Heine, L. & Höttecke, D. (2021). Wirkung des sprachlichen Anforderungsniveaus von Sachtexten auf Textverstehen und -wahrnehmung. In: S. Habig & H. van Vorst (Hrsg.), Unsicherheit als Element von naturwissenschaftsbezogenen Bildungsprozessen. Gesellschaft für Didaktik der Chemie und Physik, Virtuelle Jahrestagung 2021. (S. 480-483). Friedrich-Alexander-Universität.
Hackemann, T., Heine, L., & Höttecke, D. (2020). Textverständlichkeit sprachlich variierter physikbezogener Sachtexte. In S. Habig (Hrsg.), Naturwissenschaftliche Kompetenzen in der Gesellschaft für morgen (S. 306-309). GDCP, Jahrestagung in Wien 2019.
Heine, L., Domenech, M., Otto, L., Neumann, A., Krelle, M., Leiß, D., Höttecke, D., Ehmke, T. & Schwippert, K. (2018). Modellierung sprachlicher Anforderungen in Testaufgaben verschiedener Unterrichtsfächer: Theoretische und empirische Grundlagen [Modeling language requiremet levels of test items in different subjects: Theoretical and empirical foundation]. Zeitschrift für angewandte Linguistik, 69, 69-96.