SpUR
Sprachlicher Umgang mit Raumvorstellung in Grundschule, Kita und der Familie
Projektleiter
Vertr.-Prof. Dr. Marcus Schütte
Einrichtung
Universität Hamburg
Laufzeit
01.01.2012-31.12.2013
Fördervolumen
37.000 € (Universität Hamburg)
Wissenschaftliche Fragestellung und Stand der Forschung
Die Entwicklung von Raumvorstellungen ist in der uns umgebenden räumlichen Welt von großer Bedeutung. So finden nicht nur nahezu jegliche Handlungen von Individuen in der räumlichen Welt statt, sondern auch kognitive Fähigkeiten, wie Intelligenz oder mathemati- sche Fähigkeiten, werden mittlerweile im Zusammenhang mit dem räumlichen Vorstellungs- vermögen gesehen. Wichtig ist dabei, dass breit angelegte frühe Kompetenzen im räumli- chen Vorstellungsvermögen nicht nur positive Effekte auf das spätere räumliche Denken haben, sondern auch auf mathematische Leistungen in anderen Teilgebieten (vgl. Lüthje 2010, S. 17; Stern, Felbrich und Schneider 2006). Außerdem bestimmen räumliche Vorstel- lungen unser Denken und die Sprache. So werden in einer Vielzahl von Metaphern ‚räumli- che’ Begriffe im Alltag verwendet, z.B. ‚Hochstimmung‘, ‚obenauf sein‘, ‚etwas nimmt viel Raum ein‘. Ziel ist es dabei, mit konkreten Konzepten oder Begriffen aus dem Gebiet der Raumvorstellung abstrakte Sachverhalte oder Gefühle treffend zu beschreiben.
„Diese Funktion von Metaphern – die Strukturierung des Denkens – hat auch für das ma- thematische Denken Bedeutung. So werden weniger anschauliche mathematische Ge- genstände – Anzahlen, Beziehungen zwischen Mengen, zeitliche Beziehungen – mithilfe räumlicher Metaphern beschrieben, z.B. in Ausdrücken wie ‚eine große Anzahl‘, ‚Zahlen über 1000‘ oder den Präpositionen ‚vor‘ und ‚nach‘, die aus den räumlichen Bereich stammen, aber auch zeitliche Beziehungen bezeichnen.“ (Fthenakis u.a. 2009, Hervorhe- bungen im Original, S. 77; vgl. auch Lakoff und Johnson 1980).
Räumliche Fähigkeiten sind somit zwar unabdingbar für die Entwicklung von Kindern, trotz- dem finden raumgeometrische Inhalte noch wenig Beachtung in der Schule. Durch eine feh- lende Systematik und die Unterschätzung ihrer Bedeutung werden sie von Lehrpersonen offenbar gemieden. So fokussierte der Geometrieunterricht der Schule lange Zeit fast aus- schließlich auf eine Formenkunde und die Betrachtung der Umwelt aus zweidimensionaler Perspektive (vgl. Winter 1976, S. 15; Lüthje 2010, S. 18 f.). Wenn man nun aber die Bedeu- tung der räumlichen Vorstellungsfähigkeiten für die kognitive Entwicklung von Kindern ernst nimmt, ergibt sich die Frage nach Bedingungen der Vermittlung räumlicher Vorstellungsfä- higkeiten. In diesem Zusammenhang scheint ein beiläufiges Ergebnis einer Studie von An- derson (1997) von Belang. Anderson untersuchte die Eltern-Kind-Interaktion von 21 vierjäh- rigen Kindern und ihren Eltern in mathematikhaltigen Situationen. Hierzu stellte sie den Fa
milien Bauklötze, weißes Papier, Arbeitsblätter aus dem Vorschulbereich und Steckwürfel zur Verfügung und zeichnete jeweils die ersten 15 Minuten der gemeinsamen Lösungsfin- dung der Familien auf Tonband auf. Sie konnte herausfinden, dass es in den Eltern-Kind- Interaktionen eine große Spanne von unterschiedlich tiefen mathematischen Zugängen gab, die als Kern der Mathematik das Zählen aufweisen. Interessanterweise konnte sie in ihren Aufzeichnungen aber nahezu keine expliziten Verbalisierungen von Raum-Lage- Bezeichnungen in den Eltern-Kind-Interaktionen finden. Das lässt die Vermutung zu, dass diese Verbalisierungen von Raum-Lage-Bezeichnungen durch deiktische Zeigegesten kom- pensiert wurden. Auf eine Vernachlässigung der Raumvorstellung in der alltäglichen Interka- tion im familialen Kontext weist auch ein Ergebnis von Acar (2011) hin. Acar zeigt anhand von Spielsituationen auf, dass Eltern Bausituationen, die aus mathematikdidaktischer Per- spektive dem Bereich der Raumvorstellung zuzuordnen sind, arithmetisch umdeuten und einen Schwerpunkt ihrer Unterstützung auf das Abzählen von Holzklötzen legen, wohinge- gen die raumgeometrische Umsetzung fehlerhaft bleibt. Nimmt man mit Newcombe und Hut- tenlocher (2006) aber an, dass die sprachliche Kodierung des Raums eine zentrale Kompe- tenz im Bezug auf das räumliche Vorstellungsvermögen ist, dann zeigen die dargestellten ‚Indizien‘ einen Forschungsbedarf für die Mathematikdidaktik an: Obgleich dem sprachlichen Umgang mit Raumvorstellung große Bedeutung beigemessen wird, wird dieser in der Familie offenbar kaum gefördert. In der vorliegenden Pilotstudie sollen diese bisher nur angedeute- ten Befunde weiter auf ihre Gültigkeit geprüft werden:
Welche sprachlichen Umgangsweisen mit Raumvorstellung lassen sich in alltäglichen Situationen in der Familie rekonstruieren?
Untersucht man jedoch die mathematische Entwicklung von Kindern, so ist es nach Fthena- kis et al. (2009, S. 38f.) grundsätzlich notwendig, alle Lernorte des Kindes einzubeziehen:
„Denn effektives Lernen ist auf die Stärkung aller Bildungs- und Lernorte des Kindes an- gewiesen.“ (Fthenakis et al. 2009, S. 38f.)
Nimmt man diese Feststellung ernst, so gilt es zu berücksichtigen, dass der sprachliche Um- gang mit Raumvorstellung eben nicht nur in der Familie stattfindet, sondern u.a. auch in der Kita und Grundschule. Daher soll die Bearbeitung der obigen Forschungsfrage, die auf eine Überprüfung und Ausschärfung bisheriger Ergebnisse fokussiert, mit einer Innovation der Perspektive verbunden werden. Es sollen nicht nur Familien, sondern gleichzeitig auch Kin- dertagesstätten und Grundschulen in den Blick genommen werden. Die modifizierte For- schungsfrage lautet damit:
Wie unterscheiden sich die unterschiedlichen Lernorte Familie, Kindertagesstätte und Grundschule im Hinblick auf den sprachlichen Umgang mit Raumvorstellung?
Ein Vergleich unterschiedlicher Lernorte im Hinblick auf den sprachlichen Umgang mit Raumvorstellung trägt der ganzheitlichen Entwicklung von Kindern Rechnung und ist gleich- zeitig eine Möglichkeit, Förderkonzepte für die Entwicklung von räumlichen Vorstellungsver- mögen auf ein umfassendes Fundament zu stellen. Denn das Fernziel unserer gemeinsa- men Forschung ist es, aus einer ganzheitlichen Betrachtung des sprachlichen Umgangs mit Raumvorstellung Chancen und Risiken zu identifizieren und daraus ein Fortbildungskonzept zu entwickeln, welches die Vernetzung der drei Lernorte voranbringt und Eltern, Erzieherin- nen und Erzieher sowie Grundschullehrende darin unterstützt, gemeinsam die Entwicklung von räumlichem Vorstellungsvermögen zu fördern.