Mehrsprachigkeit in einer Migrationsgesellschaft: Eine ressourcenorientierte Analyse auf die Entwicklung produktiver Pluriliteralitäten von Schüler*Innen
Betreuerin: Prof. Dr. Drorit Lengyel
Der Erwerb und die Entwicklung literaler Fähigkeiten sind ausschlaggebend für den Bildungserfolg von Kindern und Jugendlichen. Beim Lesen und Schreiben geht es jedoch nicht ausschließlich um die Codierungen und Dekodierungen von Graphemen und Phonemen, sondern sie hängen eng einerseits mit kognitiven und sprachlichen Fähigkeiten des Individuums zusammen und beziehen sich andererseits auf kulturell bedingte und gesellschaftlich tradierte Normen des Umfeldes, in dem das Individuum sozialisiert wird.
Die Entwicklung von Literalität in der „migrationsgesellschaftlichen Mehrsprachigkeit“ (Dirim/Khakpour 2019) ist folglich nicht nur von den Bildungsinstitutionen, sondern auch von weiteren Faktoren, wie beispielsweise der Gesellschaft, der Familie, erweitertes soziales Umfeld, soziale Aktivitäten und den Sprachen, sowie ihren Modalitäten abhängig (hierzu z.B. Ilič 2014). Demnach wirken unterschiedliche Faktoren auf den Erwerb und die Entwicklung von schrift- und sprachlichen Fähigkeiten eines Kindes (und Jugendlichen), die wiederum im Rahmen sozialer Praxen auch multilingual verlaufen. Die Vielfalt der Faktoren deuten eine Komplexität an, die sich auf den dynamischen Prozess der Entwicklung auswirken und diese bedingen (Metatheorie: Complex Dynamic System Theory, z.B. Lowie/Verspoor 2022; de Bot 2017). Im bisherigen Diskurs sind die literalen Fähigkeiten von Kindern, die über das Erlernen des Schreibens und Lesens hinaus gehen, insbesondere im Kontext von Mehrsprachigkeit wenig erforscht. Aus diesem Desiderat leitet sich das hier vorliegende Forschungsinteresse ab, dass sich in folgenden Fragen unterteilt:
- Wie entwickeln sich die literalen Fähigkeiten, speziell das Schreiben von Texten, bei Grundschulschüler:Innen, auch unter Berücksichtigung ihrer „migrationsgesellschaftlichen Mehrsprachigkeit“ (Dirim/Khakpour 2019)?
- Welche Zusammenhänge liegen zwischen den familialen literalen und sprachlichen Praxen sowie der Entwicklung der Literalität vor?
- Lassen sich Muster in der Entwicklung des produktiven schriftsprachlichen Vermögens erkennen? Wenn ja, wie gestalten sich diese Muster?
Zur Untersuchung der produktiven literalen Entwicklung der Schreibpraxis im Kontext der „migrationsgesellschaftlichen Mehrsprachigkeit“ (Dirim/Khakpour 2019) werden Schreibproben der longitudinalen Evaluationsstudie „Rucksack Schule“ (2015-2018) qualitativ ausgewertet und zur Analyse der literalen Praxis mit den Elternfragebögen ergänzt. Die Analyse der Schreibproben erfolgt in Anlehnung an Creswells (2015) „qualitativ data analysis“ und untersucht Entwicklung der produktiven literalen Praxis im Kontext der migrationsgesellschaftlichen Mehrsprachigkeit. Im Fokus stehen textrelevante Kategorien, die im Wesentlichen aus literaturwissenschaftlichen und schreibdidaktischen Kategorien hervorgehen und unter Berücksichtigung der Erwerbsphase angepasst werden. Insofern werden auch Aspekte, wie Kreativität und literaturästhetische Kriterien, berücksichtigt. Darüber hinaus werden Kategorien gebildet, die sprachübergreifend analysiert werden, um eine Vergleichbarkeit der Entwicklung zu ermöglichen. Im Wesentlichen geht es darum, die Fähigkeiten der Kinder individuell und ressourcenorientiert herauszuarbeiten. Zudem ist es von Bedeutung, Muster der Entwicklung zu erkennen und mögliche Potenziale aufzudecken.
Die Schreibproben wurden mit den Erhebungsinstrumenten „Dodo“ nach Reich (2011) und „Tulpenbeet“ (Reich/Roth/Gantefort 2008) erhoben wurden. Die Erhebungsmesszeitpunkte erfolgten in drei aufeinanderfolgenden Jahren in den Jahrgängen zwei, drei und vier an Grundschulen im Kreis Unna bei Dortmund.
Das Dissertationsprojekt zunächst wurde von Oktober 2020 bis März 2024 im Rahmen des DissertationPlus-Programms durch die Claussen-Simon-Stiftung gefördert und soll 2025 beendet werden.
Literatur (Auszug)
de Bot, K. (2017). Complexity theory and dynamic systems theory: Same or different? In Complexity theory and language development: In celebration of Diane Larsen-Freeman Amsterdam: John Benjamins. 51–58.
Dirim, İ./ Khakpour, N. (2019): Migrationsgesellschaftliche Mehrsprachigkeit in der Schule. In: Dirim, İ.; Mecheril, P. unter Mitarbeit von Heinmann, A.; Khakpour, N., Knappik, M., Shure, S.; Thoma, N.; Thomas-Olalde O; Vorrink. A. (Hgg.): Heterogenität und Bildung. Die Schule der Migrationsgesellschaft. Reihe Bildungswissenschaften. Bad Heilbronn: Klinkhardt (UTB). 201-226.
Ilič, V. (2014): Familiale Lernumwelt von Jugendlichen mit Migrationshintergrund. Eine empirische Studie zum Zusammenhang zwischen home-literacy-Aktivitäten und bildungssprachlichen Fähigkeiten. Opladen, Berlin & Toronto.
Lowie, W./ Verspoor, M. (2022): A Complex Dynamic Systems Theory Perspective on Speaking in Second Language Development. In: Derwing, T. M./ Munro, M. J./ Thomson, R. I. (Hgg.): The Routledge Handbook of Second Language Acquisition and Speaking Routledge. 39-53.
Reich, Hans H. (2011): Schriftsprachliche Fähigkeiten türkisch-deutscher Grundschülerinnen und Grundschüler in Köln. Köln: Bezirksregierung Köln.
Reich, H. H./ Roth, H.-J./ Gantefort, C. (2008): Der Sturz ins Tulpenbeet. Deutsche Sprachversion. Auswertungsbogen und Auswertungshinweise. In: Klinger, Thorsten/ Schwippert, Knut/ Leiblein, Birgit (Hgg.): Evaluation im Modellprogramm FÖRMIG (4 Auflage). Münster. 209-237.
- Dauer: aktuell
- Projektleitung: M.Ed. Aybike Savaç