Bildungsungleichheit, Bildungsteilhabe und Flucht
Analyse von Perspektiven junger Geflüchteter aus Syrien und der Ukraine im deutschen Bildungssystem
Betreuerin: Drorit Lengyel
Seit vielen Jahren leben wir in Deutschland in einer Migrationsgesellschaft, die von Diversität und Heterogenität geprägt ist. Dabei steht das deutsche Bildungssystem insbesondere im Zuge der zunehmenden Fluchtbewegungen aus Krisen- und Kriegsgebieten, wie z.B. 2015 aus Syrien und 2022 aus der Ukraine, vor der Aufgabe neu migrierten und schutzsuchenden Personen Teilhabe in Gesellschaft und Bildung zu ermöglichen. Wohingegen im wissenschaftlichen Diskurs ein sog. „Migrationshintergrund“ (Stanat et al., 2010) schon länger als Indikator für geringeren Bildungserfolg diskutiert wird (Gogolin & Maaz, 2019), wird Flucht bzw. Zwangsmigration bisher nicht als eigenständige Differenzkategorie in der Erziehungswissenschaft anerkannt (El-Mafaalani & Massumi, 2019; Seuwka, 2016). Im Vergleich zu migrationsbedingten sind bisher also kaum fluchtspezifische Benachteiligungsfaktoren empirisch erwiesen, obwohl „[a]lle Befunde […] darauf hin[deuten], dass geflüchtete Kinder und Jugendliche mit geringerem Erfolg das deutsche Schulsystem durchlaufen“, also eine Ungleichbehandlung dieser vorliegt (El-Mafaalani et al., 2022, S. 1210).
Seit der Aktivierung der EU-Massenzustromrichtlinie[1] für ukrainische Geflüchtete im Zuge des russischen Angriffskriegs 2022 wird darüber hinaus medial eine Debatte über „Geflüchtete erster und zweiter Klasse“ (Hauswald, 2023; Rashid, 2022) geführt, die unter anderem beinhaltet, dass ukrainischen Geflüchteten in Deutschland vermehrt Solidarität und Hilfsbereitschaft entgegengebracht werde als Geflüchteten aus Syrien bei ihrer Ankunft (Chapple, 2022; Sammann, 2022). Da das Inkrafttreten der EU-Richtlinie 2015 als Reaktion auf die Fluchtbewegung aus Syrien ausblieb, wird auch in der Ungleichheitsforschung von einer „migrations(sozial)rechtlichen Privilegierung“ (Schmidt et al., 2024, S. 24) ukrainischer Geflüchteter gesprochen. Mit dieser geht z.B. ein Rechtsstatus einher, der u.a. einen erweiterten Zugang zu medizinischer Versorgung, das Erhalten einer Grundsicherung und den Zugang zu Bildungsinstitutionen und Arbeitsmarkt, ohne das Durchlaufen eines Asylverfahrens, ermöglicht (Böhlo, 2022; Schmidt et al., 2024; Schneider et al., 2024). Eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Konsequenzen der EU-Richtlinie erfolgt bisher jedoch kaum.
Dass die Bildungsteilhabe geflüchteter Kinder und Jugendlicher in Abhängigkeit von ihrem Rechtsstatus steht, zeigen bereits Ergebnisse über „Ungleichbehandlung von Migrantengruppen mit unterschiedlichem Rechtsstatus“ (Söhn, 2011, S. 292) bei denen sich der Status von Geflüchteten als besonders nachteilig erweist. Zu den Konsequenzen der oben angeführten Diskrepanz im Umgang mit syrischen und ukrainischen jungen Geflüchteten liegen aus erziehungswissenschaftlicher Perspektive bisher keine Untersuchungen über die Bildungsteilhabe junger Geflüchteter und deren Ungleichbehandlung vor. Aus den eben dargelegten Desideraten leitet sich das hier zugrundeliegende Forschungsinteresse ab.
Das Ziel dieser Forschung stellt demnach eine erziehungswissenschaftliche Perspektive auf jene „herkunftsbedingte“ Ungleichbehandlung dar, welche unter Anwendung der Pädagogik kollektiver Zugehörigkeiten nach Nohl (2014), die Kultur als so genannte „Milieus“ versteht, untersucht wird.
Forschungsfrage:
Wie wird diese „herkunftsbedingte“ Ungleichbehandlung syrischer und ukrainischer Jugendlicher im schulischen Kontext sichtbar und welche Folgen ergeben sich daraus für die Bildungsteilhabe junger Geflüchteter?
[1] Die EU-Massenzustromrichtlinie (Temporary Protecion Directive) sieht die Verleihung eines vorübergehenden Schutzstatus in den EU-Mitgliedsstaaten vor, sodass Ukrainer*innen in Deutschland eine Aufenthaltserlaubnis erhalten ohne ein Asylverfahren durchlaufen zu müssen (Schmidt et al. 2024).
- Dauer: aktuell
- Projektleitung: Pauline Rieder, M.Ed.