Sprach(lern)biographien lebensweltlich mehrsprachiger Grundschülerinnen und -schüler
Dissertationsprojekt Larissa Jacob (laufend)
Mehrsprachigkeit und mehrsprachige Erziehung rücken immer weiter in den Fokus des bildungspolitischen Interesses. Im Zuge einer zunehmenden Europäisierung gilt die individuelle Mehrsprachigkeit – verstanden als die „kommunikative Kompetenz“ jedes Einzelnen in mehreren Sprachen – als Kernziel einer guten Ausbildung (vgl. Europarat 2001) und wird unter anderem auch in Deutschland in Form einer Erweiterung und Vorverlegung des schulischen Fremdsprachenangebots umgesetzt. Im deutschen Schulalltag wird Mehrsprachigkeit jedoch nicht nur als ein Ziel verstanden, sondern stellt gleichzeitig eine Bildungsvoraussetzung dar: so liegt in Deutschland der Anteil der Kinder unter zehn Jahren, die einen Migrationshintergrund aufweisen, bei etwa einem Drittel (vgl. BAMF 2013: 11). Der überwiegende Teil von ihnen wächst mehrsprachig auf (vgl. Fürstenau/Gogolin/Yağmur 2003: 47). Folglich ist Mehrsprachigkeit praktisch in jeder Grundschulklasse vorhanden. Diese Tatsache führt auch zu einem stetig ansteigenden Forschungsinteresse an dem institutionellen Tertiärspracherwerb mehrsprachiger Grundschülerinnen und -schüler. Vor allem die Frage, ob das frühe Fremdsprachenlernen eher eine Überforderung oder eine besondere Lernchance für lebensweltlich mehrsprachige Schüler darstellt, entwickelt sich zu einer fortdauernden Grundsatzdiskussion. Zurückzuführen ist dies auf die Tatsache, dass Wissenschaftler bisher wenig Konkretes über die Sprachlernsituation wissen, in der sich junge Fremdsprachenlerner mit lebensweltlicher Mehrsprachigkeit befinden. Besonders lohnenswert scheint das Nachvollziehen dieser besonderen Sprachlernsituation in ihrer Komplexität vor dem Hintergrund, dass es Hinweise aus der internationalen Tertiärsprachenforschung gibt, wonach mehrsprachige Individuen über eine Vielzahl kognitiver und affektiver Potenziale verfügen, die das Erlernen einer weiteren Sprache begünstigen (vgl. De Angelis 2007).
Ziel meines Promotionsprojekts ist es daher, den institutionellen Erwerb des Englischen aus der Perspektive von mehrsprachig aufwachsenden Grundschülerinnen und -schülern zu untersuchen. Dass dies von höchster Relevanz ist, zeigen vor allem die Ergebnisse der EVENING-Studie, die nachweisen konnte, dass die mitgebrachte Mehrsprachigkeit der Lernenden im Englischunterricht der Grundschule aus Unwissenheit der Lehrkräfte kaum Berücksichtigung findet. Um hier ansetzend einen Beitrag zur Verbesserung der Qualität des Englischunterrichts leisten zu können und mehrsprachige Schüler ihren speziellen Bedürfnissen entsprechend zu fördern, bildet die subjektive Wahrnehmung der Lerner selbst die forschungsmethodische Grundlage meines Projekts. Mit Hilfe von episodischen Leitfadeninterviews werden die Sprachlernbiographien mehrsprachiger Schüler rekonstruiert und anschließend mit der dokumentarischen Methode ausgewertet. Dieser explorative Ansatz stellt so eine ertragreiche Ergänzung zu den bisherigen quantitativen und „von außen“ gewonnen Erkenntnissen in diesem Forschungsbereich dar und trägt dazu bei, didaktisch-methodische Handlungsstrategien für den Umgang mit Mehrsprachigkeit im Englischunterricht zu entwickeln.
Zitierte Literatur:
BAMF - Bundesministerium für Migration und Flüchtlinge (2013): Migrationsbericht 2011. Zentrale Ergebnisse. http://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Downloads/Infothek/Forschung/Studien/migrationsbericht-2011-zentrale-ergebnisse.pdf?__blob=publicationFile (Zugriff 14.03.2014)
De Angelis, Gessica (2007): Third or Additional Language Acquisition. Clevedon: Multilingual Matters.
Europarat / Rat für kulturelle Zusammenarbeit (2001): Gemeinsamer europäischer Referenzrahmen für Sprachen: lernen, lehren, beurteilen. Berlin et al.: Langenscheidt.
Fürstenau, Sara / Gogolin, Ingrid / Yağmur, Kutlay (Hrsg.) (2003): Mehrsprachigkeit in Hamburg. Ergebnisse einer Sprachenerhebung an den Grundschulen. Münster: Waxmann-Verlag.
- Dauer: aktuell