Stereotype Threat im Englischunterricht
Dissertationsprojekt Christian Helmchen
Nachdem Claude Steele und Joshua Aronson (1995) zum ersten Mal die leistungsmindernden Effekte negativer Stereotype nachweisen konnten, stellte sich zwangsläufig die Frage, welche Umstände zusammentreffen müssen, damit Personen Opfer einer solchen Bedrohung werden.
Auch wenn Forschungsarbeiten, wie beispielsweise die von Aronson et al. (1999), die Schlussfolgerung zulassen, dass ausnahmslos jeder, nicht nur Angehörige besonders stereotypisierter Minderheiten, Opfer der Bedrohung durch Stereotype werden kann, haben sich im Verlauf der Forschung auf dem Gebiet des Stereotype Threat Faktoren herauskristallisiert, deren individuelle Ausprägung die potentielle Empfänglichkeit für Stereotype Threat in ‚Bedrohungssituationen’, wie sie z.B. bei Leistungstests vorkommt, beeinflussen und über ihre Stärke bestimmen können. Hierzu zählen zum einen situative Primes, zum anderen zeigen sich aber auch personenbezogene Unterschiede, die eine solche Empfänglichkeit hinsichtlich ihrer Modulation beeinflussen (vgl. Schmader et al., 2008). Im Hinblick auf die Stereotype Threat Forschung in den Vereinigten Staaten ist zu vermuten, dass diese Faktoren, zumindest teilweise, auch auf intergruppalem Niveau ausgeprägt sein können. Dies könnte zum Beispiel bei sozialen (Minoritäten-)Gruppen der Fall sein, die sich in der Gesellschaft konstant mit negativen Stereotypen konfrontiert sehen, welche eine Internalisierung begünstigen. In Anlehnung an das Modell von Schmader et al., welches Stereotype Threat als Folge kognitiver Imbalance beschreibt, soll die folgende Graphik die personenbezogenen Einflussfaktoren verdeutlichen.
- Anzeichen im Umfeld stellen eine negative Verbindung zwischen dem Eigengruppenkonzept einer Person und den Fähigkeiten in einer bestimmten Domäne her (die Eigengruppe wird im Kontext als unzureichend / mangelhaft definiert). Individuelle Unterschiede bezüglich des Stereotype Endorsement oder der Stigma Consciousness können die Empfänglichkeit für Stereotype Threat verstärken, da die negative Verbindung zwischen Eigengruppe und Domäne besonders stark ist (Stereotype Endorsement) oder eine Aktivierung besonders wahrscheinlich ist (Stigma Consciousness).
- Salienz der eigenen Mitgliedschaft in einer stigmatisierten Gruppe durch die Aktivierung einer positiven Verbindung zwischen Selbstkonzept und Gruppenkonzept (das Selbst wird in diesem Fall durch die Gruppenmitgliedschaft definiert). Individuen mit hoher Eigengruppenidentifikation sind prädisponiert diese Verbindung zu aktivieren, was eine erhöhte Empfänglichkeit für Stereotype Threat zur Folge hat.
- Positive Verbindung zwischen Selbst und Domäne. Erwartung guter Leistung oder eine starke Motivation gute Leistung zu erbringen aufgrund eines positiven Fähigkeitsselbstkonzepts. Studien zeigen, dass der erlebte Grad des Stereotype Threat davon abhängt, welche Bedeutung ein Individuum der Domäne beimisst.
Die leistungsmindernden Effekte des Stereotype Threat sind seit Jahren immer wieder Gegenstand empirischer Forschung in den Vereinigten Staaten. Dabei hat sich gezeigt, dass besonders Studenten afroamerikanischer und lateinamerikanischer Herkunft von Stereotype Threat betroffen sind. Stereotypisch gelten sie, auch heute noch, in großen Teilen der Gesellschaft als weniger intelligent und faul.
Stereotype Threat Effekte hinsichtlich der Geschlechtszugehörigkeit ließen sich auch in Deutschland nachweisen. Ein Nachweis solcher Effekte bei Gruppen, die aufgrund ihres Migrationshintergrundes diskriminiert werden, ist in Deutschland bislang nicht erfolgt. Dabei muss fraglos festgestellt werden, dass solche Stereotype, wie sie in den Vereinigten Staaten offenbar weit verbreitet sind, in Deutschland nicht erst seit der Anwerbung von Gastarbeitern in den 1960er Jahren ebenfalls existieren und weiterhin, beispielsweise in den Medien (vgl. z.B. kritisch Schorb et al., 2003; exemplarisch Sarrazin, 2010), gepflegt werden. Dennoch muss der Frage nachgegangen werden, ob Lernende mit Migrationshintergrund in Deutschland sich mit solchen, die Intelligenz betreffenden, Stereotypen in ähnlichem Maße konfrontiert sehen und diese ebenso internalisiert haben, wie es beispielsweise bei Afroamerikanern anscheinend der Fall ist. Wie im Modell zu erkennen ist, sind dies Grundvoraussetzungen für das Empfinden von Stereotype Threat. Wie eingangs erwähnt, ist es im Hinblick auf die Induzierung von Stereotype Threat Effekten in der Forschungsliteratur denkbar, dass solche Effekte durchaus bei jedem ausgelöst werden können, abhängig vom Setting und dem Grad der Bedrohung. Es stellt sich somit die Frage, ob Lernende mit Migrationshintergrund die Voraussetzungen aufweisen, die eine Anfälligkeit Stereotype Threat zu erleben erhöhen, und wie stark diese ausgeprägt sind. Hierzu sollen die drei Faktoren (Domain Identification, Group Identification und Stigma Consciousness/Stereotype Endorsement) des von Schmader et al. entwickelten Modells auf ihre Ausprägung hin untersucht werden, die nicht situativ bedingt, sondern individuell prädisponiert sein können. Die Ausprägung dieser Faktoren bestimmt zu großem Teil das Ausmaß der erlebten – situativ bedingten oder verstärkten – Bedrohung. Eine derartige Diagnose kann darüber Aufschluss geben, ob Stereotype Threat bei Lernenden mit Migrationshintergrund in Deutschland ein, in seinen verschiedenen Dimensionen, ähnlich problematisches Phänomen darstellt wie es in den Vereinigten Staaten der Fall ist. Zudem soll eine auf verschiedene Teile des Hamburger Stadtgebietes sowie auf die verschiedenen Schulformen ausgedehnte Stichprobe eine Analyse etwaiger umstandsbedingter Unterschiede erlauben.
Zur Erhebung soll ein vierteiliger Fragebogen dienen, der die Ausprägungen der drei Faktoren unter Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund in Hamburg messen soll, sowie demographische Daten ermittelt, die eine Binnendifferenzierung des Samples, nach Herkunftsland bzw. Region, Sprachkenntnis und Sprachpräferenz (als zusätzlichem Gradmesser der Identifikation mit einem Herkunftsland bzw. Ethnizität (im Sinne Max Webers, vgl. Weber, 1947) oder Kultur (verstanden als „näherungsweise Kennzeichnung überindividueller Unterschiede in den Weltansichten und Lebenspraktiken von Menschen“ (Gogolin, 1999: 147)), Geschlecht und Schulform, ermöglichen. Die Ausprägung der drei Faktoren, Domain Identification, Group Identification und Stigma Consciousness / Stereotype Endorsement, sollen mithilfe für diese Zwecke adaptierten Versionen des DIM (Domain Identification Measure; White & Smith, 2001), der IOS (Inclusion of Other in Self Scale; Aron, Aron & Smollan, 1992; Tropp & Wright, 2001) sowie des SCQ (Stigma Consciousness Questionnaire; Pinel, 1999), erweitert um 3 Items zur Messung des Stereotype Endorsements, (Schmader, Johns & Barquissau, 2004), erhoben werden.
Literatur
Aron, A., Aron, E. N., Smollan, D. (1992). Inclusion of Other in the Self Scale and the structure of interpersonal closeness. Journal of personality and social psychology. Vol. 63, No. 4, 596-612.
Aronson, J., Lustina, M. J., Good, C., Keough, K., Steele, C. M., Brown, J. (1999). When white men can't do math: Necessary and sufficient factors in stereotype threat. Journal of experimental social psychology. Vol. 35, No. 1, 29-46.
Gogolin, Ingrid (1999). Kulturelle Differenz. In: Zeitschrift für Erziehungswissenschaft 2/1999, 147-148.
Pinel, E. C. (1999). Stigma consciousness: the psychological legacy of social stereotypes. Journal of personality and social psychology. Vol. 76, No. 1, 114-128.
Sarrazin, T. (2010). Deutschland schafft sich ab: Wie wir unser Land aufs Spiel setzen. München: DVA.
Schmader, T., Johns, M., Barquissau, M. (2004). The costs of accepting gender differences: The role of stereotype endorsement in women's experience in the math domain. Sex Roles. Vol. 50, No. 11-12, 835-850.
Schmader, T., Johns, M., Forbes, C. (2008). An integrated process model of stereotype threat effects on performance. Psychological review. Vol. 115, No. 2, 336-356.
Schorb, B., Echtermeyer, K., Lauber, A., Eggert, S. (2003). Was guckst du, was denkst du. Der Einfluss des Fernsehens auf das Ausländerbild von Kindern im Alter von. Themen – Thesen – Theorien. Kiel: Schmidt & Klaunig.
Smith, J. L., White, P. H. (2001). Development of the domain identification measure: A tool for investigating stereotype threat effects. Educational and Psychological Measurement. Vol. 61, No. 6, 1040-1057.
Steele, C. M., Aronson, J. (1995). Stereotype threat and the intellectual test performance of African Americans. Journal of personality and social psychology. Vol. 69, No. 5, 797-811.
Tropp, L. R., Wright, S. C. (2001). Ingroup identification as the inclusion of ingroup in the self. Personality and Social Psychology Bulletin. Vol. 27, No. 5, 585-600.
- Dauer: beendet