Panels
Literaturpräferenzen von Erstleseliteratur – ein Vergleich von Schüler:innen- und Lehrer:innenperspektiven bei leseschwachen Grundschulkindern
Fiona Kern und Benjamin Uhl (Universität Koblenz)
Trotz des wichtigen Stellenwertes für den Einstieg in die literarische Welt spielt Erstleseliteratur (ELL) in der literaturdidaktischen Forschung eine eher marginale Rolle: Über kindliche Wünsche, Interessen, Motive und Zugänge zu ELL ist wenig bekannt. Ebenso sind die lehrerseitigen Auswahlprozesse von ELL im Deutschunterricht bis dato kein Gegenstand der Forschung. In unserem Vortrag möchten wir diese beiden Perspektiven gegenüberstellen. Hierzu untersuchen wir einerseits den Literaturauswahlprozess bei leseschwachen Schüler:innen (N=15), um einen Einblick zu erhalten, welche Strategien und Beweggründe die Literaturauswahl der Kinder beeinflussen. Die Erkenntnisse der Schüler:innenperspektive sollen dann der Auswertung der Lehrer:innenperspektive gegenübergestellt werden. Hierzu werden Interviews mit Lehrkräften durchgeführt (N=5), um zu erheben, unter welchen Aspekten diese ELL auswählen. Eine kontrastierende Perspektive stellt dann heraus, ob bei der lehrerseitigen Selektion von ELL die Perspektiven, Wünsche und Fertigkeiten von leseschwachen Grundschulkindern berücksichtigt werden.
Literatur:
Kurzvita:
Perspektiven von Lehrer:innen auf Erstleseliteratur – eine Interviewstudie
Christoph Jantzen, Jana Mikota & Nadine Schmidt (Universitäten Hamburg und Siegen)
Gläsel, J./ Laudel, G.(2009): Experteninterviews und qualitative Inhaltanalyse – als Instrument rekonstruierender Untersuchungen. 4. Auflage. Wiesbaden.
Panel 1
Die Vereinfachung als Chance – Potentiale der narrativen Strukturen von Erstlesebüchern für das Lesenlernen und die literarische Bildung
Sandra Siewert (Universität Bielefeld)
Aufgrund ihrer komplexitätsreduzierenden Gestaltung sind Erstlesebücher seit jeher der Kritik ausgesetzt, keine literarästhetischen Lernprozesse anregen zu können. Dass diese Kritik nicht gerechtfertigt ist, Erstlesebücher durchaus literarästhetisches Potential aufweisen und somit auch für die Arbeit im Deutschunterricht geeignet sein können, wird im Vortrag gezeigt. Aus einer gegenstandsorientierten Perspektive werden wiederkehrende narrative Strukturen, die in einem Korpus von 75 Erstlesebüchern identifiziert werden konnten, vorgestellt und exemplarisch analysiert. Von Relevanz sind in diesem Zusammenhang insbesondere jene Strukturen, die aufgrund ihrer Beschaffenheit leseerleichternd wirken, aus deren Gestaltung gleichzeitig aber auch literarästhetisches Potential resultiert.
Literatur:
S. 13-21.
Kurzvita:
Sandra Siewert, M. Ed., ist seit 2017 wissenschaftliche Mitarbeiterin im Arbeitsbereich Literatur-
didaktik an der Universität Bielefeld.
Welches sind die Zugangsbedingungen zu Erstleseliteratur? Grundlagenforschung zum Thema Lesbarkeit für Leseanfänger:innen
Roswita Dressler (Werklund School of Education, Calgary), Bernd Nuss (South Academy of International Languages, Charlotte) und Katherine Mueller (Werklund School of Education, University of Calgary, Calgary)
Ausgangspunkt unserer sich in der Entwicklung befindlichen Studie sind Schulbibliotheken in DAZ-Programmen in Nordamerika. Insbesondere zwei Problematiken bereiten dort Lehrkräften Kopfzerbrechen: 1. Es mangelt dem deutschen Buchmarkt an einem einheitlichen Stufungssystem zur Lesbarkeit von Anfangsliteratur. 2. Es besteht ein gravierender Mangel an erschließbaren Anfangstexten außerhalb der Fibelliteratur. Das Forscherteam hat sich diesen Fragestellungen angenommen und vertritt die Auffassung, dass Voraussetzung einer literarischen Texterschließung eine den Lesefertigkeiten angemessene Textkomplexität sein muss. Das Team untersucht Texte nach den Komponenten: 1. Variabler Vokabelkorpus, der sich an den Sprachkompetenzen der Zielgruppen orientiert; 2. Strukturelle Lesbarkeit, die die Komplexität syntaktischer und morphologischer Formen beachtet. Der im Vortrag vorzustellende Forschungsansatz umfasst eine analytische Auswertung von knapp 1000 Büchern mittels KI und methodischer Modelle, die aufgrund internationaler Vergleichsstudien entwickelt worden sind.
Kurzvita:
Panel 2
Erstleseliteratur im sonderpädagogischen Kontext – eine Analyse anhand sprachdidaktischer Kriterien.
Ann-Charlott Bauer (Pädagogische Hochschule Ludwigsburg)
Der Vortrag gibt eine knappe Einschätzung darüber, was der aktuelle Buchmarkt an Erstleseliteratur anbietet und was zukünftig für Leselernenden mit Beeiträchtigungen noch notwendig wäre. Ziel ist es, aufzuzeigen, durch welche Kriterien der Begriff „Erstleseliteratur“ in der Sonderpädagogik definiert wird. Basierend auf dem zuvor vorgestellten Schriftsprachmodell von Günthner sowie auf möglichen Erschwernissen im Leselernprozess aufgrund einer Beeinträchtigung und den daraus resultierenden unterstützenden Maßnahmen, wird der Analysekatalog von Nefzer um zusätzliche sprachdidaktische Kriterien in Hinblick auf die Sonderpädagogik erweitert. Im zweiten Teil erfolgt eine beispielhafte Analyse anhand der Lesebüchlein Die Sprachstarken 1 von Brinkmann & Brügelmann et al. hinsichtlich eines möglichen Einsatzes in der Sonderpädagogik.
Literatur:
Kurzvita:
Ann-Charlott Bauer studiert seit 2020 Sonderpädagogik mit den Fächern Deutsch und Biologie an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg.
Erstleser:innen beim Lesen dezent unterstützen – Leseförderung und das Verstehen literarischer Texte
Wolfgang Bay, Friedemann Holder und Maribel Maier
Ziel ist es, die Implementation unseres Erstlese-Programmes Dezenter Support zur Etablierung von Verstehensoperationen in den Grundschulunterricht nachzuzeichnen und dabei empirisch evaluierte Gelingensbedingungen sowie Hürden aufzuzeigen. Unser Programm besteht aus Support-Aufgaben für das verstehende Lesen von dominant narrativen Texten (Holder & Bay, 2022). Mittlerweile sind drei Iterationen (Hußmann et al. 2013) mit N = 77 Schüler:innen abgeschlossen. Durch qualitative und quantitative Analysen des Schüler:innen-Outputs konnte die Wirksamkeit des Dezenten Supports (Bay, Holder, & Maier, 2024) nachgewiesen werden und wichtige Erkenntnisse für den (auch digitalen) unterrichtspraktischen Umgang mit multimodaler Erstleseliteratur gesammelt werden. Den iterativen Entwicklungs- und Forschungsprozess sowie dessen Ergebnisse wollen wir in unserem Beitrag darstellen.
Literatur:
strategiesets für narrative Texte. SLLD-B.
Kurzvita:
Panel 3
Vorlesegespräche über Erstleseliteratur
Caterina Mempel und Sascha Wittmer (Universität Frankfurt a. M.)
Vorlesegespräche scheinen ein geeigneter methodischer Zugang zu sein, um literarische Lernprozesse bei Grundschüler:innen herauszufordern. Dies legen Fallstudien zu unterschiedlichen kinderliterarischen Werken – wie z.B. zum Bilderbuch oder zur Kurzgeschichte – nahe (z.B. Fuhrmann/ Merklinger 2015; Mempel 2023). Inwiefern dies auch auf Vorlesegespräche über Erstleseliteratur zutrifft, ist dagegen weniger beforscht. An diesem Desiderat möchten wir in unserem Vortrag ansetzen. Auf Grundlage von (a) zwei videografierten Vorlesegesprächen über Besuch beim Hasen (Oster/ Gehrmann 2013) in Parallelklassen der zweiten Jahrgangsstufe, von (b) des von den Lehrpersonen im Team angefertigten Vorleseskripts und von (c) einem Gruppeninterview dreier Fokusschüler:innen diskutieren wir die Frage, inwiefern es gelingen könnte, Vorlesegespräche über Erstleseliteratur zu führen, die sowohl literarische Lernprozesse als auch ästhetische Genussfähigkeit herausfordern.
Literatur:
Kurzvita:
Das Bilderbuch als Erstleseliteratur? Potenziale zur Förderung von Lesemotivation durch literarästhetische Zugänge
Dilara Demirdögen und Anne Krichel (Universität zu Köln)
Bilderbücher gelten als primäres Rezeptionsterrain von Kindern (vgl. Hurrelmann 2010, 9), doch werden sie nicht zur Erstleseliteratur im klassischen Sinne gezählt. Dabei eignen sich narrative Bilderbücher, wie sie im aktuellen Fachdiskurs vorgestellt werden (vgl. Dammers/Krichel/Staiger 2022) aufgrund des Zusammenspiels von schriftsprachlichen und visuellen Informationen bereits in der frühen Alphabetisierungsphase für literarästhetische Lernprozesse (z.B. Bayrakar/Wieler 2020, 175f.). Der Vortrag möchte daher aufzeigen, wieso es sich lohnt, das Konzept traditioneller Erstleseliteratur um multimodale Texte zu erweitern und anhand ausgewählter Beispiele aus der Unterrichtspraxis didaktische Potenziale von Bilderbüchern zur Förderung der Lesemotivation durch literarästhetische Konzepte aufzeigen.
Literatur
Panel 4
Weltwissen erlesen von Anfang an. Anmerkungen zum Sacherstlesebuch
Bernd Maubach (Universität Paderborn)
Der Vortrag wird einleitend zunächst auf die noch immer unterschätzte Bedeutung der Sachbuchlektüre für die schulische Leseförderung eingehen. Anschließend werden exemplarisch Einblicke in verschiedene Gestaltungsmöglichkeiten von Sacherstlesebüchern gegeben, bei denen häufig auch narrative Elemente eine Rolle spielen, so dass literarisches Lernen und Wissensvermittlung zusammenfinden. Im Vergleich von drei verschiedenen Sacherstlesebüchern zum Thema „Delfine“ lassen sich qualitative Unterschiede eindrücklich darstellen, um so in einer ersten Annäherung Aufschluss darüber zu bekommen, was gute Sacherstlesebücher auszeichnet. Abschließend werden erste Einblicke in ein Forschungsprojekt zur Lesetagebucharbeit mit Erstlesebüchern gegeben.
Kurzvita:
Dr. Bernd Maubach ist Akademischer Rat für Literaturdidaktik/Schwerpunkt Sprachliche Grundbildung am Institut für Germanistik und Vergleichende Literaturwissenschaft der Universität Paderborn.
"Schhhh …" – Raffinierte Detektive ermitteln. Das Potenzial von Erstleseliteratur untersucht an Martin Widmarks Comics zur Detektiv-Reihe LasseMaja (2023)
Andrea Struck (Universität Rostock) und Marlene Obermayr (Pädagogische Hochschule Wien)
Das Potenzial von Erstleseliteratur entdecken derzeit immer mehr Kinder- und Jugendbuchverlage und reagieren auf die veränderten, medial-geprägten kindlichen Lese- und Sehgewohnheiten mit eigens konzipierten Buchreihen. So auch der Verlag Edition Helden, der mit seinen zahlreichen Comics in „leseleichter Schrift und mit fesselnden Stories“[1] eine Extraportion Lesemotivation verspricht.
In dem geplanten Beitrag soll der Erstlese-Comic zur Detektiv-Reihe LasseMaja von Martin Widmark mit Illustrationen von Helena Willis unter der folgenden Fragestellung analysiert werden: Welches Potenzial hat der Erstlese-Comic Detektivbüro LasseMaja im Kontext von seriellem Erzählen für die Entwicklung von Lesemotivation und -kompetenz und inwiefern können Erstlesebücher auch das literarische Lernen anregen? Im Bereich der Leseförderung und der Einführung in die literarische Welt hat die sogenannte Einstiegsliteratur eine herausragende Stellung. Sie soll den Leselernprozess unterstützen und früh vermitteln, ein ganzes Buch gelesen zu haben, womit sie nach Heino Ewers der didaktischen Literatur zuzuordnen ist (vgl. Jantzen, 2019). Das serielle Erzählen unterstützt die positive Wirkung auf den Lese- und Verstehensprozess zusätzlich, denn bekannte Settings, wiederkehrende Erzählmuster und vertraute Charaktere geben Sicherheit, wirken identitätsstiftend (Bardola et. al, 2020) und können die Lesemotivation sowie Lese- und Rezeptionskompetenzen nachhaltig stärken. Eine habituelle Leser*innenrolle sollte bereits Grundschulkindern nahe gebracht werden (Rosebrock; Nix, 2008).
Ein moderner Literaturunterricht sollte einerseits das Potenzial von Erstlesebüchern zur Leseförderung und andererseits Serien als narratives Formprinzip und Rezeptionsmuster für das literarische Lernen nutzen sowie die Leseinteressen von Schüler*innen ernst nehmen (Brendel-Perpina; Kretzschmar, 2021).
[1] Vgl. Website-Auftritt des Edition Helden Verlags: https://edition-helden.de/
Literatur:
Kurzvita:
Andrea Struck (M.A.) ist seit 2017 als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Grundschulpädagogik an der Universität Rostock tätig. Ihre Schwerpunkte sind Leseförderung und literarisches Lernen. Zudem ist sie als Lektorin im Rostocker Hinstorff Verlag angestellt.
Marlene Obermayr, BEd MEd ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Urban Diversity Education (Arbeitsbereich Sprache) mit den Schwerpunkten Leseförderung sowie Literacy Bildung und Kinder- und Jugendliteratur an der Pädagogischen Hochschule Wien. .