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Aktuelles

Im Gedenken an Willi Düe (16. März 1944 – 3. März 2025)

Willi Düe war mehr als 20 Jahre lang Lehrbeauftragter für Allgemeine Grundlagen und Soziologie im Arbeitsbereich Pädagogik bei Behinderung der Universität Hamburg. Er hat ganze Generationen von Studierenden im besten Sinn geprägt, ebenso wie Referendar:innen und Lehrer:innen. Nach seiner Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Oldenburg war er am Aufbau des Modellversuchs „Übergang Schule – Beruf“ an der Staatlichen Schule für Sehbehinderte in Schleswig beteiligt und wirkte dort dann über Jahrzehnte als Lehrer und als Studienleiter.

Willi Düe vereinte über seine ganze berufliche Laufbahn hinweg wissenschaftliche Praxis mit praktischer Wissenschaft in dem Sinn, dass seine ganze Tätigkeit  an der Universität – hier noch fünf Jahre lang nach seinem Eintritt in den Ruhestand - und im Schuldienst durch und durch konzipiert war als Bildung für und durch den Einzelnen und gleichzeitig immer auch als Befähigung der Professionellen und von Systemen. Wie ein roter Faden zieht sich durch sein Schaffen ein Satz, den er immer wieder sagte: Bildung ist mehr als das, was sich in klingende Münze verwandeln lässt. Gemeint ist damit: Bildungschancen sind Lebenschancen in einem umfassenden Sinn, und dies insbesondere angesichts von sozialer Benachteiligung und Behinderung. Um die Frage zu beantworten, woran sich Lebenschancen festmachen, wenn Zugänge zu Bildung und Beschäftigung oder die soziale Integration erschwert sind, muss sich der Blick öffnen, über ein Verständnis von Bildung als reiner Wissenserwerb hinaus, man muss sich mit der Umgebung beschäftigen, die Koordinaten des eigenen Ortes in der pädagogischen Landkarte identifizieren - kurz: sich eingehend kritisch, also differenzierend und differenziert mit der Sache auseinandersetzen.

Dieses Wort – Auseinandersetzung - kennzeichnet für mich Willi Dües Zugang zu Fragestellungen, es tauchte auch immer wieder in den Titeln seiner Seminare auf: nämlich Wissenschaft als Ort der beständigen Auseinandersetzung um die Güte von Theorien und Forschungsergebnissen, der Reflexion und der kritischen Prüfung zu verstehen. Auseinandersetzungen in diesem Sinn zu führen, bedeutet nicht, Wissen anzuhäufen, sondern zu fragen: was bedeutet dieses Wissen, wozu trägt es bei, wie ist es begründet? Sich auf solche Weise aktiv mit seiner Welt auseinanderzusetzen, heißt sich in Beziehung zu ihr zu setzen. Und genau das hat Willi Düe immer getan und in dem Sinn hat er sich auch in Beziehung gesetzt zu den Lernenden, den Studierenden ebenso wie zu seinen Schüler:innen oder Referendar:innen: auf Augenhöhe, den eigenen Weg unterstützend, zuverlässig und empathisch, den Kern dessen, was Lernen bedeutet, praktisch lebend, nach Oskar Negt: „Wo die Möglichkeit des Lernens besteht, muss vor allem die Kompetenz ausgebildet werden, Beziehungen zwischen den Dingen und Verhältnissen herzustellen, also orientierende Zusammenhänge zu stiften ... Der innengeleitete, kritikfähige Mensch bedarf der Reserven, der inneren Lagerhaltung, die ihm situationsunabhängige Selbstdeutungen im gesellschaftlichen Zusammenhang ermöglichen.“ Und in diesem Sinn war sein Zugang bildungstheoretisch und bildungspraktisch begründet, wie es in diesem Zitat von ihm deutlich wird: „Nur Teilbereiche der grundlegenden Bedürfnisse zur menschlichen Lebensgestaltung […] können in materieller Form erfüllt werden. Wesentliche Teile werden im sozialen Zusammenleben zuerkannt oder müssen errungen werden: Entweder … anknüpfend an bereits erworbene Kompetenzen oder sie sind in einem Neuangebot zu vermitteln“ und dabei sind die grundlegenden Fertigkeiten immer nur „als Mittel, nie als Ziel zu einer neuen Form der Lebensgestaltung anzusehen. So schwer diese Fertigkeiten zu lernen sind, geben sie doch erst die Basis für das Lernen von Problemlösungsverhalten komplexer sozialer Vorgänge und so auch für die geforderte höchstmögliche Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ab. Überlegungen zur Lebenssituation junger Menschen mit Behinderung und der Bewältigung von aktuellen oder andauernden Lebensproblemen sind grundlegender Bestandteil einer Diskussion über die soziale Teilhabe in der Gemeinde“ (1996); Sätze, die heute ebenso Bestand haben. 

Im Lehrbereich der Allgemeinen Grundlagen und Soziologie an der Universität Hamburg sind Bildungs- als Lebenschancen der rote Faden des Lehrbereichs geworden. Denn Willi Dües Bildungsverständnis ist für mich wegweisend für meine eigene Verortung geworden und die fand ihren Ursprung und ihre Begründung in seinen Seminaren an der Universität Oldenburg, die ich als Studentin besuchte. Sein großer Erfahrungsschatz als Grenzgänger zwischen den Wissenschaftsdisziplinen ebenso wie zwischen Theorie und Empirie, zwischen Hochschullehre, Referendarsausbildung und Schule, hat unsere Zusammenarbeit befruchtet. Ich vermisse ihn als Wegbegleiter, als Kollege und als Freund.

Iris Beck, März 2025


Erscheint im Herbst 2024!


Neuerscheinung 2023!


Dritter Bericht zur Teilhabe von Menschen mit Beeinträchtigungen erschienen - mit Informationen zu den Auswirkungen der Corona-Pandemie!

Der dritte Teilhabebericht der Bundesregierung enthält einen systematischen und ausführlichen Forschungsüberblick über die Entwicklung der Teilhabe von Menschen mit Beeinträchtigungen. Erstmals sind in den Bericht auch Ergebnisse der im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales bundesweit durchgeführten, umfangreichen Teilhabebefragung eingeflossen. Für die Erziehungswissenschaft sind die detaillierten Informationen und Daten zur Entwicklung der Inklusion im Bereich Bildung sowie die dazu erfolgte Kommentierung des wissenschaftlichen Beirats von besonderer Bedeutung. Die Veröffentlichung dieses Berichts fällt in eine Zeit, die für Menschen mit Behinderungen sehr herausfordernd ist. Ein besonderes Augenmerk legt der Bericht daher auf die Themen Gesundheit und soziale Einbindung von Menschen mit Beeinträchtigungen und Behinderungen. Hierunter wurden auch die Auswirkungen der Corona-Pandemie analysiert. Der Bericht kann kostenlos als PDF sowie in weiteren Fassungen heruntergeladen werden: als Hörbuch /Daisy-CD sowie als Zusammenfassung in Leichter Sprache, Braille-Druck oder als Video in Deutscher Gebärdensprache: https://www.bmas.de/DE/Service/Publikationen/a125-21-teilhabebericht.html


Inklusive Lehr-Lernsettings gestalten

Aus dem Lehrprojekt "Lebenslanges Lernen inklusiv: Partizipativ forschen und lernen an der Universität Hamburg" heraus ist ein Praxisleitfaden für Hochschullehrende zur Gestaltung inklusiver Lehr-Lernsettings entstanden, dargestellt am Beispiel von Kursen für Studierende und Menschen mit Lernschwierigkeiten. Gefördert wurde das Lehrprojekt im Rahmen des Universitätskollegs der Universität Hamburg (01.04.2019-31.10.2020).


Internationale COVID-19-Studie zum Belastungserleben von Menschen mit und ohne Beeinträchtigung

Mit der Studie „Cross-cultural online survey on the impact of COVID-19 among persons with and without disabilities” wollen Prof. Dr. Iris Beck und Dr. Katharina Silter in Kooperation mit der Michigan State University und der Hochschule Zittau/Görlitz zu den Folgen von COVID-19 forschen. Das Projekt, welches mit 16.500€ von der Abteilung Internationales der Universität Hamburg gefördert wird, erhebt in internationaler Kooperation die Auswirkungen der Pandemie auf Menschen mit Behinderungen seit dem Beginn der Lockdown-Maßnahmen im März 2020.


IMPAK-Projekt nimmt Stellung zu Corona und komplexer Beeinträchtigung und ruft zur Unterstützung einer Covid-19-Studie auf.

Das IMPAK-Forschungsprojekt untersucht die Handlungsspielräume von Menschen mit komplexen Beeinträchtigungen, die in Wohnangeboten leben. In der öffentlichen Diskussion über Risiken im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie finden Menschen mit Behinderung insgesamt wenig Beachtung. Gerade die Menschen mit komplexen Beeinträchtigungen erfordern aber in besonderem Maß Aufmerksamkeit. Das IMPAK-Projekt hat zur aktuellen Situation und zum Forschungsbedarf eine Stellungnahme verfasst: Stellungnahme des IMPAK-Forschungsprojektes zur Corona-Pandemie und der Situation von Menschen mit komplexen Beeinträchtigungen

Das IMPAK-Projekt unterstützt in diesem Zusammenhang die Studie „Erwachsene mit und ohne Behinderung“, die die Auswirkungen der Corona-Pandemie international erhebt. Hier finden Sie den Unterstützungsaufruf mit Links zur Studie: Bitte um Unterstützung der Covid-19-Studie "Erwachsene mit und ohne Behinderung" der Universität Michigan


Partizipative Forschungswerkstatt – ein Lehrlabor des Universitätskollegs

Eine diversitätssensible Lehre gehört zu den Schlüsselherausforderungen von Hochschulen – prioritäres Thema ist unter anderem Inklusion im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention. Das Projekt zielt auf die Leerstelle einer forschungsorientierten Lehre von und durch Inklusion, d. h. einer hochschuldidaktischen Ermöglichung inklusiver Lern- und Bildungsprozesse und handlungsorientierter Kompetenzentwicklung, gemeinsam von Studierenden und Menschen mit Lernschwierigkeiten (sog. kognitiver Behinderung). Hochschulbildung professionalisiert derart für außerschulische pädagogische Handlungsfelder und erkennt Expertenschaft aller Beteiligten an: Inklusion lernen, lehren und erfahren. Sie wollen mehr erfahren? Hier geht’s zum Blog des Lehrprojekts.