„Die Akademie bietet Chancen, die nicht immer gleich in Produkte münden müssen“Britta Lübke als Young Fellow der Akademie der Wissenschaften Hamburg im Gespräch
12. Dezember 2024
Foto: AdWHH / Jann Wilken
Die Akademie der Wissenschaften in Hamburg hat im September sieben herausragende junge Forschende aus Norddeutschland als neue Young Academy Fellows aufgenommen. Unter ihnen ist Dr. Britta Lübke und damit erstmals ein*e Wissenschaftler*in der Fakultät für Erziehungswissenschaft und erstmals ein*e Erziehungswissenschaftler*in als Young Academy Fellow. Britta Lübke arbeitet in der Biologiedidaktik und koordiniert den fakultären Forschungsschwerpunkt „Ungewissheit als Dimension pädagogischen Handelns“. Im Interview haben wir Britta nach Wünschen und Erwartungen für die Aufnahme in die Akademie der Wissenschaften gefragt.
Die Akademie und auch die aktuellen Fellows kommen aus allen wissenschaftlichen Disziplinen. Wie kannst du die Akademie in deiner Forschung zum Umgang mit Ungewissheit im Biologie-Unterricht nutzen?
Ich habe mich beworben, weil alle Akademien der Wissenschaften und insbesondere diejenige in Hamburg sehr interdisziplinär zu aktuellen Fragestellungen ausgerichtet sind. Mein Thema, also Ungewissheit im Kontext biologischer Themen und im Kontext Unterricht, ist letztendlich auch interdisziplinär. Ich selbst bin in der Erziehungswissenschaft und der Fachdidaktik sozialisiert. Ich finde aber wichtige Theoriegerüste und Anregungen in Disziplinen wie der Wissenssoziologie und Wissenschaftstheorie, der Philosophie oder auch den Gesellschaftstheorien von beispielsweise Zygmunt Bauman oder Ulrich Beck.
Die findest du ja auch in der Bibliothek. Warum ist die Akademie dafür wichtig?
Ich bin überzeugt davon, dass sich Dinge und Denken im Diskurs ändern. Interdisziplinär allein zu denken ist anstrengend und auch nicht gewinnbringend, weil man Denkgrenzen im Gespräch überwindet. Ich bin in meinem eigenen Fach sozialisiert, und ich möchte mich austauschen mit Forschenden mit anderen Deutungen und Grundprämissen über die Welt. Es bringt mich weiter auch für eine Metaperspektive auf mein Thema, den Umgang mit Ungewissheit, wenn ich mehr Kontexte sehen kann, in denen (und das teilweise bereits sehr lange) Ungewissheit verhandelt wird. Die Akademie ist ein Diskursraum, und ich kann das nutzen um mich anders in Theorien bewegen zu können.
Welche interdisziplinären Fragestellungen interessieren dich? Mit wem möchtest du dich dafür vernetzen/austauschen?
Ich komme grade erst so als Fellow an und bin noch nicht ganz reingewachsen. YAFs, also Young Academy Fellows, können prinzipiell an allem mitwirken, was die Akademie tut. Mich interessiert insbesondere eine grade im Entstehen befindliche Arbeitsgruppe zum Thema Zukünfte, Utopien und Dystopien. Da spielt Ungewissheit sehr rein, und ich finde interessant, auf die Narrationen von Zukunft und auch von Ungewissheit zu schauen. Meistens ist Ungewissheit negativ konnotiert, etwas Unbekanntes, Bedrohliches. Mich hat da ein Zitat von Carolin Emcke sehr geprägt: „Das Unfertige enthält eine Einladung“. Die Frage, wie Ungewissheit auch in aktuellen gesellschaftlichen Krisen wie der Klima-Krise konnotiert ist, halte ich für sehr wichtig. Wie können Narrationen aussehen, die Ungewissheit nicht immer nur als Problem kennzeichnen, und damit auch eine ganz andere Einstellung dem gegenüber, was wir derzeit noch nicht wissen können, ermöglichen?
Und Konzepte von Ungewissheit sind auch in der Schule relevant …
Ja, da denke ich an die Gewissheitsorientierung des Schulsystems. Es geht oft um das Reproduzieren von Fakten oder Einordnungen von Wissen in richtig und falsch. Manche Schließungen machen durchaus Sinn, zum Beispiel im Prüfungswesen. Zugleich ist die Aufgabe der Schule die Bildung zur Mündigkeit. Schülerinnen und Schüler brauchen für die Zukunft Kompetenzen im Umgang mit Ambivalenz und Ambiguität, sie müssen Ungewissheit aushalten und unter ungewissen Bedingungen Entscheidungen treffen können. Gewissheit ist und wird auch in Zukunft eine Illusion sein, und damit müssen Menschen produktiv umgehen lernen.
Woran arbeitest du derzeit? Lässt sich die Akademiearbeit damit verbinden?
Aktuell treibt mich unter anderem mal wieder die Frage um, warum Ungewissheit meist negativ konnotiert ist. Als ich angefangen habe zu dem Thema zu arbeiten, waren viele eher skeptisch. Die Sorge war, wenn man über Ungewissheit von biologischen Themen und Erkenntnissen spricht, fördere man doch eher Wissenschaftsfeindlichkeit. Wenn man Schülerinnen und Schüler mit Ungewissheit in Kontakt bringe, seien diese frustriert und würden gar nichts mehr lernen wollen. Aber beides stimmt nicht, und das Denken darüber hat sich verändert, es gibt ein grundlegendes Interesse. Ungewissheit in der Erziehungswissenschaft sollten wir nicht nur eng auf den Unterricht bezogen denken, sondern größer. Und dafür ist die Akademie für mich hilfreich: Ich kann meine fokussierte Forschung an der Fakultät für Erziehungswissenschaft verbinden mit einem noch stärker an Gesellschaft orientiertem Denken in der Akademie, und das ist neu.
Du bist die erste Person aus der Erziehungswissenschaft an der Akademie der Wissenschaften in Hamburg …
Ja, das stimmt. Ich habe mich schon einmal beworben, und in diesem Jahr dann wieder – ich wollte das unbedingt! Bis zum Schluss habe ich nicht dran geglaubt, aber dann kam die Mail mit der Zusage. Unter den Mitgliedern der Hamburger Akademie gibt es bisher keine Person aus der Erziehungswissenschaft, die Disziplin ist nicht vertreten. Aber ich finde, die ausgewählte Kohorte, also die sieben Fellows, passen sehr gut inhaltlich zusammen und ich freue mich sehr auf den interdisziplinären Austausch.
Was wünscht du dir für die Beschäftigung mit Ungewissheit im wissenschaftlichen Kontext selbst?
Ungewissheit spielt immer eine Rolle, weil Forschung mit Nichtwissen beginnt und auch oft mit (neuen) Ungewissheiten enden kann. Das Konzept ist eine Chance für die Wissenschaft, auch sich selbst zu reflektieren. Wir können Deutungsangebote machen, nicht Ungewissheit beseitigen. Ungewissheit birgt auch die Chance, immer wieder neu zu denken und nicht gefangen zu sein beispielsweise in einem wissenschaftlichen Paradigma, welches nicht mehr trägt. Wir haben vorläufiges Wissen, wir dürfen das immer neu denken.
Zudem ist Wissenschaft selbst ein System mit hohem Ungewissheitsgrad. Diese sind zum Teil mit existentiellen Unsicherheiten verbunden, wie zum Beispiel die Unsicherheit von Anstellungsverhältnissen oder Karrierewegen. Das kann vom inhaltlichen Arbeiten abhalten. Und auch Wissenschaft operiert in einer Gewissheitslogik, wenn sie sich vorrangig an Zahlen und Zählbarem orientiert. Manche Forschungsansätze wie die rekonstruktive Forschung, die viel Zeit beansprucht, sind unter diesen Bedingungen nicht immer leicht umzusetzen. Auch ich muss derzeit Kompromisse machen zwischen dem, was ich gern tun würde und dem, was ich tun muss um berufbar zu werden. Die Akademie bietet Chancen, die nicht immer gleich in Produkten münden müssen, und die Zeit diese zu nutzen möchte ich mir nun schaffen.