Junge Forschung: Was würde Kant zum Lehren und Lernen mit KI sagen?Alice Watanabe im Gespräch
8. Oktober 2024
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Für einen verantwortungsvollen Umgang mit KI in der Hochschullehre braucht es auch bildungsphilosophische Auseinandersetzungen, sagt Alice Watanabe. Im Interview erklärt sie, welchen Beitrag sie mit ihrer Dissertation dazu leistet.
Zur Reihe „Junge Forschung“
Woran arbeiten eigentlich junge Erziehungswissenschaftler:innen? Und wo können sie aus ihrer Forschungsarbeit interessante Impulse für die Praxis einbringen? In einer neuen Reihe stellen wir junge Forschende aus unserer Fakultät und ihre Arbeit vor - und zwar im Interview mit unserem Leiter der Graduiertenschule, Dr. Markus Friederici.
Liebe Alice, worum geht es in deiner Arbeit?
In meiner kumulativen Dissertation habe ich mich aus bildungsphilosophischer Sicht mit dem Einsatz von KI in der Hochschulbildung auseinandergesetzt. Ausgangspunkt für dieses Thema war, dass ich sowohl Philosophie als auch Bildungswissenschaften studiert habe und mir in der aktuellen Diskussion um KI oft normative Untersuchungen fehlen, die zu einer Wertediskussion über KI-gestütztes Lehren und Lernen anregen. Auf dieser Grundlage habe ich mich entschieden, die Teildisziplin der politischen Philosophie (genauer: die politische Philosophie Hannah Arendts) mit dem Forschungsgegenstand des KI-Einsatzes in der Hochschulbildung zu verbinden, um einerseits ein bildungsphilosophisches Instrument zur Untersuchung des KI-gestützten Lehrens und Lernens zu entwickeln und dieses andererseits in verschiedenen bildungsphilosophischen Untersuchungen anzuwenden. Die Grundidee des Instruments besteht darin, verschiedene Ansätze aus der Philosophie (z. B. Kants Überlegungen zur Mündigkeit) oder Prinzipien aus der Hochschuldidaktik (z. B. Scholarship of Teaching and Learning, Forschendes Lernen) als theoretische Brillen zu verwenden, um den Themenkomplex aus neuen Perspektiven zu betrachten.
Welche Erkenntnisse hast du erhalten?
Eine grundlegende Erkenntnis aus meinem Dissertationsprojekt war, dass der theoretischen Forschung in der Bildungswissenschaft derzeit wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird, vor allem im Vergleich zur empirischen Forschung. Angesichts des disruptiven Potenzials neuer Technologien wie KI wird es jedoch immer wichtiger, sich grundsätzlicher und auch normativer mit Hochschulbildung auseinanderzusetzen, um der Komplexität des Themenfeldes gerecht zu werden. Darüber hinaus konnte ich mit Hilfe meines bildungsphilosophischen Instruments exemplarisch aufzeigen, dass der KI-Einsatz verschiedene Risiken für die Hochschulen mit sich bringt, die mit Kontroll-, Kompetenz- und Sozialverlusten durch KI beschrieben werden können. Mit Hilfe verschiedener philosophischer Ansätze und didaktischer Prinzipien stelle ich außerdem explizite Wege vor, wie diesen KI-Risiken begegnet werden kann.
Welche Relevanz hat dein Dissertationsvorhaben für die Hochschuldidaktik?
Methodisch zeige ich in meiner Dissertation auf, wie bildungsphilosophische Forschung im Bereich der Hochschuldidaktik aussehen und exemplarisch durchgeführt werden kann. Auf der inhaltlichen Ebene erörtere ich, wie theoretische Erkenntnisse über KI in der Hochschulbildung helfen können, das Forschungsfeld aus einer neuen Perspektive zu betrachten und normativ zu reflektieren. In Bezug auf die Hochschuldidaktik wird durch die methodische und inhaltliche Auseinandersetzung deutlich, wie eigenständige philosophische Forschung innerhalb der Bildungswissenschaften aussehen kann und inwiefern diese zu neuen Erkenntnissen über KI-gestütztes Lehren und Lernen führen kann.
Gibt es eine Quintessenz deiner Arbeit?
Um einen verantwortungsvollen Umgang mit KI in der Hochschulbildung zu ermöglichen, bedarf es neben empirischer und konzeptioneller Forschung zum KI-gestützten Lehren und Lernen auch bildungsphilosophischer Ansätze, die Risiken von KI und den Umgang damit normativ reflektieren und Wertediskussionen über neue Technologien an Hochschulen anstoßen.
Zur Person
Alice Watanabe ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Hamburger Zentrum für Universitäres Lehren und Lernen (HUL) im Projekt „Insel der Forschung 2.0“. In ihrer Dissertation untersucht sie den Einsatz von KI in der Hochschulbildung aus einer theoretischen Perspektive und verbindet dabei Ansätze aus der Politischen Philosophie und der Hochschuldidaktik.