„Willkommen an Bord“„Wie ermöglichen wir jungen Menschen mit Krisen und Brüchen in ihrem Leben Zugehörigkeit und Wohlbefinden?“Stefan Köngeter verstärkt die Erziehungswissenschaft
11. April 2024
Foto: privat
Prof. Dr. Stefan Köngeter ist von der Fachhochschule Nordwestschweiz nach Hamburg gekommen und hat im April eine Professur an der Fakultät für Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Sozialpädagogik angetreten. Im Interview erklärt er seine sozialpädagogischen Forschungsfelder, wie er mit Studierenden arbeiten möchte und was ihn mit Kanada verbindet.
Ihr Weg als Wissenschaftler in fünf Sätzen?
Mein Weg als Wissenschaftler begann nicht an der Uni, sondern in meiner ersten WG als Studi, mit einem Mitbewohner, der wie ich Erziehungswissenschaft studierte, und einer Dozentin der Erziehungswissenschaft, der das Haus gehörte, in dem wir die WG hatten. Küchentisch und Hörsaal waren also gleichermaßen wichtig für mein Studium, das ich als Diplom-Pädagoge und Soziologe (M.A.) abschloss. Nach Promotion an der Universität Hildesheim, einem Postdoc-Jahr an der University of Toronto (Kanada) und der Habilitation, ebenfalls in Hildesheim, war ich für vier Jahre Professor für Sozialpädagogik an der Universität Trier. Von 2018 bis 2024 arbeitete ich als Institutsleiter und Professor an Fachhochschulen in St. Gallen und Muttenz bei Basel.
An welchen Forschungsthemen arbeiten Sie derzeit?
Meine anwendungsorientierte Forschung dreht sich um das Handlungsfeld der Kinder- und Jugendhilfe, insbesondere um die Bereiche Heimerziehung und Pflegefamilien. Dabei geht es mir darum, den professionellen Blick auf diese Formen der Hilfe zu dezentrieren, und die Perspektive der Kinder und Jugendlichen auf ihr persönliches Leben in Heimen und Pflegefamilien zu richten. Wie erfahren diese ihre Unterbringung? Wie integrieren sie diese Erfahrungen in ihr persönliches Leben? Wie entwickeln sie Zugehörigkeiten zu Personen und sozialen Orten?
Ein zweiter Bereich meiner Forschung bezieht sich auf die Gestaltung von Organisationen im Bereich der Sozialpädagogik. Hier fokussiere ich Diversität in Organisationen und welche Bedeutung diese für die Erbringung der Angebote durch diese Organisationen hat.
Schließlich interessiere ich mich für die Geschichte der Sozialpädagogik und der Sozialen Arbeit aus einer transnationalen Perspektive und untersuche hier vor allem die Übersetzung von Wissen und Ideen über nationalstaatliche Grenzen hinweg.
Wie erklären Sie Ihre Forschung ganz einfach verständlich?
Da meine Frau Professorin für Soziale Arbeit ist, frage ich sie häufiger um Rat und wir diskutieren viel über die Themen, die uns gemeinsam beruflich beschäftigen. Ansonsten spreche ich mit meinen Kindern und Freund:innen über andere Themen. Aber wenn es denn mal sein muss, könnte die Antwort so lauten: „Drei Fragen stehen bei mir im Mittelpunkt: Wie ermöglichen wir als Gesellschaft jungen Menschen mit Krisen und Brüchen in ihrem Leben Zugehörigkeit und Wohlbefinden? Wie schaffen wir Organisationen, die den Menschen mehr nützen als schaden? Und: Wie können wir lernen, Vielfalt in der Gesellschaft anzuerkennen und wertzuschätzen?“
Zu welchen aktuellen gesellschaftlichen Themen oder Herausforderungen möchten Sie Ihre wissenschaftliche Expertise beitragen (und wie)?
Gerade in einer sich polarisierenden Gesellschaft erscheint es mir für die Erziehungswissenschaft – und insbesondere für die Sozialpädagogik – wichtig, unsere Expertise einzubringen, zwischen widerstreitenden Interessen und in gesellschaftlichen Konfliktlagen Übersetzungsprozesse zu initiieren. Das geschieht im Kleinen, wenn es darum geht in Familien, im Gemeinwesen oder in Organisationen Hilfe zu organisieren, Dialoge zu gestalten und Bildungsprozesse anzuregen. Das gilt auch im Großen, wenn wir in der politischen Gestaltung von Kommunen, Ländern, im Bund und international sozial- und wohlfahrtspolitische Prozesse mit unserer Expertise begleiten.
Worauf dürfen Studierende sich freuen oder gespannt sein?
Ich arbeite in meinen Lehrveranstaltungen sehr gerne projektbasiert, schlage also den Bogen von den theoretischen Grundlagen bis zu denkbaren Anwendungsfällen, für die Interventionen geplant oder durchgeführt werden. Das ist für beide Seiten anspruchsvoll, weil wir uns alle darauf einstellen müssen, dass ein solcher gemeinsamer Prozess nicht vollständig im Vorhinein geplant werden kann. Aber, hey, das ist doch spannend und wir lernen alle etwas dabei!
Was wollen Sie an der Universität Hamburg oder von der UHH ausgehend bewirken?
„Ja, mach nur einen Plan! Sei nur ein großes Licht! Und mach dann noch ’nen zweiten Plan. Geh‘n tun sie beide nicht.“ Brechts Warnung erscheint mir besonders in einer immer stärker kollaborativ ausgerichteten Wissenschaft besonders zeitgemäß. Dennoch: Internationale Forschung zu Organisationsgestaltung, ein Netzwerk zu Diversitätsforschung in Organisationen der Sozialen Arbeit und die Implementierung projektbasierter Veranstaltungen sind zumindest Orientierungsmarker für die nächste Zeit in einem noch zu explorierenden Terrain der Universität Hamburg.
Wie sieht Ihre internationale Zusammenarbeit aus?
Ein Schwerpunktland für mich ist Kanada, und hier insbesondere Toronto, wo es meine Familie und mich immer wieder für längere Zeit hinzieht. Hier habe ich sehr gute Arbeitsbeziehungen zur York University und der Toronto Metropolitan University aufgebaut. Ein zweiter Schwerpunkt ist Israel. Mit Kolleg:innen aus dem Bereich der Kinder- und Jugendhilfeforschung sowie zur Politikforschung habe ich bereits mehrere Forschungsprojekte durchgeführt. Prof. John Gal und Prof. Idit Weiss-Gal hatten wir auch als Gastprofessor:innen an der OST-Ostschweizer Fachhochschule zu Besuch. Selbstverständlich habe ich drittens beste und enge Kontakte mit Kolleg:innen in den Schweizer Fachhochschulen und freue mich hier gemeinsam binationale Projekte zu initiieren. Schließlich bin ich in der European Social Work Research Association und im internationalen Forschungsnetzwerk zu Leaving Care (INTRAC) aktiv.
Worauf freuen Sie sich in Hamburg?
Ich freue mich sehr darauf als gebürtiger Allgäuer und ethnographisch orientierter Sozialwissenschaftler, mich von fremden Routinen und Ritualen sowie neuen Kolleg:innen irritieren und inspirieren zu lassen, und den Duft der weiten Welt in Hamburg zu atmen.
Vielen Dank und einen guten Start in Hamburg!