5 Fragen an Prof. Dr. Ingrid LohmannNeues Lehr- und Forschungsnetzwerk zur Bildungsgeschichte an der Universität Hamburg
26. April 2018, von Claudia-Dorothee Stecher
Foto: KPL
Seit Anfang 2018 arbeiten Prof. Dr. Ingrid Lohmann und Prof. Dr. Sylvia Kesper-Biermann von der Universität Hamburg sowie Prof. Dr. Esther Berner und Prof. Dr. Carola Groppe von der Helmut-Schmidt-Universität (HSU) in einem neuen Lehr- und Forschungsnetzwerk zur historischen Bildungsforschung zusammen. Damit sind sie unter anderem auf der internationalen bildungshistorischen Tagung „International Standing Conference for the History of Education“ (ISCHE 40) in Berlin vertreten. Ein Gespräch mit Mit-Initiatorin Prof. Dr. Ingrid Lohmann, Professorin für Ideen- und Sozialgeschichte der Erziehung.
Stichwort: Historische Bildungsforschung. Womit werden Sie sich in dem neuen Netzwerk inhaltlich beschäftigen?
Wir arbeiten als Bildungshistorikerinnen alle vier eigentlich zu unterschiedlichen Schwerpunkten, haben uns aber für die Zusammenarbeit auf ein Thema geeinigt, das wir alle gleichermaßen untersuchen: die Bildungsgeschichte an der Wende vom 19. zum 20 Jahrhundert.
Welchen Aspekt werden Sie einbringen?
Zum einen beschäftige ich mich mit einem Aspekt der deutschen Pädagogik im 1. Weltkrieg; dazu habe ich eine Diskursanalyse am Beispiel pädagogischer Zeitschriften bzw. Lehrerzeitungen in den Kriegsjahren durchgeführt. Meine Frage dabei lautet: Wie ist der Diskurs über den 1. Weltkrieg damals innerhalb der Pädagogik bzw. innerhalb der Lehrerschaft gestaltet worden? Dazu möchte ich im kommenden Semester auch eine Lehrveranstaltung anbieten.
Zum anderen – und das hängt auch mit unserem Verbundbeitrag zur ISCHE in Berlin zusammen – untersuche ich den Wandel des Türkeibildes in der Zeit um 1900. Das mache ich anhand bestimmter Begrifflichkeiten und Einstellungen, die beim Reden über Türken verwendet wurden und die sich damals stark geändert haben. Zudem schaue ich mir die zur damaligen Zeit in Teilen des Osmanischen Reichs von deutschen Akteuren eingerichteten Agrarkolonien an. Die sind wissenschaftlich schon beleuchtet worden, allerdings noch nicht daraufhin, wie sie auf das pädagogische Feld in Deutschland rückgewirkt haben.
Wie ist das Netzwerk entstanden?
Uns wurde bei einem Treffen kürzlich klar, dass es eine einzigartige regionale Konstellation ist, die wir hier aufgrund der Dichte der Hochschullandschaft in Hamburg haben: vier aktiv lehrende und forschende Kolleginnen, die im Bereich der historischen Bildungsforschung arbeiten. Das gibt es sonst nirgends in Deutschland, und daher war die Gründung eigentlich unglaublich naheliegend. Aber es hat dann doch einen Anstoß gebraucht. Das war der „Call for Papers“ für die vorhin schon angesprochene nächste ISCHE.
Wie sieht die Kooperation innerhalb des Netzwerkes aus?
Als wir zu viert beschlossen haben, das Netzwerk zu gründen, haben wir natürlich überlegt, wie Synergien geschaffen werden können. Da kam die ISCHE gerade recht, deren Thema in diesem Jahr „Education and Nature“ ist. Wir haben in diesem Zusammenhang beschlossen, unsere Beiträge dazu konzeptionell unter dem Terminus der „Landnahme“ zusammenzuführen.
Der Begriff wurde um 1913 von Rosa Luxemburg geprägt, um zu erklären, wie aufgrund der Konkurrenz der Kapitale ein fortwährender Zwang zur Anhäufung von immer mehr Kapital besteht. Zum Beispiel ist mit ‚äußerer Landnahme‘ gemeint, dass bisher nicht-kapitalistische Länder oder nicht-kommerzialisierte Gesellschaftsbereiche ins Kapitalverhältnis gezogen werden, etwa durch Kolonialisierung. In den kolonialisierten Ländern werden dann Arbeitskräfte und sonstige Ressourcen für die Intensivierung der Landwirtschaft oder der Rohstoffförderung zugunsten der Kolonialmacht ausgebeutet.
Auf der ISCHE veranstalten wir ein eigenes Panel zu verschiedenen Aspekten dessen im pädagogischen Feld um 1900. Das ist ein erster Schritt. Im nächsten Schritt entsteht aus unseren individuellen Forschungsinteressen eventuell ein gemeinsames Projekt. Vor allem aber besteht unsere Kooperation in der Lehre und in der Nachwuchsförderung.
Wie profitieren die Studierenden von dem Netzwerk?
Wir haben ein bildungshistorisches Kolloquium angesetzt, bei dem wir ab Juni Studierende, die bei uns in Qualifikationsphasen sind – also entweder Masterarbeit, Dissertation oder Habilitationsschrift verfassen – zusammenbringen wollen. Dort sollen die Projekte zur Diskussion gestellt und besprochen werden. Es schaut also nicht nur eine Erstbetreuerin auf die Arbeit, sondern mehrere Professorinnen und die weiteren Teilnehmenden; sie geben in diesem geschützten und solidarischen Raum Rückmeldung. Wir gehen davon aus, dass das produktiv fördernd und unterstützend wirkt. Vor allem für die Jüngeren wird es außerdem sicher auch ein Ansporn sein, vor dieser Gruppe aus rund 15 Leuten zu bestehen.
Darüber hinaus haben wir vor, im kommenden Herbsttrimester der HSU, das ja etwas früher beginnt als unser Wintersemester 2018/19, einen Seminarverbund anzubieten. Jede von uns hält eine Veranstaltung zu dem Rahmenthema „Jahrhundertwende 1900 – internationale Perspektiven der Bildungsgeschichte“, wobei wir die natürlich gemeinsam planen und inhaltlich konzipieren werden. Diese vier Seminare führen zu zwei Blockterminen, bei denen wir dann alle Gruppen zusammenbringen. So bieten wir den Studierenden die Möglichkeit, Einblick in die anderen Seminare zu bekommen, die sie sonst gar nicht besuchen könnten.
Das Interview führte Anna Priebe: https://www.uni-hamburg.de/newsroom/forschung/20180426-forschungsverbund-bildungsgeschichte.html
Weitere Informationen: http://www.erzwiss.uni-hamburg.de/NWHHBH/
Kontakt
Prof. Dr. Ingrid Lohmann
Fakultät für Erziehungswissenschaft
Von-Melle-Park 8
20146 Hamburg
Tel.: +49 40 42838-4749
E-Mail: Ingrid.Lohmann"AT"uni-hamburg.de