Zusammenfassung des Podcast Bildungsschnack im Oktober 2022: Dies ist eine schriftliche Zusammenfassung des Gespräches und darf ausschließlich nach Abstimmung mit der Urheberin (Fakultät für Erziehungswissenschaft, UHH) weiterverwendet werden.
Theater für Alle: In der Schule und im TheaterSprachCamp
Schlagworte: Theaterpädagogik, Bildungschancen, TheaterSprachCamp
Moderation: Dr. Katrin Steinvoord
Intro
Herzlich Willkommen zu einer neuen Folge unseres Podcast Bildungsschnack. Wie jeden Monat wollen wir auch heute ein spannendes Forschungsprojekt aus der Fakultät für Erziehungswissenschaft der Universität Hamburg unter die Lupe nehmen.
In der dieser Folge habe ich Herrn Prof. Dr. Wolfgang Sting zu Gast (sinngemäße Zusammenfassung des Gesprächs):
Was ist Theaterpädagogik?
Zunächst berichtet Herr Prof. Sting von der Theaterpädagogik als eine der drei künstlerischen Pädagogiken (plus Musikpädagogik und Kunstpädagogik). Theaterpädagogik meint dabei „die Beschäftigung mit Theater im Kontext von Lern- und Bildungsprozessen“, so Herr Prof. Sting. Theaterpädagogik heißt hier vor allem auch Theater machen mit Menschen, die dies nicht als Beruf ausüben. Hierbei wird immer ein ästhetisch-künstlerischer und aber auch ein didaktisch-pädagogischer Fokus gesetzt. Das Ziel von theaterpädagogischen Projekten – egal ob innerschulisch oder außerschulisch – ist immer, intensive künstlerisch-ästhetische Lern- und Bildungsmomente zu schaffen.
Theater als Schulfach
Theater als Schulfach kämpft immer schon um Anerkennung. Theater ist eine gesellschaftlich-soziale Kommunikationsform, die eigentlich in allen ethnischen und weltlichen gesellschaftlichen Kontexten wichtig ist. Theater wird gesehen als die Auseinandersetzung des Menschen mit dem Menschen in der öffentlichen Präsentation. Dabei geht es vor allem auch darum, dass jeder theaterspielen kann und jeder spielt permanent Theater (unterschiedliche Rollen den ganzen Tag). Das ist auch der Grundfokus, mit dem Theaterpädagogik in die Schule geht: Wir können alle theaterspielen und wir sind alle Experten des Theaterspielens. Theater ist aber auch immer eine Darstellungsform, in der etwas dargestellt wird vor Publikum. Das Publikum ist hier auch das Unterscheidungsmerkmal, welches das Theaterspielen vom kindlichen Spielen unterscheidet. Das Kinderspiel wird zum theatralen Spiel, sobald das Spiel vorgeführt wird.
Theater als Schulfach ist dabei zumeist projekt- und praxisorientiert mit vier Lern- bzw. Kompetenzbereichen:
- Theater erfahren und Theater begreifen: Die Grundlagen des szenischen Spiels selber ausprobieren.
- Theater gestalten und vermitteln: Das Spiel wird mit anderen zusammen oder zu einem bestimmten Zweck gestaltet.
- Theater reflektieren: Es wird reflektiert, was habe ich gemacht, wie hat das funktioniert, wie kann ich mit anderen zusammenspielen? Unterschiedliche Ästhetiken werden analysiert.
- Theater als kulturelle Teilhabe erleben: Theater soll als Kunstform wahrgenommen werden, die die gesellschaftliche Kommunikation mitgestaltet. Facettenreichtum des Theaters (Kindertheater, Straßentheater, Tanztheater, Bewegungstheater und viele mehr) wird betont und die Zugänglichkeit für ALLE aufgezeigt.
Theater als Schulfach wird in Hamburg von der ersten Klasse bis zur Oberstufe und sogar als Abiturfach unterrichtet. Hierbei werden sowohl die genannten fachlichen Ziele angestrebt, aber auch eine Vielzahl überfachliche Dimensionen angesprochen. Theater als Spiel ist eine sehr intensive Selbst- und Gruppenerfahrung. Es wird viel über den eigenen Körper gelernt: Was kann ich überhaupt?, Wo liegen meine Grenzen? und Wie möchte ich mich ausdrücken? – dies sind Fragen und Reflexionsziele, die durch das Theaterspielen an der Schule erlernt werden können. Theater als Kunstform ist aber auch immer eine Auseinandersetzung mit Anderen. Daher sind soziales Lernen und Teamfähigkeit auch zwei Dimensionen, die zu den überfachlichen Lernzielen gehören. Pädagogisch hat man außerdem die Fürsorge, dass die Spieler:innen nur das auf der Bühne zeigen, was sie auch wollen bzw. sich trauen.
Mediale/Digitale Gestaltung des Theaterunterrichts
Theaterunterricht, als ein leibliches und präsentes Liverlerlebnis, musste zu Anfang der Coronapandemie erst einmal in ein digitales oder mediales Erleben übersetzt werden. Inszenierungskompetenz und Inszenierung im öffentlichen und privaten Raum sind jedoch Themen, die viele Jugendliche beschäftigt. In der Theaterdidaktik wurden daher zum Teil – vor allem in der digitalen Isolation – auf Formate wie TikTok oder Instagramm zurückgegriffen und Inszenierungsformen dort analysiert. Theaterunterricht, egal ob an der Universität oder in der Schule, „heißt immer, ein reflexives Theaterverständnis zu haben“ oder sich zumindest anzueignen, so Herr Prof. Sting. Mit diesen Digitalen Formaten können daher die aktuellen Inszenierungsvorstellungen der Jugendlichen analysiert und reflektiert werden. Daher ist die einhellige Meinung aller Theaterpädagogen, sich der digitalen Welt anzunehmen und sie zu integrieren, aber das Miteinander im Theaterraum immer noch im Vordergrund wirken zu lassen.
Hamburger TheaterSprachCamp
Das Hamburger TheaterSprachCamp (TSC) wird seit mittlerweile 15 Jahren jedes Jahr in den Sommerferien durchgeführt. Als Kooperationsprojekt ist die Behörde für Schule und Bildung und die UHH (mit den Fächern Theaterpädagogik und Deutschdidaktik) beteiligt. Als dritte Partnerorganisation ist auch das Jugenderholungswerk mit an der Durchführung beteiligt. Beim TSC können Kinder im Alter von 8-10 Jahren (Übergang 3. zu 4. Klasse) drei Wochen lang wegfahren. Diese Sprachförderung ist bewusst als dreiwöchige Ferienfreizeit angelegt, was sowohl für die Kinder als auch die Betreuer:innen durchaus eine Herausforderung darstellt. An mehreren Orten in Deutschland sind die Kinder dann die ganze Zeit betreut und erfahren und erleben dort ein Programm, was sich aus Theaterspielen, Tanzen, lesen, Schreibübungen, Gruppenspielen und Freizeitprogramm zusammensetzt. Jedes Jahr gibt es acht bis zehn Camps mit jeweils 25 Kindern und sechs Betreuer:innen (zwei Theaterpädagog:innen, zwei Sprachpädagog:innen, zwei Freizeitpädagog:innen (Jugenderholungswerk)). An der Fakultät für Erziehungswissenschaft werden die Studierenden, die in den Sommerferien als Betreuer:innen mitfahren, im vorhergehenden Sommersemester in Vorbereitungsseminaren hierfür geschult.
Die Kinder werden in dem Programm dort abgeholt, wo sie sind. Denn mitfahren dürfen nur Kinder, die einen Sprachförderbedarf haben. Oftmals sind das Kinder mit Migrations- oder Flüchtlingshintergrund (hier v.a. die Herausforderung von anderer Herkunftssprache) oder Kinder mit Deutsch als Erstsprache, die dann Lernschwierigkeiten im Bereich Sprache mitbringen. Die Mehrsprachigkeit der Kinder wird in den Camps immer mit aufgegriffen und eingebunden. Für die Kinder ist Deutsch als Bildungssprache eine Herausforderung, bei der das TSC unterstützend helfen kann/will. Dies ist besonders wichtig, da das Niveau in der Bildungssprache ganz entscheidend ist für die Akzeptanz und die Teilhabe im Bildungssystem und die späteren Berufsaussichten.
Ziele des Theatersprachcamps
Die Kinder sollen in spielerischer Form in das Deutsch sprechen hereinwachsen (können). Es gibt dabei immer ein kleines Buch, welches die drei Wochen hindurch auf unterschiedlichste Art und Weise mit eingebunden wird. Dieses kann vorgelesen und nachgespielt werden oder es werden beispielsweise auch Geschichten dazu erfunden. Das heißt, sie sollen sich „untereinander, mit den Betreuern und über die Spiel- und Sprachelemente“ mit der Sprache auseinandersetzen, so Herr Prof. Sting. Der wohlwollende Lernkontext spielt bei den TheaterSprachCamps eine sehr große Rolle. Daher sollen die Kinder auch durch Gruppenspiele eine gute Gemeinschaft erleben und auch (oft das erste Mal) eine Freizeiterfahrung machen. Die Erfahrungen der letzten Jahre haben gezeigt, dass diese Camps für die Kinder oft auch eine große Entwicklung im Selbstbewusstsein und der eigenen Persönlichkeit fördern. Es werden hier Situationen geschaffen in denen die Kinder gerne Sprechen, lustvoll und frei Sprechen können; anders als dies im Regelunterricht oft möglich ist. Theater ist dabei ein tragendes Element, weil es ganz viele Sprachen sprechen kann: Sprechen in der Rolle, Sprechen ÜBER das was ich gemacht habe, Körpersprache und Ausdruck. Die multinationalen Herkünfte, mit den jeweiligen Sprachen, Tänzen und Liedern werden in die Camps miteingebunden.
TSC in der Lehrer:innenbildung
Die Studierenden (Theater- und Deutschpädagogik) können sich das TheaterSprachCamp als eines der Pflichtpraktika (Integriertes Schulpraktikum (altes Lehramtsstudium)/Orientierungspraktikum (neues Lehramtsstudium) oder als Kernpraktikum) anrechnen lassen. Viele Studierende nehmen aber auch über das erste (formal wichtige) Mal heraus an den TheaterSprachCamps als Betreuer:innen teil. Die Studierenden berichten ganz intensive Auseinandersetzungen und tolle Lernerfahrungen mit den Kindern, die im Regeschulbetrieb in dieser Form nicht möglich erscheinen.
Es gibt eine Vielzahl an Forschungsfragen, die im Rahmen der Theatersprachcamps bearbeitet werden, z. B.:
- Was für Übungen oder welche Form von Theater brauchen Kinder mit besonderem Förderbedarf?
- Wie wird diese körperliche Erfahrung des Theaterspielens bei den Kindern wichtig und wie muss sie angeleitet werden?
- Wie kann Theaterspielen helfen beim Umgang mit dem Thema „Fremdheit“.
Outro
Dies war eine Folge vom Bildungsschnack. Jeden Monat wird hier ein Forschungsprojekt der Fakultät für Erziehungswissenschaft der Universität Hamburg vorgestellt – wenn Sie wissen wollen, zu welchen Themen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an unserer Fakultät forschen, wie genau sie das eigentlich machen und welche Relevanz das für Bildung und Gesellschaft hat, dann abonnieren Sie uns bei Spotify oder iTunes oder besuchen uns auf der Seite des Bildungsschnacks.
Danke für’s Zuhören, Tschüss und bis zum nächsten Mal!