Februar: Klimaforschung trifft Bildung
20. Februar 2020, von Bente Gießelmann
Foto: UHH/Giesselmann
Prof. Dr. Sandra Sprenger und Mareike Schauß (Geographiedidaktik) erforschen, was passiert, wenn Schülerinnen und Schüler mit Klimaforscherinnen und -forschern zusammenarbeiten, was das für das Verständnis der Jugendlichen von Wissenschaft bedeutet und warum die Kooperation gerade beim Thema Klimawandel so gut funktioniert.
Innerhalb des Gespräches finden sich kurze Audiomitschnitte aus Interviews mit Schülerinnen und Schülern im Rahmen des Forschungsprojektes.*
Das Interview führte Bente Gießelmann.
Starten wir mit dem Projekt „Schulprojekt Klimawandel“: Was passiert da genau?
Mareike Schauß: Das Projekt wird seit einigen Jahren an mehreren Schulen in Hamburg durchgeführt. Die Schülerinnen und Schüler fertigen eine wissenschaftsnahe Hausarbeit zu einem klimarelevanten Thema an und werden im gesamten Prozess von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowie Meteorologie-Studierenden betreut. Das heißt, sie können immer wieder Nachfragen stellen, wenn sie sich fachlich unsicher sind, und auch Lehrkräfte haben die Möglichkeit, Rückfragen zu stellen. Das Besondere ist, dass die Kinder mit authentischen Klimadaten arbeiten können – selbstverständlich etwas vereinfacht – und auch die Forschungseinrichtungen wie das Deutsche Klimarechenzentrum besuchen. Dabei beschäftigen sie sich mit einer Frage zum Klimawandel, die sie persönlich interessiert.
Was ist euer Anteil am Projekt?
Schauß: Wir wollten in unserem Forschungsprojekt „Klimaforschung trifft Bildung“ herausfinden, inwieweit die Teilnahme am „Schulprojekt Klimawandel“ das Wissenschaftsverständnis der Schülerinnen und Schüler beeinflusst. Dabei haben wir in einem Prä-Post-Design gearbeitet, das heißt, wir haben die Schülerinnen und Schüler vorher und hinterher befragt.
Audio-Impuls: Überraschungen
Was bedeutet „Wissenschaftsverständnis“?
Schauß: „Wissenschaftsverständnis“ ist im Prinzip eine Kompetenz, die zeigt, inwieweit Schülerinnen und Schüler ein Verständnis von wissenschaftlichen Daten haben: dass die Daten immer mit Unsicherheiten behaftet sind, dass sie sich laufend weiterentwickeln, dass sie nie 100% und für alle Zeit richtig sind, dass sie immer einem Prozess unterworfen ist und dass man damit in der Wissenschaft umgehen muss. Und das ist ja gerade auch in der Klimawissenschaft ganz wichtig, weil dort modellierte Daten der Zukunft vorliegen und man nicht in eine Glaskugel schauen kann. Das ist Wissenschaft, und dieses Verständnis soll auch bei Schülerinnen und Schülern gefördert werden. Und in den Interviews zeigt sich, dass sie auf jeden Fall einen enormen Wissenszuwachs hatten, was die wissenschaftliche Erkenntnisgewinnung angeht.
Audio-Impuls: Klima-Wissen
Warum funktioniert das genau beim Thema Klimawandel oder der Klimaforschung so gut?
Sandra Sprenger: Das hat mehrere Gründe. Auf der einen Seite werden im UNESCO-Weltaktionsprogramm „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ verschiedene Inhaltsfelder ausgewiesen – und eins davon ist Klimawandel. Allein dadurch hat es schon eine Bedeutung für Bildungsprozesse. In der Geografie sind Klima und Klimawandel schon seit vielen Jahrzehnten Gegenstand der Lehrpläne. Auf der anderen Seite gibt es Befunde, die zeigen, dass Schülerinnen und Schüler, aber auch viele Lehrkräfte nicht über das notwendige Wissen zum Klimawandel verfügen, um zum Beispiel Klimaschutzkonzepte zu verstehen. Daher ist es notwendig, „informierte Entscheider“ auszubilden: Schülerinnen und Schüler sollten am Ende der Sekundarstufe I das Wissen haben, das sie befähigt, an gesellschaftlichen Entscheidungsprozessen sinnvoll teilzunehmen.
Gesellschaftliche Entscheidungen betreffen ja aber nicht nur den Klimawandel.
Sprenger: Grundsätzlich wäre ein solches Projekt natürlich zu vielen anderen Themen auch möglich, etwa Biodiversität oder Katastrophenvorsorge. Es gibt aber bei dem Thema Klimawandel einfach eine sehr gute Wissensinfrastruktur, gerade am Standort Hamburg als einem Zentrum der Klimaforschung, wo sehr viele Daten frei verfügbar vorliegen, sodass auch die Schülerinnen und Schüler mit Original-Daten arbeiten können. Dazu gibt es hier sehr viele Einrichtungen der Klimaforschung, die man mit den Schülerinnen und Schülern besuchen kann. Diese authentischen Lernorte sowie der persönliche Kontakt mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sind wichtig.
Ist es auch ein Faktor, dass das Thema Klimawandel momentan sehr stark in der öffentlichen Debatte präsent ist?
Schauß: Wir haben mit dem Forschungsprojekt angefangen, bevor es die Fridays-for-Future-Bewegung gab, aber durch diese Bewegung sieht man natürlich, dass es für die Schülerinnen und Schüler von direkter Relevanz ist. Umso wichtiger ist es, sie mit adäquatem Wissen auszustatten – nicht nur zu den Folgen und Ursachen des Klimawandels, sondern auch zu Konzepten wie Unsicherheit.
Stichwort „Unsicherheit“: Wo und wie zeigt sich diese Unsicherheit?
Sprenger: Dass es den Klimawandel gibt, ist wissenschaftlicher Konsens. Dieser Konsens ist beispielsweise im Klimareport IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) festgehalten. Unsicherheit ergibt sich aber bezogen auf Bildung an verschiedenen Stellen: Wir haben die schon erwähnte faktische Unsicherheit, weil in der Klimaforschung und -prognose mit Wahrscheinlichkeiten gearbeitet werden muss. Das hat unmittelbare Auswirkungen auf Bildungsprozesse und auf die Lehrkräfte. Sie müssen die oft komplexen Themen nachverfolgen und schnell erfassen. Das ist eine große Herausforderung, auf die wir sie vorbereiten und bei der wir sie unterstützen möchten. Unsicherheit betrifft aber auch die Schülerinnen und Schüler, weil sie keine Vorstellung davon haben, wie ihre Welt in Zukunft genau aussehen wird und was ihre Handlungen genau bewirken können beziehungsweise wo ihre Handlungsspielräume liegen.
Audio-Impuls: Erkenntnisse
Wie wird im klassischen Unterricht damit umgegangen?
Sprenger: Was die schulischen Materialien eigentlich sehr gut abbilden, sind die „klassischen Themen“ zu Wetter und Klimawandel, also Ursachen, Folgen oder Auswirkungen. Andere Themen wie das Wissenschaftsverständnis oder eben der Umgang mit Konsens und Unsicherheit werden zu wenig abgebildet. Ein weiteres Problem ist auch, dass das Thema nur auf wenigen Schulbuchseiten überhaupt transportiert wird. Wir bräuchten eigentlich eine Ausweitung und Aktualisierung von Schulbüchern, Lehrplänen, Bildungsplänen.
Welche Bedeutung seht ihr in der Idee, Forschung in die Schule zu bringen?
Sprenger: Es ist häufig so, dass Schulbücher oder andere Materialien schon einige Jahre alt sind, weil die Entwicklung und Überarbeitung sehr zeitaufwendig ist. Durch den engen Kontakt zur Forschung ist es möglich, brandaktuelle Themen ohne Umwege im Unterricht aufzugreifen – auf Grundlage neuester Daten. Und es ist auch Nachwuchsförderung: Wir haben im Projekt gesehen, dass Schülerinnen und Schüler in Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern Rollenvorbilder sehen und sich ein Gebiet erschließen, das sie sich allein mit Text und Inhalten aus Schulbüchern keinesfalls erschließen könnten.
Der Klimawandel ist grade im gesellschaftlichen Diskurs ein großes Thema. Die UHH hat sich jüngst in aller Deutlichkeit positioniert, dass Klimawandel keine Glaubenssache ist. Gleichzeitig gibt es Akteure, die versuchen, Klimathemen herunterzuspielen. Ihr habt eben von Unsicherheit und der Vorläufigkeit von Wissen gesprochen. Gleichzeitig ist wissenschaftliches Wissen die Grundlage für politische Entscheidungen, aber auch für Bildungskonzepte. Wie kann man mit diesem Spannungsverhältnis umgehen?
Schauß: Wenn man weiß, wie wissenschaftliche Daten zustande kommen, dann ergibt sich daraus, dass sie immer mit Unsicherheiten behaftet sind, aber das macht sie deshalb nicht weniger wertvoll – im Gegenteil. Auf dieser Basis kann man dann Entscheidungen treffen oder sich positionieren. Wenn man diesen Entstehungshintergrund nicht kennt, wird es schwierig, weil man sich dann schnell von Meinungen oder falschen Tatsachen beeinflussen lässt.
Sprenger: In Bildungsprozessen muss man sichtbar machen, dass es diesen wissenschaftlichen Konsens gibt, und natürlich innerhalb des Konsenses Unsicherheiten, Nuancierungen oder unterschiedliche Ausgestaltungen. Mit Schülerinnen und Schülern kann man erarbeiten: Bis wohin besteht Konsens und Zuverlässigkeit, und wo fängt die Unsicherheit an?
Wo seht ihr, auch im Anschluss an das Projekt, weitere Forschungsbedarfe?
Sprenger: Es gibt einen großen Bedarf, konkret in den Unterricht hineinzuschauen, also Beobachtungen anzustellen: Was passiert im authentischen Unterricht im Klassenraum zum Thema Klimawandel? Viele Studien arbeiten mit Fragebögen und Selbstaussagen, aber der Blick in das reale Unterrichtsgeschehen kommt bisher noch zu kurz.
Was ist euer persönliches Fazit bisher?
Schauß: Ich bin ja selbst auch als Lehrerin seit sechs Jahren an einem Hamburger Gymnasium tätig. Ich habe gelernt, dass langfristig angelegte Projekte sehr wertvoll sind, weil man eine andere inhaltliche Tiefe bekommt und die Schülerinnen und Schüler sehr viel mitnehmen. Diese Projekte brauchen Zeit, aber es lohnt sich! Und grade jetzt ist das Thema Klimawandel bei den Schülerinnen und Schülern sehr präsent, in ihrem Leben und Alltag, und das ist eine unfassbare Chance, die man in der Schule und in der Ausbildung von Lehrkräften jetzt nutzen muss.
Sprenger: Ich finde es wichtig, dass die verschiedenen Akteure sich miteinander verständigen: Klimawissenschaftlerinnen und -wissenschaftler genauso wie Akteure aus dem Bildungsbereich. Dieses Thema kann man nur gemeinsam umfassend bearbeiten.
Danke für das Gespräch!
* Die Audio-Aufnahmen sind nahezu wortgetreu aus den Interviews des Projektes entnommen, wurden jedoch aus datenschutzrechtlichen Gründen von anderen Schülerinnen und Schülern nachgesprochen. Danke an die Sprecherinnen und Sprecher!
Weitere Informationen
Das Schulprojekt Klimawandel stellt eine Kooperation zwischen Schulen und der Klimaforschung dar. Schülerinnen und Schüler im Alter von 16-18 Jahren beschäftigen sich nach eigenem Interesse über einen Zeitraum von drei bis sechs Monaten mit einer klimarelevanten Fragestellung und werden in dieser Zeit von Meteorologie-Studierenden sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Klimaforschung unterstützt. Das Schulprojekt Klimawandel leistet demnach einen Beitrag zur Klimabildung, fördert die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit klimarelevanten Themen und vernetzt Schulen mit der Klimaforschung.
Informationen über die Geographiedidaktik sowie weitere Forschungsprojekte finden Sie hier.