Studierende auf Lernreise„Wir sind der Frage nähergekommen: Was kann Schule alles noch sein?“
2. Juli 2024
Foto: privat
Die drei Lehramtsstudent:innen Caroline Beck, Miriam Menke und Tharchis Soosainathan waren gemeinsam mit weiteren Studierenden mit ihrem Projektseminar auf „Lernreise“ quer durch Deutschland. Unter anderem befassten sie sich dabei mit der Frage „Wie geht ,gute‘ Schule?“. Sie erzählen im Gespräch mit unserem Studierenden Jannis Müller von ihren spannenden Erlebnissen und eigenen Lernerfahrungen.
Um das Lehr- bzw. Lern-Konzept der „Lernreise“ knapp zusammenzufassen: In diesem studentisch organisierten Projektseminar machen sich die Studierenden auf die Reise zu „gelingenden Schulen“ (Pressemeldung von November 2023) und kommen „in Kontakt mit pädagogischen Vorbildern und Beispielen gelingender Schulpraxis. Angehende Lehrer:innen entdecken Gestaltungsmöglichkeiten von Schule und setzen sich mit ihrer eigenen pädagogischen Haltung auseinander.“ So schreibt es der studentisch organisierte Verein Kreidestaub e.V., der mit der Universität Hamburg für dieses Projekt kooperiert - gefördert wird es von der Zeit Stiftung Bucerius.
Es geht also darum, den Lehramtsstudierenden durch dieses Projekt mehr Praxiserfahrungen und -bezug zu ermöglichen, denn häufig lernen sie während des Studiums in den Praxisphasen nur einzelne Schulen kennen und die inhaltlich-theoretische Auseinandersetzung in den Lehrveranstaltungen wird teilweise als nur wenig praxisbezogen erlebt. Tharchis Soosainathan (Student Lehramt an Gymnasien M.Ed.), Caroline Beck (Studentin Lehramt an Gymnasien M.Ed.) und Miriam Menke (Studentin Lehramt der Primar- und Sekundarstufe I M.Ed.) setzen sich nun für die Lernreise als fortbestehendes, praxisnahes Lehrangebot im Masterstudiengang Lehramt ein, bauen als Mitglieder von Kreidestaub e.V. derzeit den Standort in Hamburg auf und übernahmen auf der ersten Lernreise im Wintersemester 23/24 direkt die Gruppenleitung. Die wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen Dr. Maren Plaum und Dr. Franziska Carl unterstützten sie dabei.
Wie eine Lernreise funktioniert und was sie Studierenden bringt
Der erste Durchgang des Projektseminars erfolgte in drei Abschnitten: Zunächst trafen sich die Teilnehmenden 14-tägig zur Vorbereitung und Planung der Reise. Dabei setzten sie sich aus wissenschaftlicher Perspektive mit Kriterien ‚guter‘ Schule und qualitativen Beobachtungsmethoden auseinander und lernten verschiedene Schulkonzepte kennen. Zusätzlich gab es erste Hospitationen an innovativen Schulen in und um Hamburg (u.a. die Neue Schule Hamburg und das Walddörfer Gymnasium) und Austausch mit Expert:innen, die in das Seminar eingeladen wurden. Im zweiten Abschnitt ging es für neun Studierende dann auf die Lernreise und sie besuchten sechs Schulen in vier Bundesländern (Hamburg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg). Viele wertvolle Erfahrungen, einiges Wissen und Erlebnisse wurden dabei gesammelt und am Ende bei einem Abschlussevent präsentiert. Das Projektseminar endete mit einem gemeinsamen Reflexionstag der Studierenden.
Im Gespräch mit den drei engagierten Studierenden ist spürbar, dass die Reflexion über das Erlebte auf der Lernreise auch mit etwas zeitlichem Abstand für sie weitergeht: „Wir haben auf jeden Fall gemerkt, was es für einen Unterschied macht, gemeinsam mit der Gruppe Erlebnisse auf der Reise zu haben, im Gegensatz zu Hospitationen im Seminar – wenn dann alle wirklich für die Sache da sind und der Kopf offen und frei ist, sich gemeinsam Schulen anzusehen. Und dann nach den Erfahrungen aus einer Schule mit neuen Fragen an die nächste Schule heranzugehen. Dieser Prozess, den wir durchlaufen haben, in Bezug auf das Thema Schulentwicklung und auch bezüglich uns als Gruppe, war schon etwas Besonderes“, erzählt Caroline. Weiter sagt sie: „Die erste Nacht haben wir zusammen mit Schlafsäcken in einer Scheune verbracht, das war schon malerisch und ein cooler Kick-Off“. „Wir haben mit einem außerschulischen Lernort gestartet, einem alternativen Ort des Lernens“, fügt Tharchis hinzu, „dann die Neue Schule Hamburg zu sehen, dann ein Internat und dann die Laborschule in Bielefeld – das war schon eine Erlebnisreise und einfach super spannend“. Miriam ergänzt: „Mir fällt vor allem das Wort ,Spirit‘ ein: gerade in der zweiten Woche kam so ein richtiges Gemeinschaftsgefühl, ein ganz besonderer Zusammenhalt in der Gruppe auf. Wir haben da für diese eine Sache gelebt und konnten uns stundenlang zu Schulentwicklung unterhalten.“
Selbstorganisiert auf den Spuren von "guter" Schule
Die Auswahl der Schulen für die Lernreise wurde gemeinsam im Seminar getroffen. Dabei wurde u.a. nach ausgezeichneten Schulen ausgewählt. Die Studierenden konnten aber auch Schulen vorstellen, die sie gern besuchen wollten und danach wurde demokratisch darüber abgestimmt, welche Schulen mit auf den Lernreiseplan kamen. „Es hat sich dann ergeben, dass es alles Schulen mit jeweils besonderen Konzepten wurden, was wirklich bereichernd war“, sagt Tharchis. Einblicke in die Schulen haben die Studierenden vor Ort u.a. durch Hospitationen und Reflexionsgespräche mit Lehrenden, Schulleiter:innen und Schüler:innen bekommen. Ob die drei nun der ‚guten‘, ‚gelingenden‘ Schule nähergekommen sind? „Es gibt sicherlich nicht die eine ,gute‘ Schule“, erläutert Miriam, „ich würde sagen, wir sind der Frage nähergekommen: was kann Schule alles noch sein? Wie kann Schule und Unterricht noch aussehen und wie kann das vielleicht förderlich sein, um z.B. Kompetenzen, die im 21. Jahrhundert gefordert sind, auszubilden? Besonders toll fand ich, zu sehen, dass auch moderne Schul- oder Unterrichtskonzepte, die man sonst bisher nur theoretisch aus dem Seminar kannte, tatsächlich in der Praxis umgesetzt und gelebt werden und das dann auch funktionieren kann“. Caroline ergänzt: „Ich denke auch, dass wir gesehen haben, welche Möglichkeiten es gibt und welche verschiedenen Schulen ,gute‘ Schule sein können. Beispielsweise das Konzept Lernbüro und projektorientierter oder interessengeleiteter Unterricht begegnete uns häufiger und am Ende hatten wir schon einen gewissen Konsens zu Aspekten, die gelingenden Unterricht ausmachen können.“ Tharchis fügt hinzu: „Außerdem haben wir gemerkt, dass das auch eine ganz individuelle Frage ist. Einerseits haben wir als Lehramtsstudierende eine Vorstellung davon, was ‚gute‘ Schule ist und andererseits ist die Frage: Was ist ‚gute‘ Schule für die Schüler:innen? Da war es total schön zu sehen, wie die Schulleitungen in den besuchten Schulen darauf eingegangen sind und sie sie auch danach gestaltet haben – das konnte je nach Schule sehr unterschiedlich aussehen.“
"Eines der besten Seminarkonzepte, die es gibt"
Während des spannenden Gesprächs mit den drei zukünftigen Lehrer:innen wird klar, mit welch großer Motivation und Begeisterung sie an die Lernreise, an ihr weiteres Studium und auch an den Lehrer:innenberuf herangehen. Durch die Lernreise haben sie viel mitgenommen: sie schafften und erlebten eine tolle Gruppenatmosphäre, erwarben Kompetenzen in der Gruppenleitung, sahen verschiedene Schulkonzepte, hatten dabei vielseitige Einblicke in das Thema Schulentwicklung, Inspirationen und Denkanstöße für die eigene Berufspraxis und konnten sich intensiv mit ihrer eigenen Professionalität auseinandersetzen. Alles in allem klingt das Projektseminar „Lernreise“, das sich derzeit noch in der Erprobung befindet, nach einem funktionierenden und für alle gewinnbringenden Konzept. Die drei Gruppenleiter:innen sind jedenfalls sehr überzeugt: „Ich glaube das ist wirklich eines der besten Seminarkonzepte, die es gibt“, findet Tharchis „und auch eines der am meisten motivierenden für unseren Beruf“, ergänzt Caroline, „ich glaube wir sind alle da rausgegangen und haben gesagt: ,Jetzt habe ich Bock, wo ist die nächste Schule?‘“.
Für die drei Lehramtsstudierenden geht es jetzt weiter mit den letzten Semestern ihres Studiums und dem Referendariat, dabei bleiben sie für Kreidestaub e.V. und die Lernreise weiter aktiv. Für das Folgeseminar im Wintersemester 24/25 haben sich bereits 8 Personen vorzeitig angemeldet und weitere Schulen haben ihr Interesse an Kooperationen signalisiert. Das nächste Lernreiseseminar wird im Wintersemester im Master und im Freien Wahlbereich angeboten und dieses Mal stehen bis zu 60 Plätze zur Verfügung. Teilnehmer:innen der letzten Lernreise übernehmen in diesem Seminar die Gruppenleitung und so erhalten neue Studierende die einzigartige Möglichkeit auf Lernreise Schulen in ganz Deutschland zu erkunden.
Weitere Informationen
- Für weitere Informationen zur Lernreise und ihrem Ablauf lohnt sich ein Blick auf die Webpräsenz der Lernreise.
- Die Lernreise hat eine eigene Instagram-Seite.
- Es gab eine Vorberichterstattung zur Lernreise im Newsroom der UHH.