Lehr-, Lern- und Mitmachprojekt für alleUrban Gardening – Stadt, Natur & Gesellschaft in Verbindung
7. Juni 2024
Foto: Britta Lübke
Dr. Britta Lübke und Dörthe Ohlhoff setzen gemeinsam das innovative und einzigartige Projekt „Urban Gardening“ um, das vom Lehrlabor Lehrkräfteprofessionalisierung (L3Prof 2.0) gefördert wird. Damit etablieren sie derzeit gleichsam eine spannende, dauerhafte Lehrveranstaltung und eine kontinuierliche Betreuung des Urban-Gardening-Areals „Wurzelwerk“ als Lehr-/Lernort und grüne Begegnungsstätte auf dem Campus. Wir haben mit beiden Wissenschaftlerinnen zum Projekt gesprochen und waren erstaunt über die Verbindungen zu angrenzenden gesellschaftlichen Themen und die große Initiative der Dozentinnen und des Seminars.
Im Urban Gardening Seminar, das in diesem Sommersemester aufgrund der großen Nachfrage gleich in zwei parallellaufenden Seminaren stattfindet, geht es für Britta Lübke und Dörthe Ohlhoff als Dozentinnen aus der Fachdidaktik Biologie und die Studierenden zunächst um eine theoretische Einordnung von Natur. Dabei reflektieren sie unter anderem darüber, wer wie Natur definiert, welche gesamtgesellschaftliche Bedeutung Natur in Städten hat und wer sie nutzen darf. Es werden viele Perspektiven auf Natur und Urban Gardening eröffnet und die Studierenden können ihre eigenen Vorschläge zu theoretischen Schwerpunkten einbringen. „Es geht in der theoretischen Einordnung auch um die Erkenntnis, ,Ah, Stadtnatur hat auch etwas mit mir zu tun, mit der Gesellschaft, mit politischen Entscheidungen, mit Stadt‘ – also die Erkenntnis der eigenen Involviertheit“, erläutert Britta Lübke. So wird der Naturbegriff im Seminar beispielsweise aus feministischen, erkenntnistheoretischen, naturwissenschaftlichen, ästhetischen oder gesellschaftspolitischen Perspektiven betrachtet und diskutiert.
Über die theoretische Reflexion werden zum einen das aktuelle, gesellschaftliche Naturverhältnis und moderne zukünftige Umgangsweisen und Ideen mit der Natur erarbeitet. Zum anderen werden jene direkt in der praktischen Arbeit im bzw. auf dem Feld erprobt und umgesetzt. Die erworbenen Erkenntnisse werden von den Studierenden und den beiden Dozentinnen also im besten Sinne des gelingenden Wissens- und Wissenschaftstranfers im zweiten, praktischen Teil des Seminars auf das Feld des Naturgartens im Wurzelwerk und an andere zugehörige Stellen gebracht, sodass das Wurzelwerk nun fortwährend gestaltet und gepflegt wird.
"Aktuell passiert hier jede Woche etwas"
Dabei werden die Projekte semester- und seminarübergreifend weitergeführt. So wurden im Februar bei einer „bring your pot“ – Aktion von den Studierenden des letzten Seminars im Wintersemester Samen in eigene Pflanztöpfe gesetzt und die Pflänzchen Zuhause herangezogen. Bei einer gemeinsamen Auspflanz-Aktion am 29.05. kamen dann Studierende aus dem letzten und dem aktuellen Urban-Gardening-Seminar zusammen und setzten ihre Pflänzchen aus. „Es geht auch darum, dass die Studierenden aus früheren Seminaren sehen, wie es im Wurzelwerk weitergeht“, sagt Dörthe Ohlhoff. „Aktuell passiert hier jede Woche etwas und wir möchten natürlich sichtbar sein, zeigen was im Wurzelwerk passiert und weitere Mitnutzer*innen gewinnen.“ Kürzlich wurden beispielsweise auch als kreativer Beitrag Windspiele und ein Kreidewandbild geschaffen. Die beiden Dozentinnen betonen, dass es in den studentischen Projekten nicht nur ums Pflanzen, sondern unbedingt auch um thematisch angrenzende Vorhaben für das Wurzelwerk gehen darf, wie beispielsweise Flyer- oder Plakatgestaltung, Konzeptentwicklung, Aktionsplanung usw. – es kann sich je nach eigener Begeisterung, Wünschen und Kompetenzen mit eigenen Ideen eingebracht werden.
Britta Lübke ergänzt: „Das Wurzelwerk ist ja auch nicht nur ein Lernort, sondern auch ein sozialer Ort – so denken wir das Urban Gardening zumindest.“ So werden im Seminar und von den Wissenschaftlerinnen künftig mehr Veranstaltungen und Anlässe zur Versammlung im Wurzelwerk initiiert und begleitet werden. „Wir versuchen das Wurzelwerk auch als Begegnungsstätte für Gruppen, die sich sonst nicht begegnen würden, zu etablieren: Zum Beispiel Kinder, Anwohnende und Studierende ganz verschiedener Fachrichtungen können sich hier kennenlernen.“, erklärt Ohlhoff. Von ersten Anwohnenden gab es nun schon Angebote, während der vorlesungsfreien Zeit im Wurzelwerk zu gießen, andere brachten auch schon Pflanzen vorbei – das Netzwerken und die Sichtbarkeit des Mit-Mach-Projektes scheinen also schon auf einem guten Weg zu sein.
"Welche Stadtnatur wollen wir eigentlich?"
Da das Seminar im freien Wahlbereich wählbar ist, kommen die Studierenden aus ihren unterschiedlichen Fachrichtungen mit ihren ganz eigenen und differierenden Perspektiven, Vorstellungen und Vorhaben zusammen: „Es ist wirklich toll, den Menschen den Raum zu geben, mit unterschiedlichen Herangehensweisen letztlich an eine Fläche heranzugehen“, so Ohlhoff. So gehen im Seminar beispielsweise Physiker*innen, Gebärdensprachler*innen, Natur- und Geisteswissenschaftler*innen, auch Informatiker*innen oder Medienwissenschaftler*innen sowohl aus Bachelor und Master miteinander in den Austausch und die Diskussion über die durchaus auch politische Frage „Welche Stadtnatur wollen wir eigentlich?“.
„Im Kern geht es darum zu verstehen, dass der Begriff kein feststehender, sondern ein von Aushandlungsprozessen begleiteter ist.“, sagt Dörthe Ohlhoff. „Genau darum geht es im Urban Gardening: aus Menschen, die sich vorher gar nicht kannten und nicht begegnet sind, macht es Menschen, die solidarisch miteinander umgehen, die gesellschaftliches Zusammenleben erproben und Verantwortung übernehmen, gerade weil es eben im öffentlichen Raum getan wird.“
Das Wurzelwerk und der Naturgarten sollen neben dem Urban Gardening in vielfacherweise genutzt werden: „Wir freuen uns schon auf die erste Naturlyrik-Vorlesung. Eine andere Gruppe möchte gerne einen Teegarten anlegen, die Kräuter wachsen im Wurzelwerk, das Teewasser gäbe es in den Cafés des Studierendenwerks.“, berichtet Britta Lübke. Zunehmend sind am Urban Gardening Projekt mehrere Akteur*innen, wie zum Beispiel auch AStA, das Green Office oder das Sustainability Office beteiligt und es zeigt sich, dass es weit über eine Lehr- und Lernveranstaltung hinaus als verbindendes soziales Projekt auf dem Campus zu verstehen ist und dabei über die Fläche des Wurzelwerks hinaus wächst. „Wir bleiben beim Bild des Rhizoms“, erklärt Britta Lübke, „aus der Wurzel wird ein Rhizom, was sich mit seinem weit vernetzten Wurzelwerk über den Campus erstreckt und dessen Verbindungen von außen kaum sichtbar sind.“ Dies impliziert auch, dass es dabei keine zentrale, hierarchisch „oben“ angesiedelte Position im Projekt gibt, sondern alle einzelnen Teile und Sprösslinge von gleicher Bedeutung sind.
Die mögliche Zukunft des Rhizoms
Es zeigen sich im Bild des Rhizoms die Chancen und die Herausforderungen, mit denen die beiden Dozentinnen umzugehen haben: „Es ist eben eher schwieriger zu steuern, ist nicht linear und mäandert, irgendwo sprießt es immer wieder auf“, erklärt Ohlhoff. Um das Projekt in dieser Rhizom-Form zu tragen und es weiter wachsen zu lassen, versuchen Ohlhoff und Lübke derzeit für haltende Strukturen zu sorgen und tauschen sich dazu immer wieder u.a. mit dem Liegenschaftsmanagement, dem Green Office und dem Sustainability Office aus. „Es gibt noch so viele Akteur*innen, die wichtig sind, zum Beispiel auch das Biodiversity Lab, und wir versuchen derzeit alle möglichst an einen Tisch zu bringen.“, erzählt Britta Lübke. Als Beispiel für gelingende Kooperation verschiedener Akteur*innen: eine Gruppe des Seminars hatte die Idee des „Essbaren Campus“ mit Beerensträuchern und „Naschhecken“. Das Konzept wurde mit einem Nachhaltigkeitspreis ausgezeichnet und der AStA unterstützt es nun mit einer Förderung. Genauso ist es für die Dozentinnen denkbar, dass anhand von im Urban Gardening Seminar initiierten Projekten auch andere Seminare im Wurzelwerk arbeiten, Forschungen anstellen, und sie weiterführen. Die Dozierenden arbeiten schon länger mit einem theoretischen Interesse an politisch-gesellschaftlichen Themen des Biologieunterrichts und am Themenfeld Stadtnatur. Beide planen im Zusammenhang mit dem Projekt langfristig wissenschaftliche Veröffentlichungen und betreuen derzeit eine erste Master-Arbeit.
Solidarisch, sozial(pädagogisch), nachhaltig, didaktisch, ökologisch, planerisch, aktivistisch, hinsichtlich des Wissenschaftstransfers, ... : Das Urban Gardening Projekt von Britta Lübke und Dörthe Ohlhoff ist allein durch seine interdisziplinäre Seminarstruktur in Theorie und Praxis auf vielen Ebenen spannend für Studierende und Lehrende aller Fakultäten sowie alle andere an aktuellen und gesellschaftlich relevanten Themen Interessierte oder auch Entspannung Suchende, wenn es einfach nur um ein grünes, ruhiges Fleckchen für die Mittagspause geht. Ein Besuch im Wurzelwerk sei unbedingt empfohlen und Unterstützung jeder Form ist willkommen. Zurzeit entsteht hier im Naturgarten mit Hilfe einer Naturgärtnerin u.a. die Naschhecke, ein Gemüsebeet, eine Trockenmauer und ein Blühstreifen.
Einblicke ins Urban Gardening im Wurzelwerk
Nächste Veranstaltungen
Das Urban Gardening Seminar lädt ein zum öffentlichen Happening zum Semesterabschluss der aktuellen Seminargruppen des SoSe 2024. Alle Mitglieder der Universität, ob Verwaltung, Studierende, Lehrende oder Forschende sind ebenso eingeladen wie Anwohner:innen des Grindelviertels das Wurzelwerk und seine Rhizome kennenzulernen.
Wann? Montag, den 08. Juli von 10:30-12:30 Uhr im Wurzelwerk am VMP 11. Es ist für Snacks gesorgt und es sind praktische Mitmachaktionen zur Campusbegrünung in Planung.
Wer ansonsten reinschnuppern möchte: das Seminar ist in der Regel im Semester montags von 12 - 13 Uhr zum praktischen Arbeiten im Wurzelwerk.