„Dinge, die man verändert, dauern lange und es lohnt sich dran zu bleiben“Abschieds-Interview mit Dekanin Prof. Dr. Eva Arnold
20. Februar 2024, von Bente Gießelmann
Foto: privat
Prof. Dr. Eva Arnold war von 2010 bis 2024 Dekanin der Fakultät für Erziehungswissenschaft (UHH) und hat viele Spuren hinterlassen. In einem Abschiedsinterview haben wir sie gebeten zu erzählen, was für sie die Tätigkeit als Dekanin ausmacht, was die angenehmsten und nervigsten Aufgaben sind, welche Projekte ihr in der gesamten Amtszeit wichtig waren, welche zukünftigen Herausforderungen sie für die Fakultät sieht und was sie ab dem 1. März 2024 vorhat. Zukünftig übernimmt Prof. Dr. Claus Krieger das Amt des Dekans an der Fakultät für Erziehungswissenschaft.
Info zur Fakultät für Erziehungswissenschaft: Im Jahr 2005 entstand aus dem Fachbereich Erziehungswissenschaft, einem von 19 Fachbereichen der Universität, gemeinsam mit den Fachbereichen Psychologie und Bewegungswissenschaft eine eigene Fakultät, kurz EPB. Im Jahr 2014 trennte sich die Fakultät für Psychologie und Bewegungswissenschaft ab. Die Universität hat seitdem acht Fakultäten.
Es ist nicht leicht, eine solch lange Zeit als Dekanin der Fakultät für Erziehungswissenschaft in einem kurzen Gespräch zu reflektieren. Fangen wir einmal bei der Gegenwart an. Mit welchen Gedanken und Gefühlen verlassen Sie die Fakultät und übergeben die Leitung in nachfolgende Hände?
Ich gehe mit einem Gefühl der Dankbarkeit für eine gute Zeit und einen langen Weg, auf dem vor allem die gute Zusammenarbeit mit vielen Kolleg:innen sehr wichtig war. Wir haben in der Zeit sehr starke Veränderungen in unserer Personalstruktur vorgenommen, die in ihrem Kontext nochmal weiter zeitlich zurückreichen. Die Zahl der Professor:innen wurde in etwa halbiert und wir haben dafür nun sehr viel mehr wissenschaftliches Personal. In einem solchen Prozess müssen natürlich sehr, sehr schwierige Entscheidungen getroffen werden. Dass die Kolleginnen und Kollegen das mitgetragen haben - dafür bin ich sehr dankbar.
Was hat Sie 2010 bewogen, gänzlich aus Forschung und Lehre auszusteigen und sich in die Leitung der Fakultät zu stürzen? Was waren Ihre Beweggründe?
Ich habe schon vorher, also schon in der Zeit als Prodekanin festgestellt, dass Hochschulmanagement eine für mich spannende und attraktive Aufgabe ist. Ich habe auch die anderen professoralen Aufgaben gerne gemacht, aber in der Zeit, in der es sehr stark um Studienreformen gegangen ist – das war die Zeit der Einführung des gestuften Studiensystems – ist mir klar geworden, dass mich die Organisation von Hochschulen interessiert und die organisatorischen Voraussetzungen für Entwicklungen, die man in Hochschulen macht. Zwei Fragen finde ich hier spannend: Wie kann man organisatorisch solche Entwicklungen unterstützen, damit eine Hochschulinstitution auf aktuelle gesellschaftliche Veränderungen in vernünftiger Weise antworten kann? Und zweitens: Wie können wir unsere Leistungen in Forschung und Lehre nach außen darstellen und gesellschaftliche Wirkungen erzielen?
Wie ist das eigentlich, Dekanin zu sein? Gibt es eine typische Situation aus Ihrem Arbeitsalltag, wo Sie sagen würden, da kann man gut nachvollziehen, welche Aufgabe, aber vielleicht auch, welche Rolle Sie in dieser Funktion Dekanin gesehen haben und wie Sie die ausgefüllt haben?
Dekanin ist eine mittlere Management-Position. „Sandwich“ kann man es auch nennen. Einerseits ist es die typische Aufgabe, mit oder durch die Hochschulleitung strategische und organisatorische Entwicklungen an der Gesamt-Universität zu erarbeiten und umzusetzen. Andererseits muss man die Konsequenzen dieser Veränderungen für die Fakultät abschätzen und entsprechend kommunizieren, um die Menschen an der Fakultät mitzunehmen. Ich erinnere da eine Situation, 2015 oder 2016, als eine Begutachtung der Universität durch den Wissenschaftsrat stattfand und wir die Frage nach dem Forschungsprofil der Fakultät beantworten sollten. Da haben wir uns im Dekanat hingesetzt und geguckt: Was gibt es denn für Themen, die in der Fakultät bearbeitet werden? Und wie könnte man diese Themen bündeln? Dann sind wir auf die Fakultätsangehörigen zugegangen und haben sie eingeladen, ihre Sicht auf die Entwicklung von Themenbereichen und die fachliche Kooperation und Zusammenarbeit mit Kolleg:innen einzubringen. Das hat eine Weile gedauert und war mitunter schwierig, aber wir sind drangeblieben und haben damit eine bis heute tragfähige Struktur geschaffen. Und was ich da gelernt habe: Solche Prozesse brauchen oft sehr, sehr lange. Und es lohnt sich, lange durchzuhalten. Also, wenn das gelingt ist es toll, aber es gelingt auch öfter mal nicht (lacht).
Die Aufgaben einer Dekanin sind ein sehr großer Blumenstrauß und da sind nervenaufreibende und freudvolle dabei und alles dazwischen. Welche Aufgaben haben Sie sehr gern gemacht, und welche eher weniger?
Natürlich gibt es sehr unterschiedliche Aufgaben. Gerade in Zeiten, wo viel los ist, wundere ich mich dann selber manchmal, wie schnell ich umspringe und von einer Frage zur nächsten wechseln kann. Ich habe immer gern Strukturen und Abläufe geplant. Das habe ich von meinem Vorgänger übernommen, ganz handfest zu planen. Ich fand es immer befriedigend, sich verschiedene Optionen und verschiedene Szenarien aufzubauen und das mit anderen zu besprechen. Aber auch für sich allein dazusitzen und zu überlegen: Wie kann das klappen?
Etwas herausfordernder sind Themen, die mit der Kommunikation zu tun haben. Gremiensitzungen sind manchmal sehr angenehm und erfreulich, wenn man eine positive Resonanz bekommt für Ideen oder bei der Bearbeitung von Problemen weiterkommt. Sie können aber auch ziemlich nervig sein, wenn es nicht um eine Einigung geht, sondern darum, unverrückbare Positionen auszutauschen. Das finde ich wenig befriedigend. Herausfordernd sind auch Situationen der finanziellen Begrenztheit, wenn man Entscheidungen treffen muss für eine Sache und gleichzeitig gegen eine andere. In diesen Momenten habe ich die Verantwortung als Dekanin sehr intensiv gespürt.
Wenn Sie auf diese lange Zeit als Dekanin zurückschauen: Welche Themen oder Projekte sind Ihnen da wichtig? Welche Weichenstellungen und Meilensteine in dieser Zeit würden Sie gerne hervorheben?
Ich habe meine Hauptaufgabe immer darin gesehen, zu Strukturen zu kommen, die die Kolleg:innen optimal unterstützen. Hierin war das größte Projekt, die Personalstruktur so anzupassen, dass wir mit begrenzten Ressourcen die Aufgaben in Forschung und Lehre erbringen können und nach Möglichkeit noch Raum für die Entwicklung von Neuem bleibt.
Ansonsten ist das Projekt, das mich immer wieder sehr interessiert und beschäftigt hat, die Reform der Lehrkräftebildung. Im Prinzip habe ich ja zwei solche Reformen intensiv mitgemacht: Die erste war die Umsetzung der Lehrerkräftebildung in das gestufte Studiensystem als Prodekanin und die zweite war die Weiterführung der Reform der Lehrkräftebildung auf Grundlage der Drucksache des Senats von 2018. Hier haben wir unter allen Beteiligten der Lehrkräftebildung ein Mehr an Zusammenarbeit und Kooperation erreicht. Und schließlich gehört auch das große Projekt in der Qualitätsoffensive Lehrkräftebildung dazu, das Profale-Projekt, das uns auf dem Weg der Reform sehr unterstützt hat.
Nochmal eine Frage zur Lehrkräfteausbildung: Sie waren gleichzeitig Dekanin der Fakultät und Co-Leitung des Zentrums für Lehrkräftebildung Hamburg (ZLH) – wie haben Sie in dieser Doppelfunktion den Bereich vorangebracht und worauf sind Sie stolz, das erreicht zu haben für die Lehrkräfteausbildung in Hamburg?
Erstmal glaube ich, dass für diese Zeit die Doppelfunktion hilfreich war. Als Dekanin war ich Mitglied der Kammer und konnte die Lehrkräftebildung in die Überlegungen zur Strategie in der Universität mit einbringen. Außerdem haben wir intensiv daran gearbeitet, dass die Kooperation zwischen all den vielen Beteiligten funktioniert. Das ist ganz viel Arbeit an der Struktur. Es geht darum, Klarheit zu schaffen, wer für was verantwortlich ist, und die Verantwortungsbereiche abzugrenzen, gleichzeitig aber auch die Bereitschaft zu fördern, dass man über diese Verantwortungsbereiche hinaus miteinander zusammenarbeitet. Ich glaube, es ist gelungen, das komplexe Feld klarer zu strukturieren.
… also eine Systematisierung …
Ja, ich glaube, die braucht es, weil die Lehrkräftebildung ein sehr großes und dauerhaftes Kooperationsprojekt ist, in dem wir die Bereitschaft brauchen, gemeinsam nachzudenken und Positives zu bewirken und manchmal auch Kompromisse zu schließen. Das ist eine dauerhafte Aufgabe, denn es gibt immer wieder neue Beteiligte und neue Rahmenbedingungen, neue Anforderungen.
Zum Thema Mitmachen: Wer waren wichtige Wegbegleiter:innen? Ohne wen hätte Ihre Arbeit als Dekanin gar nicht funktioniert, oder wer hat vielleicht auch wichtige Impulse eingebracht in dieser Zeit?
Jemand, an dem ich mich vor allem in der ersten Zeit sehr stark orientiert habe, ist mein Vorgänger Karl Dieter Schuck. Ich hatte die Gelegenheit, ihn auch lange zu beobachten, wie er zum Beispiel Gremien geleitet hat, und ich glaube, da habe ich mir viel abgeguckt. Ansonsten habe ich ja mit mehreren Dekanatsteams gearbeitet, diese Teams waren schon immer sehr, sehr wichtig, ebenso wie die Verwaltungsleitung, die Referentinnen und – ganz besonders – die Assistenz im Dekanatsbüro. Wichtig waren auch die Sprecher:innen der Professor:innen, weil sie es verstanden haben zu signalisieren, wenn irgendetwas rumort im Hause – es kommen Leute mit ihren Beschwerden ja nicht zu allererst bei der Dekanin vorbei. Und im Kollegium sind während der Zeit ganz persönliche und private Freundschaften entstanden.
Zu Beginn unseres Gesprächs haben Sie gesagt: Eine Fakultät, auch eine Universität muss sich immer wieder gesellschaftlichen Bedingungen und Veränderungen anpassen. Was sind die Themen und die Herausforderungen, die in nächster Zeit im Vordergrund stehen? Und was wünschen Sie sich und der Fakultät für das Umgehen mit diesen Herausforderungen?
Auf der Hand liegt die Frage, wie wir mitwirken können an der Behebung des Lehrkräftemangels – das ist ja das Superthema im Moment. Es ist schon so, wie es auch der Präsident der UHH, Hauke Heekeren, gesagt hat: Es ist eine gesellschaftliche Aufgabe, dafür zu sorgen, dass es genügend Lehrkräfte gibt, und die Universität muss ihre Rolle hier ausfüllen. Ich persönlich glaube, dass die Deckung des Bedarfs nur funktioniert, wenn man den Einstieg ins Lehramt flexibler gestaltet, als das in der Vergangenheit der Fall war. Die Lehrkräftebildung und die Laufbahnen des Berufs waren bisher unglaublich starr. Jetzt allerdings gibt es absehbar einen Mangel, der nicht nur darin liegt, dass man es vielleicht nicht geschafft hat zu motivieren, sondern wo es demografisch nicht genug Menschen gibt, die sich für das Lehramt entscheiden können. Wir werden es uns nicht mehr leisten können, potentielle Lehrkräfte zu verlieren und müssen insgesamt flexibler werden. Wir werden in Zukunft eher daran arbeiten müssen, Menschen zu überzeugen, dass eine Lehramtsausbildung das Richtige für sie sein könnte. Auf diese neue Situation müssen sich die Universität und auch die Fakultät wirklich gut einstellen.
Ein Kollege sagte mir neulich, dass er die größte Herausforderung darin sieht, in den Schulen dafür zu sorgen, den Schüler:innen, die abgehängt sind, eine Perspektive zu schaffen. Wir können wirtschaftlich nicht darauf verzichten, dass Menschen sich ausbilden und bilden, um wichtige Dinge für die Allgemeinheit tun zu können. Gleichzeitig ist es eine große ethische Verantwortung, nicht einfach bestimmte Gruppen zurückzulassen.
…das Thema Bildungsgerechtigkeit und steigende soziale Ungleichheit…
Genau, und neben einer Haltungsfrage ist es, denke ich, eine wissenschaftliche Herausforderung, herauszufinden, wie man einem jungen Menschen von 13 oder 14 Jahren, der von Schule überhaupt nichts erwartet, nahebringt, dass Lernen seine Chance ist. Und wie man herausfindet, welche Inhalte für diese Person wichtig sind und wie man ihr dazu verhilft, das, was sie will, in gesellschaftlich akzeptabler und für ihn selbst zufriedenstellender Weise zu können und zu machen. Da kann die Erziehungswissenschaft einen wichtigsten Beitrag leisten.
Ein kleiner Schnitt und zurück zu Ihnen: Ihre Amtszeit endet offiziell am 29.02.2024 Haben Sie sich für den 1. März schon etwas vorgenommen und mögen Sie uns etwas über Ihre Zukunftspläne verraten?
Das Letztere würde ich ungern tun. Immer wieder kommen Menschen auf mich zu und sagen „Sie haben doch bestimmt ganz viel vor!“ und ich stelle fest: Ich brauche nun erstmal etwas Zeit, um herauszufinden, was das denn sein soll. Es wird ein klarer Schnitt und ich habe das Privileg und die Chance, mich nochmal mit etwas anderem zu beschäftigen. Was das genau sein soll, werde ich dann wissen, wenn es soweit ist.
Am 1. März werde ich an die Ostsee fahren und auf das Meer schauen.