Junge Forschung: Zum Bildungspotenzial von Smartphone-Filmen aus kunstpädagogischer SichtJasmin Böschen im Gespräch
26. Oktober 2023
Foto: Hamburger Kunsthalle, Kunstpioniere © Vera Drebusch
Die meisten Schülerinnen und Schüler tun es alltäglich: Filmen mit dem Smartphone. Jasmin Böschen, Doktorandin im Arbeitsbereich "Art Education", erforscht, welche Erfahrungen Schülerinnen und Schüler beim Filmen machen und inwiefern sich Potenziale für die Film-Bildung im Unterricht ergeben. Im Gespräch erzählt sie, warum sie sich dafür die Filme selbst anschaut und Erfahrungen rekonstruiert, warum das für die Frage zum Einsatz von Smartphones in der Schule wichtig ist und welche weiteren Forschungsfragen sich ergeben.
Zur Reihe „Junge Forschung“
Woran arbeiten eigentlich junge Erziehungswissenschaftler:innen? Und wo können sie aus ihrer Forschungsarbeit interessante Impulse für die Praxis einbringen? In einer neuen Reihe stellen wir junge Forschende aus unserer Fakultät und ihre Arbeit vor - und zwar im Interview mit unserem Leiter der Graduiertenschule, Dr. Markus Friederici.
Liebe Jasmin, worum geht es in deiner Arbeit?
In meiner Dissertation geht es um die Fragen, wie wir das Filmen mit dem Smartphone erfahren und wie sich dies erforschen lässt. Dem gehe ich anhand von drei spezifischen Smartphone-Filmen meiner Schülerinnen nach. An ihnen versuche ich aufzuzeigen, wie sich Spuren von Erfahrung finden lassen. Durch den forschenden Blick können die visuellen Interessen und Aufmerksamkeiten der Schülerinnen anders in den Blick geraten als in der kunstunterrichtlichen Lehre. Dies übersteigt die motivische und narrative Dimension der Smartphone-Filme und richtet den Blick auf leibliche Erfahrungen während des Filmens, Erfahrungen mit dem Material in der Montage und beim Formatieren, medienreflexive Momente sowie affektive, intersubjektive und subjektivierende Dimensionen des Filmprozesses. Die Arbeit wird von Prof. Dr. Andrea Sabisch betreut.
Welche Ergebnisse hast du erhalten?
Smartphone-Filme haben ein Bildungspotenzial. Filmen kann Erfahrungen in Gang setzen und übersetzen. Ich forsche anhand der Smartphone-Filme vor allem visuellen, leiblichen, affektiven und medialen Erfahrungen nach. Zu ihrer Erforschung benötigt es eines Blickes von der Seite, denn oftmals können Erfahrungen nicht oder nur nachträglich sprachlich artikuliert werden. Vielmehr zeigen sich ihre Spuren indirekt im Material und können nur aufmerksam rekonstruiert werden. Es hat sich aber auch gezeigt, dass das Arbeiten mit dem Smartphone nicht durchweg als motivierend wahrgenommen wird. Seine komplexe Einbindung in unterschiedliche Bild- und Diskurswelten spielt auf eine Weise in die Erfahrung hinein, die auch Widerstände und Unvorhergesehenes hervorrufen kann. Außerdem arbeiten algorithmische Logiken ständig an unserer Wahrnehmung mit. In Praktiken mit dem Smartphone werden für mich unsichtbar Daten erhoben, zur Auswertung durch Infrastrukturen zurückgespeist, um dann meine Wahrnehmung gemäß bestimmten Protokollen weiter zu bewirtschaften und mich zum Beispiel auf verschiedenen Apps zu halten. Auch dies kann sich in den Filmen zeigen.
Welche Relevanz haben deine Ergebnisse für konkrete Praxisfelder?
Durch die Arbeit lässt sich genauer verstehen, in welchem Verhältnis das ästhetische und das praktische Potenzial von Smartphone-Film stehen. Dies ist für die Legitimation des Einsatzes von Smartphones in kunstunterrichtlicher Lehre zentral. Denn in Schulen muss zum Filmen meist auf Smartphones zurückgegriffen werden, da viele Schulen nicht mit anderen Kameras ausgestattet sind. In meiner Arbeit entfalte ich, welche Erfordernisse das Smartphone in Bezug auf seine mediale Verfasstheit, Ästhetik und soziale Verstrickung mitbringt. Dies kann zum einen dazu dienen, Unterrichtsprojekte sensibler zu planen, aber vor allem auch dazu, die Prozesse von Schüler:innen besser zu verstehen. Durch die intensive Beschäftigung mit einzelnen Filmprozessen konnte sich die Komplexität dieser Verstrickung abzeichnen.
Gibt es eine Quintessenz deiner Arbeit?
Meine Forschung ist noch nicht abgeschlossen, daher ist es schwierig, jetzt bereits die Quintessenz zu formulieren. Mehr als eine Quintessenz sind es weitere Fragen, die sich durch die Forschung aufmachen: Wie genau wirken Algorithmen an unserer Wahrnehmung mit? Wie beeinflussen beispielsweise Filter-Masken die Art und Weise, wie wir unser Eigenbild denken? Wie können wir dennoch auch die Möglichkeiten schaffen, anders zu sehen als es uns durch die algorithmische Logik nahegelegt wird? Wie sieht die Film-Bildung der Zukunft aus? Welche filmästhetischen Trends müssen künftig für die Vermittlungspraxis berücksichtigt werden? Eine mögliche Quintessenz ist also, dass es Anschlussforschung braucht.
Was würde die Wissenschaftlerin Jasmin der Lehrerin Jasmin empfehlen?
Ich würde eher fragen, was die Lehrerin Jasmin der Wissenschaftlerin Jasmin empfehlen würde. Durch das gemeinsame Eingelassen-Sein in Prozesse mit unseren Schüler:innen und die Bindungen, die wir teils über Jahre hinweg mit ihnen aufbauen, hat die Lehrerin Jasmin ganz andere Einsichten in das Feld. Am Ende sind die Lehrerin Jasmin und die Wissenschaftlerin Jasmin aber dieselbe Person. Daher hilft die Forscherinnen-Perspektive ihrer anderen Hälfte, Abstand zu nehmen und die eigenen Haltungen und Affekte gegenüber künstlerischen Prozessen, Lernen und Schule zu reflektieren. Denn diese wirken oft unterhalb unserer Wahrnehmungsschwelle in den Prozessen von Schüler:innen mit. Dass in meiner Forschung beide Rollen so eng verwoben sind, habe ich aber dennoch als eine Essenz wahrgenommen, um mich wirklich bedeutsamen Erfahrungen meiner Schüler:innen annähern zu können.
Vielen Dank für den Einblick!
Zur Person
Jasmin Böschen ist Doktorandin im Arbeitsbereich Kunstpädagogik / Ästhetische Bildung der Fakultät für Erziehungswissenschaft (UHH) und arbeitet als Kunstlehrerin an einem Hamburger Gymnasium. Ihre Schwerpunkte sind Film-Bildung, Bildung mit digitalen Medien, Medialität und Intersubjektivität in Bildungsprozessen.