Unterrichtsvignetten: „Das ist bisher so noch nicht passiert und da dachten wir: Das machen wir!“Zwei Studentinnen werden mit ihrem Forschungsprojekt im Rahmen der Exzellenzstrategie gefördert - wir stellen das Projekt vor
10. Oktober 2023
Foto: Kusu & Steinfeldt
Warum interessieren sich zwei Studentinnen der Fakultät für Erziehungswissenschaft hochmotiviert für Unterrichtsvignetten? Und warum arbeiten sie dafür mit einem Regisseur zusammen? Unser Studierender Jannis-Frédéric Müller hat sich mit Winnie Steinfeldt und Hivda Kusu, zwei jungen Forscherinnen, über ihr Forschungsprojekt zu Unterrichtsvignetten unterhalten. Das Forschungsprojekt „Wie werden lernförderliche und lernhinderliche Situationen in Vignetten wahrgenommen und welchen Einfluss hat das Vignetten-Format?“ wurde im Rahmen der Exzellenzstrategie gefördert.
Unterrichtsvignetten? Ja, erklärt mir das gern einmal! Unterrichtsvignetten, das sind authentische Darstellungen von Lehr-Lernsituationen, beginnen Hivda Kusu und Winnie Steinfeldt, kurze Fallbeispiele aus dem Unterricht in Textform, die möglichst aus objektiv beobachtender Perspektive bestimmte, oft herausfordernde oder problematische Situationen beschreiben. Das Gleiche gibt es auch in Videoform: Hier werden bisher Unterrichtssituationen meist mitgefilmt. Die beiden Lehramtsstudentinnen erklären geübt, denn erst vor Kurzem stellten sie ihr gefördertes Forschungsprojekt schon auf der Bühne vor. Ich höre gespannt zu:
„Wir haben zwei Textvignetten konstruiert und sie dann in Videovignetten überführt – also zunächst eine Unterrichtssituation aufgeschrieben und daraus eins zu eins ein Video gemacht.“, erzählt Hivda. Bei diesem Transfer werden in Videos allerdings zwangsläufig einige Gegebenheiten der Unterrichtssituation nicht mehr der Imagination überlassen, wie es in Textvignetten noch der Fall ist. So hat eine im Text neutral beschriebene „Lehrkraft“ im Video natürlich ein Gesicht, bestimmte Eigenschaften, wie eine eigene Tonalität und ein eigenes Auftreten. Hivda führt aus: „Wir haben die Hypothese, dass eine Video-Unterrichtsvignette durch all diese Merkmale, diese natürlichen Mehrinformationen, von angehenden Lehrkräften anders interpretiert werden könnte als die Textvignette.“ In der Ausbildung sind Vignetten vor allem dafür im Einsatz, Lehrkräfte gezielt auf problematische Unterrichtssituationen treffen zu lassen und die Aufmerksamkeit dafür zu schulen. Winnie erklärt: „Wir haben in den Text- und Videovignetten jeweils die gleichen Probleme, hier lernhinderliche Situationen im Unterricht, eingebaut und nun wollen wir sehen: Wie unterschiedlich werden sie von den Studierenden wahrgenommen? Gibt es überhaupt einen Unterschied? Möglicherweise ist manches im Video offensichtlicher als im Text.“
Das Innovative am Projekt der beiden Studierenden ist die Umwandlung von Text- zu Videovignetten und die Idee, sie möglichst textgetreu umzusetzen. So wurde versucht, bei der Entwicklung die Kamera so zu führen „wie man den Text lesen würde“, also nur jene Informationen abzubilden, die an der jeweiligen Textstelle gegeben sind. „Das ist bisher so noch nicht passiert“, sagt Winnie, „und da dachten wir: Das machen wir!“ Derzeit geht es für die beiden Studentinnen darum, mehrere Umfragen zur Bewertung jeweils der Text- und entsprechenden Videovignetten in der Perspektive „Klassenführung“ auszuwerten, die von angehenden Lehrkräften ausgefüllt wurden. „Wir gucken nun ob und wie sich diese Bewertungen unterscheiden. Bisher können wir festhalten, dass der Fokus in Text und Video auf unterschiedlichen Dingen liegt. In Textvignetten wird sich oft an einem bestimmten Satz aufgehangen, während in den Videovarianten manche Dinge auffielen, die im Text gar nicht abgebildet werden konnten.“, sagt Winnie. Beide Formate bringen für die Auseinandersetzung mit den Unterrichtssituationen verschiedene Vor- und Nachteile mit sich.
Am Ende soll mit ihrem Forschungsprojekt ein Beitrag zur Forschungslandschaft von Vignetten als Reflexionsmedium und zu einer verbesserten Lehrkräfteausbildung geleistet werden. Zweitens soll in den Blick genommen werden, was Klassenführungskompetenzen sind und was sie ausmachen. „Denn wenn diese Klassenführungskompetenzen von den Lehrkräften gut beherrscht werden, können sie eine gute Lehrunterstützung und -umgebung für Schüler:innen geben, also konstruktive Lernzeiten und damit guten Unterricht“, erläutert Hivda. Seit gut einem Jahr sind die beiden schon mit dem Forschungsprojekt beschäftigt und haben bereits mehrere aufwändige Phasen absolviert. Nach der Konzeption haben sie für die Videodrehs sogar mit dem Drehbuchautor und Regisseur Gabriel Bornstein und seinem Team zusammengearbeitet. Aus den selbst erstellten Unterrichtsvignetten wurden zunächst die Texte entwickelt und dann daraus mit Bornsteins Hilfe die Videos gedreht. Dazu wurden über Bornsteins Kinder- und Jugendprojekte Schüler:innen akquiriert. Hier wurde darauf geachtet, dass die Klasse eine möglichst heterogene Gruppe darstellt. Hivda findet „das war dann eine zufriedenstellende Darstellung einer echten Klasse.“ Der Drehtag war für alle Beteiligten besonders spannend, da eine gute Aushandlung zwischen authentischem, künstlerischem und wissenschaftlich-textgenauem Anspruch an die Videoproduktion gefunden werden musste. Winnie schildert: „Acht Stunden haben wir gedreht und den Schnitt hat dann zum Glück Gabriel übernommen.“ Nach der Produktionsphase wurden dann die Umfragen entwickelt und gestartet. „Wir sind bis jetzt viele Schritte durchlaufen und nun am Punkt der Auswertung. Finally“, erzählen beide.
Im Rahmen des Sommerfestes der Uni bei „Science on Stage“ haben Hivda und Winnie ihr gefördertes studentisches Forschungsprojekt schon einmal vorgestellt. Dabei war der Anspruch, es möglichst für jeden verständlich zu präsentieren, sodass sie die Präsentation visuell unterstützten und vorher sogar ein Sprechtraining absolvierten. „Warum wir uns für das Forschungsprojekt und die Förderung überhaupt beworben haben, lässt sich vor allem darauf zurückführen, dass wir uns gefragt haben, ob wir später in die Forschung gehen wollen oder nicht. Das war nun die perfekte Gelegenheit das einmal ausprobieren zu dürfen und den gesamten Prozess von Antrag bis Abschluss zu durchlaufen“, freuen sich die Studentinnen. Für beide hatte die Beschäftigung mit der Theorie zu Klassenführung zudem einen Nutzen für die praktische Arbeit mit Schüler:innen, in der sich beide bereits befinden.
Eine Dreiviertelstunde ist verflogen während unseres angeregten Gesprächs und ich bin wieder einmal erstaunt, wie mitreißend und horizonterweiternd es sein kann, wenn motivierte Forschende von ihrer Arbeit berichten.