„Der Raum hat eine wesentliche Bedeutung für das Lernen“Prof. Angelika Paseka im Interview
21. September 2023
Foto: Cubus Medien Verlag
Auch in diesem Jahr wurden Teams von Studierenden der UHH und der HCU im Rahmen der Schulbaumesse ausgezeichnet für Planungsentwürfe, die sie für eine im Umbau begriffene Hamburger Schule entworfen haben. Die gemeinsame Lehrveranstaltung wird seitens der UHH von Prof. Dr. Angelika Paseka (Fakultät für Erziehungswissenschaft, Arbeitsbereich Schulpädagogik/Schulforschung) betreut. Wir haben Frau Paseka im Interview gefragt, wie der Raum und das Lernen zusammenhängen, warum Pädagogik-Studierende und Architektur-Studierende zusammenarbeiten sollten und welche Fragen sich für die Zukunft von (schulischen) Lernräumen stellen.
Liebe Frau Paseka, Sie forschen und lehren seit über 13 Jahren an der Fakultät für Erziehungswissenschaft in Hamburg, davor in Wien. Wie ist Ihre Verbindung zur Architektur entstanden?
Meine Verbindung als Erziehungswissenschaftlerin zur Schularchitektur hat zwei Ursachen, eine private und eine berufliche. Zur privaten: Ich interessiere mich schon seit langem für Architektur, moderne Kunst und den Städtebau. Und vom beruflichen: Der Raum hat eine wesentliche Bedeutung für das Lernen, er wird auch als „dritter Pädagoge“ bezeichnet (also neben Schülerinnen und Schülern sowie Lehrpersonen). Ich versuche seit vielen Jahren, Zusammenhänge zwischen Raum und dem Verständnis von Lernen sichtbar zu machen und zu thematisieren. Der Raum signalisiert, „was Sache ist“. Es ist nicht unerheblich, ob zum Beispiel ein Kreuz als religiöses Symbol hinter der Tafel hängt, oder ein Bild des Kaisers, des Bundespräsidenten oder eine nationale Flagge. Auch das Gebäude spricht mit einem: Ist eine Schule wie eine Festung gebaut, wo man hineinmuss, symbolisiert das die Macht von Schule. Aber der Raum ändert sich auch. Die Änderung von unbeweglichen Tischen im Klassenzimmer mit der Tafel vorne hin zu beweglichen Gruppentischen begann bereits in der Nachkriegszeit (und wurde in den 1970er Jahren wieder aufgegriffen) – das erforderte schon ein ziemliches Umdenken.
Sie haben seit 2017 mehrere Projektseminare für Master-Studierende in Kooperation mit der Hafencity Universität Hamburg angeboten. In den Seminaren arbeiten Studierende der Pädagogik und Studierende der Architektur gemeinsam an einem konkreten Anliegen: dem Um- oder Neubau von Hamburger Schulen. Warum ist das Format einer solchen gemeinsamen Lehrveranstaltung aus Ihrer Sicht sinnvoll?
Ich glaube, dass beide Studierendengruppen eine eigene Sprache sprechen, und sie sind oft sprachlos im Umgang miteinander. Mir ist wichtig, dass Architektur-Studierende erfahren, wie Pädagogik-Studierende denken und was ihnen wichtig ist. Für Pädagogik-Studierende gilt andersherum zu lernen, was aus baulicher Sicht wichtig ist, wenn eine Schule neu gebaut oder umgestaltet wird. Im letzten Projekt war eine Landschaftsarchitektin dabei, die eine Außenfläche entworfen hat. Die Studierenden waren zunächst entsetzt, weil überall Kunstrasen dabei war. Sie hat dann erklärt, warum das so ist und ein echter Rasen nach spätestens einem Jahr eine Wüste wäre. Auch Wissen über Brandschutz, Fluchtwege etc. wird vermittelt. Der Einblick ermöglicht Studierenden der Pädagogik ein erweitertes Bewusstsein für den Raum und wie sie diesen neu denken können, mit seinen Möglichkeiten und Einschränkungen.
Im Rahmen der diesjährigen Schulbaumesse wurden aus insgesamt 12 Projekten die drei besten prämiert. Alle haben sich mit der teilweisen Umgestaltung der Grundschule Stockflethweg beschäftigt. Was finden Sie an den Projekten bemerkenswert?
Für mich hat einen hohen Stellenwert, wie Pädagogik und Architektur aufeinander Bezug nehmen, und gemeinsam etwas Neues gestalten. Die Vorgaben, also die Gegebenheiten an der Schule, wie die Ausmaße des Grundstücks, zu erhaltende Bauten etc., waren für alle gleich. In den Projekten nutzen die Studierenden diese Vorgaben sehr unterschiedlich. Sie sind oft überrascht, welche Freiheiten sie im Projekt haben, es bilden sich Teams, die meisten laufen super. Am Ende des Seminars reflektiere ich mit den Studierenden gemeinsam den Lernprozess: ihre Erfahrungen, ihre Gestaltungsmöglichkeiten und was sie von ihrem erworbenen Wissen möglicherweise später in einer Schule, in der sie arbeiten, umsetzen könnten und was sie aus dem Seminar für ihren späteren Beruf mitnehmen.
Lehrkräfte müssen ja meist mit den räumlichen Gegebenheiten arbeiten, die sie vorfinden – sie können einen Raum nicht einfach umbauen oder anders einrichten. Warum sollen sich (angehende) Lehrkräfte so intensiv mit dem Raum beschäftigen, in dem sie lehren?
Mir fällt auf, dass Studierende eher unkritisch mit dem Raum umgehen, sie nehmen ihn an, so wie er vorhanden ist und haben wenig Bewusstsein für den Raum. Ich möchte erreichen, dass sie sich überlegen, wie der vorgegebene Raum besser zu gestalten ist im Sinne eines guten Unterrichts. Raum verhindert oft kooperatives Arbeiten. Wenn Tische eng stehen, was machen dann die Studierenden: Ziehen sie die Tische auseinander oder akzeptieren sie die Aufstellung? Man kann einen Raum durch einfache Mittel umgestalten, zum Beispiel mit der Anordnung der Tische oder mit Stellwänden. Durch Stellwände wird es möglich, sich im Raum zu bewegen, den Körper zu nutzen. Wichtig ist der Raum auch in Bezug auf Diversität und die unterschiedlichen Bedürfnisse der Lernenden: Wer sitzt wo im Raum mit bspw. Hörbeeinträchtigungen oder mit Konzentrationsschwierigkeiten?
Lernräume und die Diskussion darüber haben sich im zeitlichen Verlauf sehr geändert. Momentan geht es beispielsweise insbesondere um Lernräume, die hybrides und kooperatives Arbeiten ermöglichen. Wie hat sich die Sichtweise im groben Überblick geändert, und ist dabei ggf. auch etwas unverändert geblieben?
Zu den Veränderungen: Das Hybride spielt – so wie ich das wahrnehme – in der Schule weniger eine Rolle, es ist aber ein wichtiges Thema für die Hochschulen. Schulen brauchen Räume für die Nutzung digitaler Endgeräte. Früher war es der Computerraum, heute geht es eher um Orte, an denen sich mit Tablets oder andere Medien kooperativ arbeiten lässt. Die Klassenräume werden zunehmend aufgelöst in Richtung offene Lernlandschaften mit verschiedenen Angeboten: Tische, Stufen, Wackelhocker, mit und ohne Board, in Gruppen oder allein. Insgesamt wird der Raum variabler und gestaltungsoffener. Schulen richten ganze Ebenen mit verschiedensten Möglichkeiten ein.
Etwas ist aber auch gleichgeblieben: Ohne gute Lehrkräfte geht gar nichts. Wenn Lehrkräfte nicht wissen, was man mit dem Raum machen kann, werden sie mit den tollsten Räumen nichts anfangen können. Sie brauchen Wissen, wie man gut lernen kann, und über die heterogenen Bedürfnisse der Kinder: Manche Kinder wollen eben lieber auf dem Fußboden schreiben als auf einem Tisch, andere halten Lärm schlecht aus und brauchen Ruheräume. Lehrpersonen brauchen dazu ein neues Rollenverständnis und Kompetenzen.
Was wünschen Sie sich für die zukünftige interdisziplinäre Schnittstelle von Pädagogik und Architektur? Und was für die Kooperation mit der Praxis, also den Schulen?
Ich wünsche mir, dass die Zusammenarbeit mit der HCU fortbesteht und sich alle Beteiligten auf die Herausforderungen einlassen. Auch für uns Lehrende ist das Projektseminar mit Ungewissheiten verbunden: Wir müssen manchmal sehr spontan organisieren und uns einlassen auf ungewisse Kooperationsmöglichkeiten mit der jeweiligen Schule. Die diesjährige Schule am Stockflethweg hat sich wunderbar darauf eingelassen und Fragen und Anregungen der Studierenden aufgenommen.
Danke für das Gespräch!
Weitere Informationen
Zur Person:
Prof. Dr. Angelika Paseka lehrt und forscht an der Fakultät für Erziehungswissenschaft im Arbeitsbereich Schulpädagogik/Schulforschung und begleitet die Kooperation mit der HafenCity Universität zu studentischen Projekten seit 2017.
Hintergrund:
Jedes Jahr bieten die UHH und HCU in Kooperation ein Projektseminar zu Architektur und Pädagogik an, in dem Masterstudierende konkrete Gestaltungsmöglichkeiten für schulische Räume entwerfen. An der Fakultät für Erziehungswissenschaft ist das Seminar Teil des Moduls „prioritäre Themen der Erziehungswissenschaft – Schulentwicklung“. Die Ergebnisse aus dem Projektseminar werden von einer Jury bestehend aus Beteiligten der Behörde für Schule und Berufsbildung (BSB), der Schulbau Hamburg, dem Bund Deutscher Architekten, dem Cubus Verlag als Veranstalter der Schulbaumesse sowie Lehrenden der HCU und UHH bewertet und im Rahmen der Schulbaumesse ausgezeichnet.
Preisträger:innen 2023:
Von 12 Projekten wurden zwei Projekte mit einem 1. Preis ausgezeichnet, drei weitere mit einer Würdigung. Die Studierenden der beiden am 19.9.2023 ausgezeichneten Projekte sind:
Gruppe 3:
Architektur: Jalma Fiolka & Finn Britze;
Pädagogik: Tharchis Soosainathan & Mara Kramer
Gruppe 10:
Architektur: Alicia Dälken & Lara S. Kroneberg
Pädagogik: Oliver N. Timm