Junge Forschung: Wie Vorschulkinder bereits zu Hause naturwissenschaftliche Kompetenzen entwickeln könnenHenning Dominke im Gespräch
9. März 2023
Foto: privat
Kinder machen sehr früh erste naturwissenschaftliche Erfahrungen, zum Beispiel beim Beobachten von Tieren oder Wetterphänomenen – und bereits bei der Einschulung gibt es große Unterschiede zwischen den Kompetenzen. Henning Dominke erforscht, wie Kinder zu Hause lernen und Interesse entwickeln können und hat dafür Kinder und ihre Eltern beobachtet. Im Gespräch über sein Promotionsvorhaben erklärt er, welche vielfältigen Momente sich eignen und wie Eltern ihren Kindern Gelegenheiten für grundlegende naturwissenschaftliche Erfahrungen ermöglichen können.
Zur Reihe „Junge Forschung“
Woran arbeiten eigentlich junge Erziehungswissenschaftler:innen? Und wo können sie aus ihrer Forschungsarbeit interessante Impulse für die Praxis einbringen? In einer neuen Reihe stellen wir junge Forschende aus unserer Fakultät und ihre Arbeit vor - und zwar im Interview mit unserem Leiter der Graduiertenschule, Dr. Markus Friederici.
Lieber Henning Dominke, einmal zum Einstieg: Lernen Kinder schon vor dem Eintritt in die Schule etwas über Naturwissenschaften?
Naturwissenschaftliche Bildungsprozesse beginnen bereits bei sehr jungen Kindern, wenn sie erste Erfahrungen mit der belebten und unbelebten Natur machen (z.B. beim Beobachten von Tieren oder Wetterphänomenen). Diese Prozesse finden vor allem zu Hause in der Familie und in der Kita statt, den beiden zentralen Lernumwelten für Kinder. Ich untersuche derzeit in der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Mirjam Steffensky im Rahmen meines Dissertationsprojekts häusliche Lernumgebungen im Bereich der Naturwissenschaften. Fragen sind dabei zum Beispiel, wie die häusliche Lernumwelt beschaffen ist und wie sie mit den naturwissenschaftlichen Kompetenzen junger Kinder zusammenhängt. Erkenntnisse darüber sind wichtig, weil wir wissen, dass es bereits vor der Einschulung große Unterschiede in den naturwissenschaftlichen Kompetenzen von Kindern gibt: Geringer ausgeprägte Kompetenzen erschweren spätere Lernprozesse in der Schule. Genauere Erkenntnisse über lern- und interessensförderliche Aktivitäten, die Eltern mit ihren Kindern machen, sind dabei wichtig, um Eltern gezielt darin zu unterstützen, Kindern Gelegenheiten für grundlegende naturwissenschaftliche Erfahrungen zu ermöglichen.
Worauf kommt es beim frühen naturwissenschaftlichen Lernen an?
Zum einen kommt es darauf an, dass Kinder vielfältige Gelegenheiten haben, sich mit Naturwissenschaften auseinanderzusetzen, zum Beispiel beim Spielen mit Wasser und Sand, beim Beobachten von Tieren, indem sie Bilderbücher zu naturwissenschaftlichen Themen anschauen oder in einen Zoo gehen. Es ist aber nicht nur wichtig, wie oft Kinder Erfahrungen mit naturwissenschaftlichen Themen machen - vermutlich kommt es gerade auf die Beschaffenheit der Interaktionen zwischen Eltern und Kind an, um das Kind bestmöglich in den Naturwissenschaften zu fördern. Das ist bereits aus anderen Bereichen wie der emotionalen oder sprachlichen Entwicklung bekannt. Über naturwissenschaftliche Interaktionsprozesse in der Familie und inwieweit diese mit den naturwissenschaftlichen Kompetenzen des Kindes zusammenhängen, wissen wir allerdings weniger. Ich habe die Annahme, dass Interaktionsprozesse, bei denen Eltern und Kinder in einen gemeinsamen Dialog zu einem Thema treten, gemeinsam neue Dinge zu einem Thema beitragen, Fragen stellen und nach Lösungen suchen, besonders lernförderlich sind. Das Elternteil nimmt dabei auch eine unterstützende Rolle ein, gibt Hinweise, stellt Nachfragen, geht auf das Kind ein und fordert es dadurch zum aktiven Nachdenken über das Thema heraus.
Wie haben Sie die naturwissenschaftlichen Interaktionen zu Hause erfasst?
Um Interaktionsprozesse untersuchen zu können, ist es oft hilfreicher, Eltern und Kinder zu beobachten und nicht nur zu befragen. Ich habe Interaktionen in Vorlesesituationen analysiert, in denen Eltern mit ihren fünf- bis sechsjährigen Kindern ein Bilderbuch über die Jahreszeiten lasen. Über 60 Elternteile nahmen mit ihren Kindern an diesem Vorlese-Projekt teil. Diese Situationen wurden gefilmt und werden von mir aktuell hinsichtlich der dort stattfindenden Interaktionen analysiert. Zusätzlich sollen diese Einschätzungen mit dem naturwissenschaftlichen Wissen der Kinder sowie deren Lernfreude und Motivation in den Naturwissenschaften in einen Zusammenhang gebracht werden, um die Beziehung zwischen den Interaktionen und der kindlichen Entwicklung genauer zu verstehen.
Was findet in naturwissenschaftlichen Interaktionen zwischen Eltern und Kindern statt?
Erste Analysen weisen darauf hin, dass viele Eltern beim Betrachten des Bilderbuchs in ein Gespräch mit den Kindern treten, offene Fragen stellen und die Ideen der Kinder erfragen (z.B. „Warum sind denn einige Bäume im Winter noch ganz grün und andere ganz kahl?“). Sie fordern das Kind zum aktiven Nachdenken heraus und geben, wenn nötig, kleine Hilfestellungen. Einige Eltern wiederum sind mehr direktiv und liefern dabei mehr Erklärungen an das Kind, ohne vom Kind eigene Erklärungen einzufordern. In letzteren Situationen liegen zudem insgesamt weniger Dialoge vor, von denen ich ja annehme, dass sie besonders förderlich für das Kind sein können.
Welche (ersten) Schlussfolgerungen können Sie ziehen?
Wenn ich mehr über diese Zusammenhänge herausgefunden habe, können Maßnahmen wie Elternbriefe oder -gespräche entwickelt werden, um zunächst auf die Naturwissenschaften als einen wichtigen Bildungsbereich für Kinder aufmerksam zu machen: Naturwissenschaftliche Themen begegnen uns an vielen Stellen unserer Lebenswelt, oftmals werden sie aber nicht wahrgenommen. Es geht also auch darum, die Angst zu nehmen, dass Naturwissenschaften möglicherweise zu schwer oder abstrakt für Kinder seien. Denn das Erkunden von Phänomenen beim Spielen (ohne sie vollständig wissenschaftlich erklären zu müssen) ist für viele Kinder äußerst spannend und motivierend.
Wichtig ist es auch Eltern zu sensibilisieren, wie man Kinder in Interaktionen stärker zum Nachdenken anregen und sie aktiv an der Interaktion teilhaben lassen kann, um sie so letztlich stärker in den Naturwissenschaften zu fördern und ihnen diesen vielseitigen und wichtigen Bereich näherzubringen. Solche anregenden Dialoge beziehen sich selbstverständlich nicht nur auf gemeinsame Vorlesesituationen, sondern auch auf andere naturwissenschaftliche Aktivitäten, z.B. beim Beobachten wie ein Eis in der Sonne schmilzt, beim Kreieren von Schattenfiguren an der Wand oder dem Drachensteigenlassen im Herbst.
Vielen Dank für das Gespräch!
Zur Person
Henning Dominke ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Arbeitsbereich Chemiedidaktik der Fakultät für Erziehungswissenschaft. Er forscht zu frühkindlicher naturwissenschaftlicher Bildung insbesondere in familiären Lernumwelten.