Wie kann Tutoring helfen, Schülerleistungen zu verbessern?Tutoring for All entwickelt wissenschaftsbasierte Leseförderung
1. Februar 2023
Foto: Tutoring for All gUG
Viertklässler:innen schneiden in ihren Leistungen in Deutsch und Mathematik schlecht ab, Bildungsexpert:innen bezeichnen die Ergebnisse als alarmierend. Insbesondere für benachteiligte Schüler:innen reichen bestehende Unterstützungsmaßnahmen nicht aus. Eine Kooperation zwischen der Universität Hamburg und der Tutoring for All gUG will hier ansetzen und entwickelt eine digitale Tutoring-Plattform zur Leseförderung für Grundschüler:innen nach einem Vorbild aus Großbritannien.
Der Nachhall des IQB Bildungstrend 2021 ist noch nicht verklungen: Die Erhebung zeigte auf, dass Grundschüler:innen in Deutschland im Bereich Basiskompetenzen vergleichsweise schlecht abschneiden. Am Ende der Grundschule können fast 20% nicht ausreichend lesen. Zugleich ist die Schere zwischen sozial benachteiligten und Kindern mit Zuwanderungshintergrund und Kindern aus privilegierteren Familien weiter aufgegangen. Die Folgen sind gravierend: „Wer nicht gut lesen kann, hat weniger Chancen auf gelingende schulische Bildung, einen erfolgreichen Weg auf dem Arbeitsmarkt und gesellschaftliche Teilhabe“, so Prof. Dr. Ingrid Gogolin von der Universität als wissenschaftliche Kooperationspartnerin.
Bisherige Ansätze der Leseförderung scheinen nicht gut genug zu funktionieren – und in der Bildungspolitik ist man intensiv auf der Suche nach Lösungen des Problems. Ein Kooperationsprojekt zwischen der Universität Hamburg und der Tutoring for all gUG verknüpft zwei vielversprechende Strategien und will mit einer Tutoring-Plattform das Lesenlernen von Grundschüler:innen unterstützen. Ekkehard Thümler, Geschäftsführer der Tutoring for all gUG, beschreibt den Ansatz: „Wir sehen als Ausweg aus dieser Situation die Kombination von zwei Strategien, die wir mit der Tutoring-Plattform verbinden: Erstens müssen wir die Digitalisierung als neue Ressource betrachten, die bisher noch viel zu wenig für die Förderung benachteiligter Kinder genutzt wird. Und zweitens ermöglichen Tools wie unsere Plattform, dass mehr Personen eine hochwertige und wirksame Förderung von Kindern durchführen können.“
Internationale Vorbilder aus England und den USA
Die Nonprofit-Organisation Fischer Family Trust in England hat ein digitales Tutoring-System entwickelt. Dieses wiederum basiert auf den Konzepten der Success for all Foundation in den USA, einer Nonprofit-Organisation, die gut erforschte Schulentwicklungsprogramme umsetzt. So sei die Idee entstanden, ein wissenschaftlich fundiertes Tutoring-Programm zur spielerischen Leseförderung von Grundschulkindern in Kleingruppen zu entwickeln. Das Team der Tutoring for All gUG entwickelt seit Mai 2022 auf der britischen Plattform eine deutsche Version namens „Lesen mit dem Turbo-Team“. Dazu werden sogenannte Geschichten in einzelne Lerninhalte gegliedert. „Auf Grundlage einer Diagnose des Lernstands erarbeiten sich die Kinder in Zweierteams diese Geschichten mit motivierenden Lernspielen. Die Förderung erfolgt täglich für 30 Minuten. Sie hält solange an, bis die Kinder ihre Lernrückstände ausgeglichen haben und im Regelunterricht mithalten können“, verspricht Tutoring for All. Die Besonderheit: Geschulte Personen unterstützen dabei die Kinder in ihrem Lernprozess und arbeiten mit ihnen gemeinsam in den Schulen und mit dem Programm.
Testphase soll in diesem Jahr starten
Das Programm „Lesen mit dem Turbo-Team“ soll im Februar in die erste Testphase gehen, zunächst in einer kleinen Zahl Schulen. Erfahrene Sprachtrainer:innen erhalten dafür eine Schulung und begleiten die Schüler:innen bei der Nutzung des Tutoring-Systems.
Derzeit wird das Projekt, das von der Tutoring for All gUG und der UHH gemeinsam realisiert wird, vom Bundesministerium für Wirtschaft im Rahmen einer Innovationsförderung unterstützt. „Wir sind dabei als Netzwerk aufgestellt. Solch eine Entwicklung kann nicht allein aus der Universität heraus entstehen, und muss gleichzeitig wissenschaftlich fundiert sowie praxiskompatibel sein.“, so Ekkehard Thümler. Der Fischer Family Trust in England bringt neben der digitalen Plattform auch langjährige Erfahrungen mit der Auswertung digitaler Leistungsdaten in die Partnerschaft ein. Ein weiterer Partner des Projektes in Deutschland ist der Verein InSL e.V. Dieser unterstützt insbesondere benachteiligte und mehrsprachige Kinder in der Sprach- und Leseentwicklung. „Die Erfahrungen der Mitglieder von InSL e.V. sind besonders bedeutend für den Aufbau der deutschsprachigen Inhalte und für die Beurteilung der Umsetzbarkeit des Angebots im schulischen Alltag“, so Ingrid Gogolin.
Erfolgsbedingungen wissenschaftlich erheben
Das Projekt Tutoring for All wurde im Jahr 2021 im Rahmen der Exzellenzstrategie der Universität Hamburg als Transferprojekt gefördert. Ohne diese erste größere Förderung wäre das Vorhaben nicht umsetzbar gewesen, so Ekkehard Thümler. Die Kooperation stelle zudem sicher, dass die Entwicklung auf wissenschaftlich basierten Erkenntnissen beruht. Dies betrifft einerseits die Berücksichtigung von bewährten Ansätzen der Leseförderung (wie Scaffolding oder Kooperatives Lernen), deren Wirksamkeit gut erforscht ist. Andererseits wird darauf geachtet, dass gesichertes Wissen über Bedingungen für die erfolgreiche Förderung von Kindern in nachteiligen Lebenslagen berücksichtigt wird. Dazu gehört z.B., dass den Kindern zugleich klare und ermutigende Rückmeldungen zu ihren Anstrengungen gegeben werden, so dass sie nicht nur ihre Kompetenzen erweitern, sondern auch eine positive, optimistische Haltung gegenüber ihren eigenen Fähigkeiten entwickeln. Prof. Ingrid Gogolin von der Universität Hamburg begleitet die Innovation aus wissenschaftlicher Perspektive: „Aus Forschungssicht ist für uns die zentrale Frage, ob das Tutoring – wie erhofft – dazu beiträgt, dass Kinder aus benachteiligten Verhältnisse ihre Lesefähigkeiten nachhaltig verbessern. Wir schauen uns in einer Evaluation nicht nur die Erfolge beim Lesen an, sondern versuchen auch zu identifizieren, unter welchen Bedingungen die Kooperation zwischen Schulen und Tutor:innen besonders gut gelingt und welche Qualifikation die Tutor:innen für erfolgreiches Arbeiten mitbringen müssen. Tutoring for All ist aus unserer Sicht besonders vielversprechend, weil es sich um ein Angebot handelt, in dem die Vorteile einer individuellen Begleitung von Kindern mit den Chancen, die ein digitales Tool bietet, optimal verknüpft werden.“
Weitere Informationen finden Sie auf der Projektseite tutoringforall.uni-hamburg.de sowie bei der Tutoring for All gUG