Junge Forschung: Familiensprache in der Schule – anerkannt oder abgewertetLiesa Rühlmann im Interview
11. Oktober 2022
Foto: privat
Wie blicken mehrsprachige junge Erwachsene auf ihre Schulzeit zurück und wie genau haben Erfahrungen, die mit der Anerkennung, aber auch der Ablehnung ihrer Familiensprache zu tun haben, sie geprägt? Liesa Rühlmann hat in Hamburg und Sydney zu dieser Frage promoviert und stellt ihre Ergebnisse im Interview mit Markus Friederici, Leiter der Graduiertenschule, vor.
Neue Reihe „Junge Forschung“
Woran arbeiten eigentlich junge Erziehungswissenschaftler:innen? Und wo können sie aus ihrer Forschungsarbeit interessante Impulse für die Praxis einbringen? In einer neuen Reihe stellen wir junge Forschende aus unserer Fakultät und ihre Arbeit vor - und zwar im Interview mit unserem Leiter der Graduiertenschule, Dr. Markus Friederici.
Liebe Liesa, willkommen. Erst einmal: Worum geht es in deiner Forschungsarbeit?
In meiner Arbeit, die als Joint PhD mit der Macquarie University entstanden ist, habe ich aus einer rassismuskritischen Perspektive untersucht, wie mehrsprachige Personen auf ihre Schulzeit zurückblicken und welche Subjektivierungsprozesse dabei erkennbar sind. Drorit Lengyel aus dem Arbeitsbereich DivER der Universität Hamburg und Ingrid Piller, die an der Macquarie University in der Soziolinguistik tätig ist, waren meine Erst- und Zweibetreuerinnen, die mich intensiv begleitet und beraten haben. Für meine Studie habe ich episodisch-narrative Interviews mit Personen zwischen 21 und 35 Jahren geführt, die neben der deutschen Sprache in ihrer Familie weitere Sprachen wie bspw. Türkisch, Ga und Französisch sprechen.
Was hast du dir genauer angeschaut?
Mein Ausgangspunkt war, dass Mehrsprachigkeit gesellschaftlich sowie in der Schule unterschiedlich bewertet wird und auch Sprecher*innen dementsprechend unterschiedlich positioniert werden, zum Beispiel positiv hervorgehoben oder abgewertet werden. Hieraus ergab sich eine Fokussierung auf Subjektivierung – also zu untersuchen, was dieser Umgang für sprechende Subjekte bedeutet und wie sie sich selbst als Sprecher*innen verorten (müssen). In der zyklischen Erhebung und Auswertung nach der Grounded Theory habe ich unter Rückgriff auf die Raciolinguistics, eine soziolinguistische, in den USA von Nelson Flores und Jonathan Rosa entwickelte Perspektive, feststellen können, dass im diskursiven und schulischen Umgang mit (Mehr-)Sprachigkeit Race eine bedeutsame Rolle einnimmt. Das heißt, Sprechen wird maßgeblich auch in Bezug darauf wahrgenommen und bewertet, ob Sprecher*innen als Schwarz, of Color oder weiß positioniert werden. Auf Basis meiner Daten habe ich die Relevanz einer solchen intersektionalen Perspektive, die das Zusammenwirken von Race und Sprache in den Blick nimmt, herausarbeiten können. Rosa spricht hierbei von Zuschreibungen entlang eines „looking like a language and sounding like a race“.
Was hast du herausgefunden?
Ein erstes, keineswegs überraschendes Ergebnis ist, dass alle Befragten Schule als einen natürlicherweise dominant deutschsprachigen Raum bewerten, trotz einer Fokussierung auf sogenannte Fremdsprachen. Weiterhin zeigen sich sehr unterschiedliche Erfahrungen in Bezug drauf, wie die Mehrsprachigkeit der Befragten in der Schule behandelt wurde. Es zeigt sich zum Beispiel eine Normalisierung in Hinblick auf das Deutschsprechen weißer Personen. Damit ist gemeint, dass weiße Personen als normalisierte, legitime Sprecher*innen adressiert wurden. In meiner englischsprachigen Arbeit nutze ich hierfür den Begriff der raciolinguistic norm. Während also weiße, „Prestigesprachen“sprecher*innen sowohl im Deutschen als auch in „Fremdsprachen“ als Expert*innen oder Natives positioniert wurden, erlebten von Rassismus betroffene Personen vor allem Abwertung und eine Positionierung als „Andere“, auch gerade hinsichtlich ihrer Sprachigkeit. Sie wurden also von Lehrkräften in Hinblick auf Sprache als auch auf Race nicht der Norm zugehörig markiert, sondern vielmehr als raciolinguistic Others. So berichten Schwarze Befragte und Interviewte of Color zum Beispiel von erlebten Sprachverboten und davon, als nicht gut deutschsprechend positioniert worden zu sein. Sie gehen außerdem auf Erlebnisse ein, in denen sie für ihr Deutschsprechen „Komplimente“ erhalten haben.
Haben alle deine Interviewpartner:innen von diesen Erfahrungen berichtet?
Weiße Befragte berichten nicht von solchen Erfahrungen. Die Befragten re-positionieren sich in der Regel entlang dieser Zuschreibungen. So zeigt sich zum Beispiel, dass zwei befragte weiße Personen sich als Natives der englischen und französischen Sprache verstehen. Sie fordern, dass Lehrkräfte im Sprachunterricht auch „Natives“ sein sollten. In den Interviews mit Schwarzen Befragten und Interviewten of Color zeigen sich solche Re-Positionierungen nicht. Ein Fokus liegt auf der Betonung einer Positionierung als deutschsprechende Person, die in der Schule nur oder viel Deutsch gesprochen hat. Dies kann aus subjektivierungstheoretischer Perspektive als eine Subjektposition gedeutet werden, durch welche Zugehörigkeit markiert werden kann, welche ihnen in der Schule teilweise abgesprochen wurde. Das Deutschsprechen weißer Befragter wurde nicht infrage gestellt und es stellt für die weißen Befragten auch in den Interviews eine Selbstverständlichkeit dar, die nicht hervorgehoben werden musste.
Was bedeutet dieser Unterschied?
Die betrachteten Erfahrungen sind rassismuskritisch relevant, da anhand ihrer deutlich wird, dass die rassismuserfahrenen Befragten als „Andere“ und als „Andersprechende“ verortet wurden, die nicht natürlicherweise Deutsch sprechen, während weiße Befragte also Norm und natürlicherweise deutschsprechend verortet wurden. Die intersektionale Betrachtung von Sprache und Race hat ermöglicht, dieses Erleben herauszuarbeiten und unterstreicht die zentrale Bedeutung einer solchen Perspektive. Es finden sich in den Daten auch Hinweise auf Handlungsfähigkeit und Widerstand innerhalb von Abwertung. Besonders deutlich wird dies anhand der Positionierung einer Schwarzen Person, die Standardsprachideologien ablehnt und als rassistische Praxis einordnet. Sie fordert Anerkennung ihres gesprochenen Französisch, das sie als „Schwarzes Französisch“ markiert und hat sich bereits in der Schule einem Normgedanken von einem einzigen „richtigen“ Französisch widersetzt.
Was bedeuten deine Ergebnisse für die schulische Praxis?
Zunächst einmal wird deutlich, wie wichtig es ist, der Intersektion von Race und Sprache in der Schule mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Die Ergebnisse unterstreichen, dass institutionelle und strukturelle Entwicklungen stattfinden müssen. Ein zentrales Ziel muss es sein, dass Schulen rassismusärmer werden und raciolinguistic Othering abgebaut wird. Dies würde mehrsprachigen Personen, die Othering erfahren, ermöglichen, mehr Entscheidungsmacht über ihre Sprachpraxen zu erlangen. Darüber hinaus müssen Lehrkräfte Zugänge zu kritischem Wissen über Rassismus und Mehrsprachigkeit erhalten. Vor allem ist es wichtig, Räume zur kritischen Selbstreflexion zu schaffen, damit eigene Denkweisen rassismuskritisch hinterfragt und konfrontiert werden können. Auch in der Lehramtsausbildung müssen solche Angebote deutlich ausgebaut werden. Es ist erkennbar, dass die Relevanz immer mehr gesehen wird und Angebote zunehmen, auch bei uns an der Fakultät.
Was hast du aus deiner Forschung mitgenommen, und was hast du als Resonanz erfahren?
Ich plädiere dafür, dass Forschung zum Thema Mehrsprachigkeit Race stärker berücksichtigt. Hierbei sollte meines Erachtens unter anderem stärker fokussiert werden, wie weiße Personen als Sprecher*innen positioniert werden. Um zu untersuchen, wie sich raciolinguistic Othering, also eine Veranderung von rassialisierten Personen als Sprecher*innen darstellt, ist es wichtig, auch Norm-Konstruktionen näher zu betrachten. Diese prägen maßgeblich, wer wieso als „anders“ verstanden wird und wie Sprechen bewertet wird. Auch die Positionierung Forschender sollte näher fokussiert werden. Eine Schwarze Befragte bezeichnete mich als „woke“ und führte aus, dass sie das Interview mit mir geführt hat, da sie wusste, dass ich rassismuskritisch arbeite. Es war also in diesem Gespräch mit einer rassismusunerfahrenen Person eine Voraussetzung für sie, dass diese sich kritisch mit Rassismus und ihrer Positionierung beschäftigt.
Was heißt das für die Rolle der Forschenden?
Die Situation unterstreicht für mich die Relevanz eines rassismuskritischen Umgangs mit der eigenen Positionierung sowie die Wichtigkeit, dass Interviewer*innen gegenüber Befragten sichtbar machen, wer sie sind und woran sie arbeiten. Nicht zuletzt wirft die zentrale Rolle meiner Positionierung Fragen dazu auf, wie die machtvolle Situation als weiße Forscherin genutzt werden kann um Rassismus in der Gesellschaft und konkret in Institutionen wie der Schule und Universität abzubauen. Es ist die Aufgabe weißer Wissenschaftler*innen sich mit diesen Fragen zu beschäftigen. Dies kann zu Forschung beitragen, die potentielle Verletzungen mitdenkt und zu vermeiden versucht. Es kann so zudem stärker fokussiert werden, welche Rolle die Interviewsituation selbst für Erkenntnisse hat, wodurch sich dann auch Überlegungen für zukünftige Forschungen ableiten lassen.
Vielen Dank für das Gespräch!
Liesa Rühlmann hat ihre Joint PhD-Dissertation (Universität Hamburg & Macquarie University) mit dem Titel „Race, Language, and Subjectivation. A Raciolinguistic Perspective on Schooling Experiences in Germany“ im August eingereicht. Betreut wurde die Arbeit von Drorit Lengyel (UHH) und Ingrid Piller (MQ). Gemeinsam mit Adolé Akue-Dovi gestaltet Liesa Rühlmann an der Fakultät Lehre zum Thema Rassismuskritik und wird im Rahmen der Ringvorlesung Interkulturelle Bildung am 15.11. auf Ergebnisse ihrer Studie eingehen.