Augsburger Wissenschaftspreis geht erneut an Hamburger StudierendeRassismus reflektiert durch Theater - Interview mit den Preisträger:innen
8. Juli 2022
Foto: UHH/Müller
Wieder geht der Augsburger Wissenschaftspreis für interkulturelle Studien an zwei Studierende der Fakultät für Erziehungswissenschaft der Universität Hamburg. Krishanthi Paramalingam und Kristofer Weinstein-Storey wurden am 07.07.2022 für ihre Masterarbeit mit dem Augsburger Wissenschaftspreis für interkulturelle Studien in der Kategorie Förderpreis ausgezeichnet. Im Interview erzählen sie von ihrem Forschungsprojekt mit dem Titel „Wo kommst Du her? Die Perspektiven deutscher Schüler:innen auf das Thema Rassismus - Rassismus thematisiert und reflektiert durch Theater“.
Zunächst einmal herzliche Glückwünsche zum Preis! Wie würdet ihr euer Forschungsprojekt in Kürze beschreiben?
Krisha: In unserer Arbeit beschäftigten wir uns damit, die Perspektiven und Erfahrungen von deutschen Oberstufen-Schüler:innen zum Thema Rassismus einzufangen. Auf der einen Seite die Perspektiven einer Gruppe von Schwarzen bzw. People of Color (PoC) Schüler:innen und auf der anderen Seite die Perspektiven einer Gruppe von weißen privilegierten Schüler:innen. Beide Gruppen kamen aus zwei unterschiedlichen Schulen und Schulformen.
Kristofer: Ich habe bewusst zwei unterschiedliche Schulen ausgesucht, die sozio-ökonomisch gesehen weit auseinander liegen. Die Erfahrungen und Perspektiven der Schwarzen und PoC – Schüler:innen haben wir in einem zweimonatigen Probenprozess in das Theaterstück „Wo kommst du her?“ transformiert, dieses vor weißen privilegierten Schüler:innen aufgeführt und als Stimulus für unsere Untersuchung wirken lassen. Wir haben untersucht, ob und inwiefern die Erarbeitung, die Aufführung bzw. Rezeption des Stücks eventuell eine Perspektivänderung bei den Schüler:innengruppen bewirkte. Natürlich war das auch ein großer Teil Empowerment-Arbeit für die Schwarzen / PoC – Schüler:innen.
Der Forschungsprozess lief folgendermaßen ab: Zu Beginn haben wir mit den PoC - Schüler:innen problemzentrierte Leitfadeninterviews geführt und aus den Ergebnissen mit ihnen das Theaterstück entwickelt und anschließend geprobt. Die gleichen Interviews führten wir mit den weißen Schüler:innen, bevor sie das Theaterstück sahen. Nach der Aufführung des Stücks der PoC - Schüler:innen fanden zwei getrennte Gruppendiskussionen beider Gruppen statt, in denen wir darauf achteten, was der Prozess der Theaterstück-Entwicklung bei den Schwarzen Schüler:innen bewirkte und wie die Rezeption des Stücks bei den weißen Schüler:innen ausfiel.
Und was habt ihr festgestellt? Was kam heraus?
Kristofer: Das Projekt war wie gesagt auch ein Versuch, Empowerment-Arbeit mit den Schwarzen PoC – Schüler:innen zu machen, und das hat auf jeden Fall gut funktioniert. Und dann haben wir bzw. die Schüler:innen festgestellt, dass das Thema Rassismus, insbesondere Alltagsrassismus in Deutschland im schulischen Kontext, bisher nicht genug vorkommt. Das heißt Rassismus wird anhand des Dritten Reiches oder an Beispielen aus den USA thematisiert, aber nicht im Zusammenhang mit dem heutigen Deutschland, und es wird kaum gezeigt, dass es hier auch heute noch Rassismus gibt. Rassismuskritische Bildung hat im schulischen Curriculum noch zu wenig Platz.
Krisha: Wir haben auch festgestellt, dass ein Interesse für das Thema vorhanden ist und es auch im schulischen Kontext behandelt werden kann. Bei den weißen Schüler:innen zeigte sich vor allem, dass die Berührungspunkte zu PoC-Schüler:innen fehlen und oft unklar erscheint, wie sie miteinander in den Kontakt kommen können, obwohl sie es gerne würden.
Kristofer: Man muss sich vorstellen: Das sind Schüler:innen, die quasi um die Ecke voneinander wohnen, im gleichen Stadtteil, aber sie haben einfach keinen Kontakt miteinander – die Lebenswelten sind weit auseinander.
Krisha: Wir nutzen bei den weißen Schüler:innen auch das Wort „privilegiert“. Dabei geht es um Privilegien in vielen Hinsichten, nicht nur im Zusammenhang mit der Hautfarbe: das Elternhaus, Bildung, materielle Standards usw. – zwischen beiden Gruppen besteht da ein himmelweiter Unterschied in ihren Lebenswelten.
Habt ihr das Gefühl, dass sich in der Perspektive der weißen Schüler:innen etwas verändert hat?
Kristofer: Für mich als Theater-Regisseur natürlich nicht genug, ich möchte mit dem Theaterstück so viel wie möglich verändern, aber das braucht einfach ganz viel Zeit und viel Auseinandersetzung mit dem Thema. Ein dreißigminütiges Theaterstück schafft das dann eben erstmal nur im kleinen Ausmaß. Aber ja, ich hatte schon den Eindruck, dass das Stück ein bisschen was in Bewegung gesetzt hat. Danach ist dann die Frage, was im Anschluss an das Stück im Unterricht passiert ist. Was machen die Lehrkräfte daraus?
Krisha: Man kann schon sagen, dass ein Stück weit Sensibilisierung stattgefunden hat. Gerade was „Mikroaggressionen“ wie die Frage „Wo kommst du her?“ betrifft. Viele der weißen Interviewten fanden diese Frage zu Beginn gar nicht problematisch: „Ich will doch nur Interesse bekunden, mich interessiert einfach, wo die Person herkommt“ heißt es dann. Ich glaube durch unsere Arbeit, die Interviews und das Theaterstück ist da so ein bisschen Bewusstsein geschärft worden. „Aha, ich muss mich da ein bisschen reflektieren und die Frage ist vielleicht gar nicht so harmlos, wie es scheint.“ Ich erinnere mich an die Erkenntnis eines Jungen: „Krass, Rassismus passiert ja vor unserer Haustür!“. Da haben wir schon was bewirkt und mit dem Theaterstück einen ersten Schritt gemacht, mit dem daraus entstandenen Film wollen wir viele weitere Schritte gehen.
Wie kamt ihr zu eurem Forschungsthema?
Kristofer: Ich hatte mal ein Seminar, in dem Rassismus thematisiert wurde. Während die People of Color von ihren eigenen Rassismuserfahrungen berichteten, sagten alle weißen Deutschen, dass Rassismus etwas sei, das in ihrem Leben nicht existent sei – sie waren sozusagen alle im 'Happyland' (ein Begriff von Tupoka Ogette). Ich war echt erstaunt, dass es bei ihnen überhaupt keine Berührungspunkte oder eine Verbindung zu dem Thema gab. Mich interessierte dann: Wo fängt das an? Kann man dieses Phänomen auch schon in der Schule beobachten? Und wie kann es sein, dass erwachsene Menschen gar keine Verbindung zum Thema Rassismus haben? Für mich als Theaterschaffenden stellte sich dann die Frage: Kann Theater da etwas bewirken? So kam es zur Idee, daraus ein Stück zu machen.
Krisha: …vor allem ein Stück von und für junge Menschen, Schüler:innen. Als wir für unsere Masterarbeit recherchiert haben, wurde deutlich, es gibt zwar ein wenig Forschung zu den Erfahrungen und Berührungspunkten weißer Menschen mit dem Thema Rassismus, im Kontext Jugendliche war sie allerdings bisher kaum vorhanden. Da war für uns klar: Schule bietet sich für unsere Forschung an, zumal wir beide auch angehende Lehrer:innen sind.
Kristofer und ich kannten uns übrigens schon aus einem gemeinsamen Seminar und trafen uns in Dr. Brabands Forschungswerkstatt wieder. Mir gefiel die Idee des Forschungsvorhabens und in einer Gruppe von vier Leuten haben wir im Rahmen der Forschungswerkstatt schon einige Leitfaden-Interviews mit weißen, privilegierten Schüler:innen geführt. Für unsere Masterarbeit haben wir unsere Forschung aus der Forschungswerkstatt weitergeführt und dann zu zweit auch die PoC-Gruppe in den Blick genommen, beide verglichen und reflektiert.
Wie geht es mit eurer Forschung nun weiter?
Kristofer: Aus dem Theaterstück konnten wir glücklicherweise mit Mitteln der Schule einen professionellen Spielfilm machen, der nun in Hamburger Schulen im Unterricht zum Thema Rassismuskritik verwendet werden soll. Momentan geht es darum, den Film entsprechend weit zu verbreiten und ihn didaktisch auszuarbeiten: Wie kann der Film im Unterricht verwendet und gut implementiert werden? Da braucht es ein gutes Konzept, an dem wir aktuell gemeinsam mit dem Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung (LI) arbeiten. Außerdem bieten wir Fortbildungen für Lehrkräfte an, um das didaktische Potenzial des Films auszuarbeiten und gemeinsam herauszufinden, wie im Unterricht am besten mit dem Film gearbeitet werden kann.
Krisha: Wichtig ist uns bei den Fortbildungen, dass nicht nur wir den Lehrkräften etwas beibringen, sondern auch wir von ihrer Expertise profitieren: Für welche Lerngruppe ist der Film geeignet? Wie kann man den Film gut einbetten?
Was war für euch die bisher wichtigste Erkenntnis aus dem gesamten Forschungsprojekt?
Krisha: Meine Motivation, das Seminar zu wählen, das Forschungsprojekt und dann die Masterarbeit zu schreiben, entstand auch aus meiner eigenen Biografie und meinen eigenen Erlebnissen, die ich gut mit denen der Interviewteilnehmer:innen vergleichen konnte. Da konnte ich auch eigene Erfahrungen mitgeben und mir gefiel der Austausch da sehr gut. Allerdings hatte ich die erschreckende Erkenntnis: „Scheiße, wir sind immer noch mit dem Thema Rassismus beschäftigt.“ Ich stelle mir die Frage: Wir sprechen viel, aber wann passiert etwas? Wann gibt es den Punkt, wo es für nicht-weiße Deutsche selbstverständlich ist, sagen zu können „Ich bin deutsch“, ohne dass jemand nachfragt „Wirklich?“ oder überhaupt erst nach der Herkunft gefragt wird.
Kristofer: Für mich war es ganz wichtig, diese Empowerment-Arbeit für die Schüler:innen of Color zu machen. Das hätte ich auch einfach so, ohne Masterarbeit und Forschung, gemacht. Denn diese Arbeit ist wichtig, diese Schüler:innen sind mir wichtig und dass sie verstehen, dass sie selbst wichtig und ein gleichberechtigter Teil der Gesellschaft sind. Es war mir ein großes Bedürfnis das durchzuziehen.
Was möchtet ihr noch sagen?
Kris: Wir möchten uns bei Dr. Janne Braband und Dr. Drorit Lengyel ausdrücklich für ihre Unterstützung der Masterarbeit bedanken. Und wir möchten uns auch bei Alina Juosofzad und Lotta Kahlert bedanken, die uns bei den Interviews und in der Forschungswerkstatt mit ihrer Zeit und ihren Einwänden und Gedanken sehr unterstützt haben.
Krisha: Wir sind sehr dankbar darüber, dass wir das Seminar, diese Forschungsarbeit und dann die Masterarbeit machen durften, dass wir so gut betreut wurden und nun sogar mit einem Preis ausgezeichnet wurden. Das zeigt, dass das Thema relevant und wichtig ist, dass ein Potenzial da ist, dass nun noch weiter ausgeführt werden muss. Wir würden uns wünschen, dass sich alle Unis und alle Schulen mehr mit diesem Thema beschäftigen und allgemein akzeptiert wird: Deutschland ist nicht nur weiß.
Das Interview wurde am 8.6.2022 aufgenommen.
Der Augsburger Wissenschaftspreis für interkulturelle Studien wird jährlich von der Uni Augsburg gemeinsam mit dem Forum Interkulturelles Leben und Lernen vergeben und zeichnet herausragende Leistungen von Nachwuchswissenschaftler:innen in der Forschung zu Diversität aus. Im Jahr 2021 hat Jennifer Adolé Akue-Dovi den Preis für ihre Masterarbeit gewonnen.
Weiterführende Informationen
Zu den Personen:
Kristofer Weinstein-Storey: Studium Gymnasiallehramt Englisch und Sozialwissenschaften
Krishanthi Paramalingam: Studium Primar- und Sekundarstufe 1 Englisch und Deutsch
Hier findet sich der Trailer zum Film "Wo kommst du her?".