Professur für Erwachsenenbildung besetzt„Mich treibt die Vision einer Gesellschaft des langen Lebens und Lernens um“Claudia Kulmus im Gespräch
22. Juni 2022
Foto: UHH/Scholz
Prof. Dr. Claudia Kulmus ist von der Humboldt-Universität in Berlin nach Hamburg gekommen und hat im Juni eine Junior-Professur an der Fakultät für Erziehungswissenschaft für „Erwachsenenbildung“ angetreten. Im Gespräch erzählt sie, wie sie in der Lehre Theorie und Praxis verbinden möchte, welche Fragen zu einer Gesellschaft des Lebenslangen Lernens ihre Forschung antreiben, und warum dies nicht nur für ältere Menschen eine vielversprechende Perspektive ist.
Ihr Weg als Wissenschaftlerin in fünf Sätzen?
Ich habe Diplom-Pädagogik studiert, an der Otto-Friedrich-Universität in Bamberg und hier an der Universität Hamburg – zwei herausragende Standorte für den Schwerpunkt Erwachsenenbildung. Und hier in Hamburg habe ich dann auch noch Lateinamerikanistik studiert, einfach aus Interesse und aus Liebe zu Spanisch. Für ein Forschungsprojekt bin ich nach dem Abschluss an die Humboldt-Universität zu Berlin gegangen – ebenfalls ein toller Standort für Erwachsenenbildung – und bin dort für die Dissertation und in unterschiedlichen Projekten und Positionen eine ganze Weile geblieben. Und jetzt freue ich mich riesig über den Ruf „zurück“ nach Hamburg.
Was war ausschlaggebend für Ihre Entscheidung, an die Uni Hamburg zu kommen?
Die Erziehungswissenschaft und die Erwachsenbildung sind in Hamburg breit aufgestellt und thematisch inspirierend, ich finde viele Anschluss- und Entwicklungsmöglichkeiten hier. Außerdem habe ich selbst eine gewisse Lernkultur und Haltung mit Blick auf das Lernen Erwachsener und damit auch auf Studierende an der Fakultät kennenlernen dürfen, die die Lernenden in ihren eigenen Interessen ernst nimmt. Das hat mich selbst geprägt und gebe ich gerne zurück.
An welchen Forschungsthemen arbeiten Sie derzeit?
Was mich ganz zentral umtreibt ist die Frage, wie wir eine Gesellschaft des langen Lebens und damit auch des langen Lernens Realität werden lassen können. Dazu bedarf es der Forschung zum Lernen von älteren Erwachsenen und ihren Interessen, sowohl in Bildungseinrichtungen als auch in ihrem Lebensalltag und im Sozialraum. Das ist auch ein politisches Thema, nämlich die Frage, wie eine Gesellschaft aussehen müsste, in der man nicht „den Alten“ eine Sonderrolle zuweist. Wir brauchen Strukturen, die Menschen auch im späten Leben noch gesellschaftliche Teilhabe und Anerkennung ermöglichen, in denen sie für sich und für andere da sein können und dabei auch gesellschaftlich gesehen und gewürdigt werden, selbst wenn die Kräfte langsam nachlassen.
Zweitens interessiert mich professionelles pädagogisches Handeln: mikrodidaktisches Handeln in der Lehre und mesodidaktisches Handeln in Form von Programmplanung und Organisationsgestaltung in der Erwachsenenbildung. Denn über dieses professionelle Handeln unterstützen wir das Lernen Erwachsener und suchen auch nach Wegen, diejenigen zu unterstützen, die zwar lernen (das tun wir alle immer), aber von alleine nicht so leicht den Weg in Weiterbildung finden.
Konkret arbeite ich gerade an einem Projekt zur „Senior:innenbildung in der Pandemie“, wo ich danach frage, welche langfristigen Wirkungen für Bildungs- und Begegnungseinrichtungen sich möglicherweise aus dieser Pandemie ergeben könnten, neben all den negativen Seiten, die es für ältere Menschen selbst, aber eben auch für Bildungs- und Begegnungseinrichtungen in der Pandemie gab.
An der Uni Hamburg will ich mir dann die Themenbereiche Literacy und Diversität (Forschungszentrum der Fakultät sowie Profilinitiative der UHH) weiter erschließen. Das ist sehr gut anschlussfähig an den Themenkomplex Altern und es gibt hier in Hamburg eine große Expertise und auch unglaubliche Datenschätze, die mir auch eine methodische Weiterentwicklung erlauben. Außerdem kann ich darüber weiter in der Beteiligungsforschung arbeiten, in der ich mich ohnehin bewege, und vor allem auch Fragen von ‚Ageism‘ (Diskriminierung aufgrund von Alter) und sozialer Ungleichheit im Alter anschließen. Letztere reflektieren wir als Erziehungswissenschaftler:innen ohnehin immer mit.
Wie erklären Sie Ihre Forschung ganz einfach verständlich?
Menschen lernen ihr ganzes Leben lang, immer weiter, immer wieder neu, immer wieder anders. Alle Menschen können lernen, bis ins ganz hohe Alter hinein, aber nicht alle haben die gleichen Voraussetzungen und Möglichkeiten dazu. Außerdem gibt es viele Vorurteile gegenüber dem Lernen, vor allem im Alter, und wir versuchen das genauer zu untersuchen und zu zeigen, wann und wie Menschen eben „lebenslang und lebensbreit“ lernen, welche Bedingungen dafür nötig sind, aber auch welche Unterstützung, welche Bildungsangebote, welche Beratung dabei hilfreich sein können.
Zu welchen aktuellen gesellschaftlichen Themen oder Herausforderungen möchten Sie Ihre wissenschaftliche Expertise beitragen (und wie)?
Mich treibt unter anderem die Vision einer Gesellschaft des langen Lebens und Lernens um. Würden wir das erreichen, wären nicht nur für Ältere, sondern auch für jüngere Menschen so manche (berufs-)biografischen Brüche viel weniger dramatisch, weil es bis ins hohe Alter hinein immer sichtbare und akzeptierte Wege gäbe sich neu zu orientieren, sich weiterzuentwickeln, Einstiege in neue Themen- und Handlungsfelder zu finden und dafür auch gesellschaftliche Akzeptanz zu finden. Dabei sollten auch das Wissen, die Erfahrung und vielleicht gar die Weisheit Älterer dies- und jenseits der Erwerbsarbeit viel sichtbarer werden.
Was erwarten Sie von den Studierenden und von sich selbst innerhalb der Lehre?
Ich wünsche mir Lust und Neugier auf die Themen, und vor allem auch den Mut, sich ihnen eigenständig anzunähern und eine eigene Perspektive darauf zu entwickeln. Das heißt auch, nicht vorrangig zu fragen, was ich als Lehrende erwarte (das versuche ich ohnehin transparent zu machen), sondern was Studierende für sich mitnehmen können, wenn sie ihre eigenen Interessen mit den Themen des Seminars verbinden.
In der Lehre möchte ich gerne eine systematische Theorie-Praxis-Reflexion weiterentwickeln. Das ist mir v.a. deshalb wichtig, weil es an der Uni vorrangig darum geht, wissenschaftliches Denken und Arbeiten einzuüben, und dabei manchmal der Eindruck entstehen kann, das sei aber nicht praxistauglich oder nicht hilfreich. Das sehe ich völlig anders, aber das Verhältnis von Theorie und Praxis, den wechselseitigen „Nutzen“ sichtbar zu machen, erfordert systematische Reflexion. Für die braucht es Raum in der Lehre.
Wie sieht Ihre internationale und praxisbezogene Zusammenarbeit aus?
Ich bin gerade dabei mich in die unterschiedlichsten Netzwerke der Alternsforschung einzubringen – das Thema wird ja international und auch interdisziplinär bearbeitet. Kontakte auch über Konferenzen hatte ich dazu beispielsweise nach Finnland, England und Kanada. Über einen Teaching Exchange war ich in Dänemark und wir hatten einen Forscher aus Ungarn zu Gast. In Hamburg gibt es außerdem das UIL, das UNESCO Institute for Lifelong Learning.
Das ist ja eigentlich prädestiniert für Fragen der Unterstützung eines Lernens bis ins hohe Alter hinein, deshalb möchte ich das sehr gerne kennenlernen und Möglichkeiten der Zusammenarbeit ausloten. Inhaltlich möchte ich über meine Projekte in der Beteiligungs- und Professionsforschung dazu beitragen, dass das lebenslange Lernen bis ins hohe Alter hinein in der Erziehungswissenschaft und vor allem der Erwachsenenbildung wirklich ankommt. Lernen endet nicht mit dem Ende der Berufs- oder Familientätigkeit, Lernfähigkeit erst recht nicht.
Worauf freuen Sie sich in Hamburg?
Auf die Alster (meine Lieblingsbank für kurze Auszeiten ganz in Büronähe habe ich schon gefunden) und das Moin, auf die Kolleg:innen und auf die Entwicklungs- und Gestaltungsmöglichkeiten wissenschaftlicher Tätigkeit.
Vielen Dank für das Gespräch!
Hier geht es zum Steckbrief von Prof. Dr. Claudia Kulmus im Newsroom der UHH