Professur für Mathematik-Didaktik besetzt„Mathematik in alltäglichen Dingen entdecken und erforschen, das motiviert“Prof. Dr. Nils Buchholtz im Gespräch
5. April 2022
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Prof. Dr. Nils Buchholtz ist von der Universität zu Köln nach Hamburg gekommen und hat im April eine Professur an der Fakultät für Erziehungswissenschaft für die Didaktik der Mathematik (Sekundarstufe) angetreten. Im Gespräch erzählt er, was aus seiner Sicht gute Mathematiklehrkräfte ausmacht, wofür er Studierende wie auch Schülerinnen und Schüler begeistern will und welche internationalen Kooperationen für ihn wichtig sind.
Ihr Weg als Wissenschaftler in fünf Sätzen?
An die Uni Hamburg zurückkehren zu dürfen ist ein großes Glück für mich, denn hier an der Fakultät habe ich studiert, promoviert und lange Zeit gearbeitet. Nach der Promotion 2014 habe ich den Hamburger Vorbereitungsdienst absolviert und bin anschließend an die Universität für eine Post-Doc Stelle zurückgekehrt. Ich arbeite im Bereich der Erforschung der Lehrerausbildung im Fach Mathematik und konnte mir so ein fundiertes Bild der ersten und zweiten Phase der Lehrerausbildung machen. 2017 erhielt ich einen Ruf auf eine Associate-Professur an der Universität Oslo und habe einige Zeit in Norwegen in der Mathematiklehrerausbildung gearbeitet. Mit einem Ruf auf eine W3 Professur an der Universität zu Köln kehrte ich 2020 wieder nach Deutschland zurück und erhielt nun die Gelegenheit eine Professur hier an der Fakultät anzutreten. Es ehrt mich, die Nachfolge von Prof. Dr. Gabriele Kaiser - meiner Doktormutter - antreten zu dürfen, die die Fakultät über viele Jahre geprägt hat.
Was war ausschlaggebend für Ihre Entscheidung, an die Uni Hamburg zu kommen?
Da mich als gebürtiger Hamburger auch privat vieles mit der Stadt verbindet, hat sich nun alles glücklich gefügt. Aber Hamburg als Wissenschaftsstandort bietet mir natürlich auch ausgezeichnete Bedingungen für Forschung und Lehre. Die exzellent ausgezeichnete Universität, die Internationalität der Stadt und ihre Nähe zu Skandinavien sowie meine langjährigen Verbindungen zu Hamburger Schulen mit ihren Lehrerinnen und Lehrern bieten viele Möglichkeiten, meine Forschungsprojekte und Kooperationen zu verwirklichen. Letztlich kann ich damit der Hamburger Lehrerausbildung, die ich selbst einmal durchlaufen habe, einen Teil zurückgeben.
An welchen Forschungsthemen arbeiten Sie derzeit?
Mich interessiert vor allem die Frage, welches Wissen, welche Überzeugungen und welche Fertigkeiten Lehramtsstudierende und angehende Mathematiklehrkräfte in der Ausbildung und den ersten Berufsjahren erwerben müssen, um angemessen für die Berufspraxis vorbereitet zu sein, die heute durch eine immer stärker ausgeprägte Diversität der Schülerinnen und Schüler oder den geforderten Einsatz digitaler Medien geprägt ist. Aktuell arbeite ich an verschiedenen Studien, die mit Hilfe von situativen und video-basierten Instrumenten die Bedeutung des mathematischen Fachwissens und des mathematikdidaktischen Wissens von Lehrkräften für das Handeln im Unterricht untersuchen.
Auch der internationale Vergleich des Mathematikunterrichts war und ist immer wieder Ausgangspunkt für meine Forschungen. So beforsche ich in dem internationalen Drittmittelprojekt „MathMot“ die Unterrichtsqualität im Mathematikunterricht und Bedingungen für die Steigerung der Motivation zum Lernen von Mathematik in sechs Ländern (Norwegen, Schweden, Finnland, Estland, Portugal, Serbien). Hierbei handelt es sich um eine größere quantitative Studie, in der wir in jedem Land 50 Schulklassen zur Unterrichtsqualität und spezifischen Praktiken ihrer Mathematiklehrerinnen und -lehrer befragen.
Eine Möglichkeit, die Motivation von Schülerinnen und Schülern zu steigern, stellt auch das außerschulische Lernen von Mathematik dar. Daher forsche ich seit vielen Jahren zum Thema Outdoor-Mathematik und habe einige mathematische Spaziergänge in Hamburg entwickelt, die Hamburger Lehrkräfte regelmäßig mit ihren Schülerinnen und Schülern durchführen. Hierbei arbeiten die Schülerinnen und Schüler wie bei einer Rallye an verschiedenen Stationen im städtischen Raum und lösen dort mathematische Probleme, bei denen sie Größen schätzen, mit Werkzeugen ausmessen und sinnvoll berechnen müssen - mathematische Tätigkeiten, die im Klassenraum oft zu kurz kommen. Aktuell beschäftigt mich vor dem Hintergrund des Einsatzes digitaler Medien im Mathematikunterricht die Frage, wie diese mathematischen Stadtspaziergänge mit Hilfe von GPS-Lokalisations-Apps digital unterstützt werden können - hier bin ich im Bereich der fachdidaktischen Entwicklungsforschung tätig.
Wie erklären Sie Ihre Forschung ganz einfach verständlich?
Viele Menschen in meinem Umkreis erinnern sich nicht gern an ihren Mathematikunterricht. Mathematik ist ein polarisierendes Fach. Da fallen dann Sätze wie: “Als wir angefangen haben, mit Buchstaben zu rechnen, hörte es auf bei mir.” Die Komplexität des Faches kann Schwierigkeiten und Frustration erzeugen. Oft sehen wir zusätzlich im Mathematikunterricht stark lehrergesteuerte Unterrichtsmuster, wegen der hohen Stoffdichte. Hier setzt die mathematikdidaktische Forschung an. Sie ist eine sehr anwendungsorientierte Forschung, die das Ziel hat, bessere Lehrerinnen und Lehrer auszubilden, um Schülerinnen und Schülern beim Lernen von Mathematik besser unterstützen zu können. Um einmal ein Beispiel zu geben, sollte eine Mathematiklehrkraft in Unterrichtssituationen typische Schülerfehlvorstellungen beim Rechnen mit Variablen (die Buchstaben) erkennen können und den Aufbau von tragfähigen Grundvorstellungen zu Variablen auch bereits bei ihrer Unterrichtsplanung berücksichtigen. Was kann man sich denn beispielsweise unter dem “x” in einem Ausdruck wie „3x+4 = 1“ vorstellen? Darauf sollte eine Lehrkraft eine Antwort geben können, und ich erforsche u.a., wie sie das im Lehramtsstudium am besten lernen kann.
Zu welchen aktuellen gesellschaftlichen Themen oder Herausforderungen möchten Sie Ihre wissenschaftliche Expertise beitragen (und wie)?
Da Norwegen ein Land ist, dem in internationalen Vergleichen eine sehr gut ausgeprägte Bildungsgerechtigkeit bescheinigt wird, richte ich seit 2017 mein Forschungsinteresse verstärkt auf dieses Thema. Die Gruppe der Lernenden, auf die unsere Studierenden später in der Praxis in den Schulen trifft, sind in einer Großstadt wie Hamburg extrem diversifiziert in vielerlei Hinsicht. Ich möchte die Studierenden bereits im Studium für den Umgang mit vulnerablen Schülergruppen sensibilisieren. Dazu entwickle ich zusammen mit meinen Kolleginnen und Kollegen in Forschungsprojekten entsprechende Lerneinheiten und Fortbildungen zum sprachsensiblen und inklusiven Mathematikunterricht.
Eine zweite riesige Herausforderung für den Mathematikunterricht stellt der Umgang mit der fortlaufenden Digitalisierung dar. Die Pandemie hat hier nicht zuletzt gute wie schlechte Entwicklungen hervorgebracht. Wichtig ist mir, dass Lehrkräfte bereits im Studium begreifen, dass der Einsatz von digitaler Technologie im Unterricht allein keine lernförderliche Wirkung zeigt. Erst, wenn der Einsatz digitaler Medien und Werkzeuge dazu beiträgt, fachliche Lernprozesse zu unterstützen, können wir von den Vorteilen der Digitalisierung profitieren. Wir stehen erst am Anfang zu begreifen, was Digitalisierung eigentlich bedeutet. Ihren fachlichen Mehrwert zu erkennen und mit den Studierenden z.B. im Kontext des außerschulischen Lernens zu thematisieren ist mir ein Anliegen.
Was erwarten Sie von den Studierenden und von sich selbst innerhalb der Lehre?
Ich möchte den Studierenden gerne ein anwendungsorientiertes Bild von Mathematik vermitteln, damit sie dieses Bild auch in ihrer späteren Berufspraxis an die Schülerinnen und Schüler übertragen. Mathematik spielt doch in so vielen Dingen im Leben eine Rolle, wir sehen sie oft nur nicht (wir nennen dies das Relevanzparadoxon der Mathematik). Ich hoffe, die Studierenden teilen wie ich die Lust, Mathematik in alltäglichen Dingen zu entdecken und zu erforschen. Dass das nicht immer einfach ist, merkt man aber schnell, denn Mathematik bedeutet auch, dass man manchmal lange über der Lösung eines Problems brütet. Auch das muss Schülerinnen und Schülern in dieser schnelllebigen Zeit aber vermittelt werden.
Ich habe in den letzten drei online-Semestern leider die Erfahrung gemacht, dass das Lesen von fachdidaktischer Literatur und die aktive Beteiligung von Studierenden in Seminaren nachgelassen hat. Dies ist sicher zu einem gewissen Teil der Pandemie und den damit verbundenen Einschränkungen geschuldet und ändert sich hoffentlich in Zeiten von Präsenzlehre wieder. Auch besteht seitens der Studierenden oft der Wunsch nach einer stärkeren Praxisnähe. Ich bemühe mich, diesem Wunsch an geeigneten Stellen nachzukommen, aber das Lehramtsstudium im Fach Mathematik setzt nun einmal die theoretische Auseinandersetzung mit fachdidaktischer Literatur voraus - wichtig ist hier die Balance.
Wie sieht Ihre internationale und praxisbezogene Zusammenarbeit aus?
Ich habe das Glück auf ein großes internationales Netzwerk an Forscherinnen und Forschern zurückgreifen zu können, mit denen sich Kooperationen auf verschiedener Ebene ergeben. Ich arbeite nach wie vor aber sehr eng mit den Kolleginnen und Kollegen in Oslo zusammen, so dass sich langfristig hoffentlich auch etwas wie ein Studierendenaustausch realisieren lässt.
Mit den mathematischen Stadtspaziergängen haben wir schon erste Transferarbeit geleistet. Hamburger Lehrkräfte können sich mit uns in Verbindung setzen und wir stellen die Materialien momentan alle digital zur Verfügung. Langfristig soll dieses Projekt als festes Angebot für einen außerschulischen Lernort für alle Hamburger Mathematiklehrerinnen und -lehrer ausgebaut werden und durch den Einbezug von Studierenden auch personell betreut werden.
Worauf freuen Sie sich in Hamburg?
Familie und Heimat.
Vielen Dank für das Gespräch!
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