Augsburger Wissenschaftspreis für Jennifer Adolé Akue-DoviEin Gespräch über Rassismus und Kinder- und Jugendmedien
1. Dezember 2021
Foto: privat
Jennifer Adolé Akue-Dovi wurde am 30.11.2021 für ihre Masterarbeit mit dem Augsburger Wissenschaftspreis für interkulturelle Studien in der Kategorie Förderpreis ausgezeichnet. Im Interview erzählt sie von ihrem Forschungsprojekt mit dem Titel „Wie Kinder und Jugendliche of Color die Reproduktion von Stereotypen in Kinderhörspielen wahrnehmen. Eine empirische Untersuchung der Hörspielreihe TKKG aus rassismuskritischer Perspektive“.
Der Augsburger Wissenschaftspreis für interkulturelle Studien wird jährlich von der Uni Augsburg gemeinsam mit dem Forum Interkulturelles Leben und Lernen vergeben und zeichnet herausragende Leistungen von Nachwuchswissenschaftler:innen in der Forschung zu Diversität aus. Die Pressemitteilung der Uni Augsburg zur Preisverleihung ist hier zu lesen.
Herzliche Glückwünsche zu deiner Auszeichnung! Kannst du uns in Kürze beschreiben, was du in deiner Masterarbeit untersucht hast?
Vielen Dank! Ich habe untersucht, inwiefern und wie Schwarze Kinder und Jugendliche rassistische Stereotype in der Kinderhörspielreihe TKKG wahrnehmen. Das heißt, ich habe mir erst einmal angeschaut: Wer ist die TKKG-Bande? Was machen die genau? Es gibt eine Studie, die sich damit auseinandersetzt, welche Rollenbilder TKKG vermitteln und welche Normen dargestellt werden. Sie zeigt, dass in den ersten zwanzig Folgen von TKKG häufig Vorverurteilungen und Kriminalisierungen bei Figuren vorgenommen werden - zum Beispiel aufgrund ihrer zugeschriebenen Herkunft. Es gibt also Analysen dazu, dass es zu rassistischen Stereotypen in der Hörspielreihe TKKG kommt. Davon ausgehend wollte ich mir angucken: Wie nehmen das die Kinder wahr?
In meiner Untersuchung habe ich mich auf diejenigen konzentriert, die selbst Rassismuserfahrungen sammeln und eine Gruppendiskussion mit vier Schwarzen Kindern und Jugendlichen geführt. Ihnen habe ich drei Szenen aus drei TKKG-Folgen vorgespielt. Die anschließende Gruppendiskussion habe ich dann ausgewertet und bin zu sehr interessanten Ergebnissen gekommen.
Hier die Wahrnehmung der Kinder und Jugendlichen zu untersuchen, war gewissermaßen eine Forschungslücke?
Ich bin an die ganze Sache aus einer rassismuskritischen Perspektive herangegangen. Die rassismuskritische Perspektive nimmt man ein, um rassistische Handlungen und Denkweisen kritisch zu hinterfragen und daraus neue Handlungsmöglichkeiten zu entwickeln. Dahingehend gab es noch keine Studien zu TKKG und auch keine Ergebnisse dazu, wie Kinder die Reproduktion von Rassismen wahrnehmen. Gerade die Perspektiven von Schwarzen Kindern und Jugendlichen sind in der Wissenschaft sehr unterrepräsentiert. Ihnen wollte ich Gehör schenken und habe einen wichtigen Einblick erhalten, wie Schwarze Kinder und Jugendliche das Gehörte wahrnehmen.
Wie bist du zu diesem Forschungsthema gekommen?
Ich habe damals meine Bachelorarbeit zum Thema Empowerment geschrieben und mehrere Seminare und Workshops zum Thema Rassismuskritik besucht. Studiert habe ich den Masterstudiengang Mehrsprachigkeit und Bildung. Da gab es unter den Kommiliton:innen immer sehr viel Austausch. Tatsächlich ist die Idee zum Thema der Masterarbeit in so einem Austausch entstanden. Und dann habe ich in Drorit Lengyel und Liesa Rühlmann zwei tolle Betreuerinnen gefunden. Zudem bin ich ein großer Hörbuchfan und habe früher – auch heute noch – sehr viele Hörbücher gehört.
Ist TKKG eine Ausnahme in den Kinder- und Jugendmedien?
Nein, leider ist TKKG keine Ausnahme. Gerade wenn es in Detektivgeschichten darum geht, wer die Täter:innen sind, sind es häufig Figuren, die als „ausländisch“ gelesen werden. Häufig kommt es da zu einer Kriminalisierung, ohne dass irgendwelche Verdachtsmomente da sind. Aufgrund eines Akzentes oder des Aussehens einer Figur und der zugeschriebenen Herkunft wird häufig schon gesagt: Das könnte der Täter sein.
Ich denke es ist sehr wichtig darauf zu achten, was man Kindern vorspielt, denn was man früh erlernt, ist sehr wirkungsmächtig und nur schwierig wieder zu entlernen. Vorurteile können bereits im Kinderzimmer verfestigt werden. Daher müssen wir die Sprache und vermittelten Weltbilder in Kinder- und Jugendmedien kritisch hinterfragen. Eine Veränderung der Sprache in Kinderzimmern kann also eine Veränderung der Sprache der Zukunft bedeuten.
Warum ist gerade die Sichtweise von Schwarzen Kindern und Jugendlichen auf rassistische Stereotype und Vorurteile wichtig?
Weil es für mich zeigt, dass die Kinder, in diesem Fall im Alter zwischen acht und dreizehn Jahren, diese schon wahrnehmen. Es gab die Kinderbuchdebatte, in der es darum ging, wie man mit rassistischer und diskriminierender Sprache in Kinderbüchern umgehen kann. In dieser Debatte wurde auch häufig gesagt, dass die Kinder das ja noch gar nicht merken. Das wollte ich widerlegen und da hat meine Studie nun klar gezeigt, dass die Kinder und Jugendlichen rassistische Stereotype und Vorurteile in Hörbüchern wahrnehmen. Nicht nur das, sie zeigte auch, dass sie die Sprache übernehmen von dem, was sie gehört haben. Manche Begrifflichkeiten wie „Ausländer“ und auch Beleidigungen haben sie beispielsweise übernommen. Mir war es wichtig zu zeigen, dass egal wie jung Kinder sind, gerade diejenigen, die von Rassismus betroffen sind, es schon früh merken und auch da schon Verletzungen erfahren können. Deswegen wollte ich mit ihnen sprechen und ihnen zuhören.
Damit bewegen wir uns schon in Richtung der Frage: Was ist das Ergebnis deiner Forschung?
Es gibt drei zentrale Ergebnisse:
Erstens: Die Kinder und Jugendlichen nehmen die Reproduktion von rassistischen Stereotypen und Vorurteilen wahr. Einige benennen diese explizit. So wurde zum Beispiel gesagt: „Das ist ein Rassist“ oder „Das ist ein Vorurteil“. Andere erkennen Ungleichbehandlungen und sagen: „Das war gemein, nicht nett, respektlos“.
Das heißt, auch wenn einige noch keine Sprache für Rassismus haben und nicht direkt benennen können, was falsch ist, merken sie trotzdem, dass etwas falsch ist und die Figuren nicht gerecht behandelt werden.
Zweitens: Die Kinder und Jugendlichen beziehen rassistische Stereotypen und Vorurteile auf ihre eigene Realität. Sie bringen Beispiele wie das Wahlverhalten in Deutschland, erklären, dass Menschen Angst haben vor sogenannten Ausländern und deswegen die AfD wählen. Ein Teilnehmer erklärte Rassismus mit: „Ich sehe anders aus, deswegen behandeln mich Menschen anders.“.
Bei einigen Teilnehmenden ist ein Grundverständnis für Rassismus da und die Inhalte werden auf das eigene Selbst und ihre Umwelt bezogen.
Und schließlich: Die Teilnehmenden geben Erklärungen für rassistische Praktiken. Nach drei kurzen vorgespielten Szenen gaben sie direkt eine ganze Liste an Erklärungen ab. Diese lassen sich in zwei Rubriken unterteilen: Auf der einen Seite wurde erklärt, warum Menschen rassistisch handeln. Da wurde zum Beispiel genannt, dass es von der Familie weitergegeben wurde oder dass sie Angst haben vor dem Unbekannten oder Fremden. Auf der anderen Seite wurde auch erklärt, aufgrund welcher Zuschreibungen Menschen oder Figuren in TKKG rassistisch diskriminiert werden. Beispielsweise aufgrund ihres Aussehens, der zugeschriebenen Herkunft oder der Zuschreibung zu einer kriminellen Organisation wie der Mafia.
Was bedeutet das Ergebnis deiner Forschung für den weiteren Umgang mit existierenden rassismusreproduzierenden Kinder- und Jugendmedien?
Die Ergebnisse zeigen ganz klar, dass es eine rassismuskritische Auseinandersetzung mit Kinder- und Jugendmedien geben muss. Das könnte grundlegend damit passieren, dass diese Medien hinterfragt werden und sich damit rassismuskritisch auseinandergesetzt wird – beispielsweise auch in Bildungseinrichtungen, und dass auf Repräsentation geachtet wird, dass die Gesellschaft, wie sie heute ist auch in den Medien dargestellt wird. Die heutige deutsche Gesellschaft ist nicht nur weiß und sie ist auch nicht nur heterosexuell, ohne Behinderung und einsprachig – da können in Medien deutlich mehr unterschiedliche Positionierungen aufgenommen werden.
Ich glaube der erste wichtigste Schritt ist, dass sich Eltern, Lehrkräfte und pädagogisches Personal rassismuskritisch bilden, um überhaupt erst einschätzen zu können: Was ist rassistisch? Und: wie gehen wir damit um? Zum Beispiel könnten in die Lehramtsausbildung oder in die Ausbildung bei pädagogischem Personal rassismuskritische Einheiten mit eingedacht werden.
An welchen Stellen siehst du noch weiteren Forschungs- und Handlungsbedarf?
Gerade was die Rassismusforschung in Deutschland angeht, gibt es noch sehr viel was man tun kann. Ich glaube, dass jegliche Forschung in dieser Richtung ganz wichtig ist, besonders die Forschung, die Kinder und Jugendliche mit in den Blick nimmt, vor allem Kinder und Jugendliche, die von Rassismus betroffen sind. Wichtig wäre nicht nur ein defizitärer Blick darauf, sondern auch die Überlegung in Richtung von Handlungsperspektiven. Was haben die Kinder und Jugendlichen an Handlungsmöglichkeiten, was setzen sie ein, wie gehen sie damit um, wenn sie so etwas hören? Ansonsten ist es wichtig, mehr Erkenntnisse darüber zu gewinnen, was das bei den Kindern und Jugendlichen bewirkt.
Bist du nach deiner Masterarbeit weiter in der Richtung unterwegs?
Thematisch bin ich weiterhin dabei, indem ich Vorträge zum Thema und den Ergebnissen meiner Masterarbeit halte. Mit meiner Kollegin Liesa Rühlmann gebe ich Seminare an der Uni Hamburg und Oldenburg. Da versuchen wir genau da anzusetzen, dass die Personen, die unser Seminar besuchen, auf einen Weg gebracht werden, um weiter ihr rassismuskritisches Wissen einsetzen zu können.
Das Interview führte Jannis-Frédéric Müller.