„Maßgeschneiderter Unterricht für jedes Kind“Gründungsteam entwickelt inklusive Mathe-AppEXIST-Stipendiaten im Interview über ihr Vorhaben
10. März 2021
Foto: Hilko Aikens – Startup Dock
Digitale Unterstützung beim Kopfrechnen und Mengenverständnis für Kinder in der ersten und zweiten Klasse: Für dieses Vorhaben bekommen Torben Rieckmann, Christopher Hof und Jonas Vierth ein einjähriges EXIST-Gründerstipendium und werden von der Universität Hamburg unterstützt. Das Projekt geht aus der Forschung zu inklusiven digitalen Lernanwendungen an der Fakultät für Erziehungswissenschaft hervor.
Hier geht es zur Pressemeldung der Universität Hamburg vom 10.3.2021.
Wir haben das Gründungs-Team etwas ausführlicher gefragt, wie die Idee entstanden ist, wie sich das Team gefunden hat und welche Herausforderungen sie in den nächsten Wochen erwarten.
Interview mit dem Gründungsteam
Torben Rieckmann, Christopher Hof und Jonas Vierth
Was genau kann die App und für wen wird sie entwickelt?
Torben Rieckmann: Die App soll Schülerinnen und Schüler der ersten und zweiten Klasse ein Mengenverständnis vermitteln und sie im Kopfrechnen fördern. Sie wird inklusiv sein, sich also an alle Kinder richten – unabhängig davon, ob eine Rechenschwäche, Hochbegabung oder Behinderung vorliegt. Wir planen, dass jedes Kind durch die App einen maßgeschneiderten Unterricht erhält – in der Schule und im Homeschooling.
Jonas Vierth: Wir möchten sicherstellen, dass Kinder von der Arbeit mit der App wirklich profitieren und Lernerfolge feiern.
Wie ist die Idee entstanden, eine App zu entwickeln?
Christopher Hof: Torben hat in einem Forschungsprojekt das mathildr-System und dazugehörige Lernmaterialien entwickelt. Diese Materialien werden weltweit an Schulen eingesetzt. Dabei wird immer wieder der Wunsch nach einer App laut, die es Kindern ermöglicht, selbständig mit dem System zu arbeiten – ohne, dass geschultes Personal dabei ist.
Torben: Wir möchten Lehrkräfte unterstützen, ihre Schülerinnen und Schüler im Mathematikunterricht individuell zu fördern. Im Gegensatz zu Arbeitsheften und anderen nicht digitalen Lernmaterialien können Apps so programmiert werden, dass sie weniger Vorbereitung bedürfen und ohne Anleitung im Unterricht in der Schule oder zuhause eingesetzt werden können.
Was erhofft ihr euch von einer Gründung in Bezug auf die Nutzung der App in der pädagogischen Praxis?
Christopher: Wir erhoffen uns, Lehrkräften, Eltern und Kindern eine Unterstützung an die Hand zu geben, mit der ein guter Mathematikunterricht realisiert werden kann. Damit möchten wir einen Beitrag zur Chancengleichheit im Bildungsbereich leisten.
Torben: Letztlich geht es uns darum, Schülerinnen und Schülern einen individualisierten Unterricht zu bieten, der weniger von den Möglichkeiten des schulischen Personals oder der Eltern abhängt und auf aktuellen Erkenntnissen der Neurodiversitätsforschung basiert. Unsere App soll Lehrkräften bei der individuellen Auswahl und Aufbereitung der Lernmaterialien eine Hilfe sein, um ihren Schüler*innen einen zeitgemäßen Unterricht zu ermöglichen.
Wie habt Ihr Euch gefunden?
Torben: Die Uni Hamburg bietet mit beyourpilot eine kostenfreie Beratung für Studierende und Mitarbeitende mit Gründungsideen. Hier wurde ich durch Dr. Bettina Otto beraten, die mit mir gemeinsam herausgearbeitet hat, welche Förderprogramme in Frage kommen und wie mein Team aufgestellt sein sollte. Daraufhin habe ich einen bundesweiten Aufruf gestartet, der eine große Resonanz erfuhr und sehr viele Videocalls und Telefonate nach sich zog. Die beiden Personen, die mich am meisten überzeugt haben, habe ich dann aber in meinem Privatumfeld in Hamburg gefunden. Glücklicherweise haben wir drei uns auf Anhieb gut verstanden und sind in den letzten Monaten als Team zusammengewachsen.
Christopher: Ich kannte Torben vorher als Nachbarn, weil wir zufällig im selben Haus wohnen. Eines Tages klopfte er an meine Tür, hat mir von seiner Idee berichtet und mich gefragt, ob ich Bock hätte, mitzumachen.
Jonas: Torben und ich kommen eigentlich aus verschiedenen beruflichen Richtungen, sind uns aber privat immer mal wieder begegnet. In den vergangenen sieben Monaten haben wir drei uns nach Feierabend und an den Wochenenden getroffen. Besonders der interdisziplinäre Austausch in alle Richtungen war während des halben Jahres, in dem wir die Konzeption unserer Gründung ausgearbeitet haben, für mich sehr bereichernd.
Torben, du bist der Ideengeber. Was bedeutet es für dich, jetzt aus der Wissenschaft heraus ein Startup zu inklusivem Lernen zu gründen?
Torben: In den über sechs Jahren, in denen ich als Wissenschaftlicher Mitarbeiter tätig war, habe ich stets versucht, Lehramtsstudierende dazu zu motivieren, neben der naheliegenden Berufswahl Lehrerin oder Lehrer auch über eine akademische Berufslaufbahn nachzudenken. Jetzt mache ich selbst die Erfahrung, dass darüber hinaus noch die Möglichkeit einer Gründung besteht. In den letzten Jahren kamen einige Gründungen zu Innovationen auf, die die gesellschaftliche Inklusion fördern – im schulischen Bereich gibt es hier aber deutlich Nachholbedarf. Ich wünsche mir, dass es mehr Startups gibt, die Lehrkräfte und andere schulische Akteure dabei unterstützen, Bildungsgerechtigkeit herzustellen.
Christopher, du bist der Informatiker: Warum hast du dich entschieden, an der Entwicklung dieser App mitzuarbeiten?
Christopher: Ich hatte schon immer Interesse daran, zu gründen, hatte bisher aber nie den Ansporn, dies auch in die Tat umzusetzen. Nun hat sich die Chance ergeben und mir war klar, dass ich sie ergreifen sollte. Für mich bedeutet dies auch ein persönliches Risiko – ich musste meinen bestehenden Job, mit dem ich sehr zufrieden war, aufgeben. Aber dieses Risiko gehe ich sehr gerne ein, weil ich von unserer Idee und von unserem Team überzeugt bin.
Jonas, du bist für den wirtschaftlichen Bereich des Projektes zuständig: Was macht es für dich besonders?
Jonas: Neben meiner persönlichen Motivation, mich einem Projekt zu widmen, das einen sozialen Nutzen hat, sehe ich auch das wirtschaftliche Potenzial. Aufgrund der Pandemie ist die Nachfrage nach Homeschooling-tauglichen Lehrmaterialien groß. Hinzu kommt ein heterogener Markt, in dem man auf die Interessen von unterschiedlichen Akteuren eingehen muss.
Welche Herausforderungen habt ihr in den kommenden Monaten zu meistern? Wie ergänzt ihr euch gegenseitig?
Jonas: In den kommenden Monaten wird besonders die Pandemie-konforme Zusammenarbeit eine Herausforderung sein. Da wir nun als Team intensiv zusammenarbeiten, werden wir immer häufiger gemeinsame Entscheidungen treffen. Zum Glück haben wir uns als Team schon sehr gut eingespielt und sind in der Konsensfindung geübt.
Christopher: Eine große Herausforderung ist es auf jeden Fall, in kurzer Zeit und in unserem kleinen Team, unsere Ideen zu realisieren. Die Zuständigkeiten sind bei uns sehr gut verteilt und wir ergänzen uns gegenseitig. Jeder bringt seine Expertise ein, schaut aber auch über den Tellerrand, um von den anderen zu lernen und eine gemeinsame Richtung zu entwickeln.
Torben: In den nächsten Wochen befassen wir uns mit sehr grundlegenden Fragen: Welche Funktionen müssen wir umsetzen, damit der erhoffte Lernerfolg eintritt? Wie muss die App aufbereitet sein, damit Schülerinnen und Schüler gerne mit ihr arbeiten? Und wie wird die App heißen?
Danke für das Gespräch!
Kontakt
Torben Rieckmann
www.neurodactics.com