Apropos Digitalisierung und BildungWie sich die Erziehungswissenschaft den gesellschaftlichen Herausforderungen stellt
8. November 2019, von Bente Gießelmann
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Bei Digitalisierung in der Bildung geht es um viel mehr als um technische Infrastruktur und die Anzahl von funktionierenden Geräten in Schulen. Eine aktuelle Studie zeigt, dass die Potenziale digitaler Bildung in Deutschland längst nicht ausgeschöpft werden. Ein Überblick über die Forschungsansätze an der Fakultät für Erziehungswissenschaft.
Achtklässlerinnen und Achtklässler befinden sich im internationalen Vergleich von computer- und informationsbezogenen Kompetenzen im Mittelfeld – dies zeigt die grade veröffentlichte zweite Erhebung der ICILS-Studie. Die an der Universität Paderborn angebundene Studie wird auch durch zwei Mitglieder der Hamburger Erziehungswissenschaft unterstützt: Prof. Dr. Julia Gerick und Prof. Dr. Knut Schwippert sind Teil des Konsortiums der Studie und forschen in Hamburg zum Lernen mit digitalen Medien und der (internationalen) Erfassung von Kompetenzen. Mit der ICILS Studie wurde auch die Rahmenbedingungen des Kompetenzerwerbs, u.a. die Nutzung digitaler Medien durch Lehrerinnen und Lehrer sowie ihre Einstellungen zu digitalen Medien in Schule und Unterricht erhoben. „Die Einstellung von Lehrkräften in Bezug auf digitale Medien sowie die regelmäßige Nutzung im Unterricht haben sich in den letzten fünf Jahren positiv verändert“, so Julia Gerick, Professorin für Schulpädagogik mit dem Schwerpunkt Schulentwicklungsforschung. Im internationalen Vergleich zeige sich für Deutschland jedoch noch Entwicklungsbedarf. „Um ‚digitale‘ Bildung in der Breite zu verankern, sind vor allem auch die Weiterbildung aktiver und die Ausbildung zukünftiger Lehrkräfte sehr wichtig“, erklärt Gerick.
Erziehungswissenschaftliche Perspektiven auf Digitalisierung
Medien im Bildungskontext aus erziehungswissenschaftlicher Sicht zu thematisieren, heißt sich mit und über (derzeit vor allem) digitale Medien in einer mediatisierten Welt auseinanderzusetzen und die Perspektiven aller Akteure und Akteurinnen in den Blick zu nehmen. Es geht um sehr viel mehr, als um Fragen sinnvoller technischer Infrastruktur und die Anzahl von funktionierenden Geräten sowie eine passende Architektur von Räumen.
Veränderungen von Medien, Mediennutzung und die Digitalisierung prägen auf vielschichtige Weise die Bereiche Bildung und Erziehung. Welche Bedeutung Medien und Digitalisierung für Bildungs- und Lernprozesse haben, wie Lehren und Lernen mit digitalen Medien funktioniert, wie man passende Lernumgebungen mit Medien gestaltet und welche pädagogischen Chancen und Herausforderungen damit verbunden sind, sind wichtige erziehungswissenschaftliche Themen.
Der Begriff „Digitalisierung“ wird dabei im Alltag sehr breit verwendet für alles, was mit neuen Technologien, elektronischen Daten, veränderter Mediennutzung oder internetbezogenen Phänomenen zu tun hat. In der Forschung werden dabei die Digitalisierung (als Prozess der technischen Veränderungen) und die Digitalität (als sich verändernde gesellschaftliche Kommunikationsformen und Interaktionspraktiken) unterschieden.
Digitalisierung und Digitalität erforschen
Die digitale Transformation der Gesellschaft brauche einen interdisziplinären Zugang, so Prof. Dr. Kerstin Mayrberger, Professorin für Mediendidaktik und Beauftragte für Digitalisierung (in der Lehre) der Universität Hamburg. Sie erforscht, wie sich Digitalität von Lehren und Lernen im (Hoch-) Schulkontext entwickelt und welche Rahmenbedingungen es braucht, um partizipationsfördernde Lehr- und Lernszenarien umzusetzen.
Wie digitale Medien in einzelnen Unterrichtsfächern an Schulen eingesetzt werden können, ist eine mittlerweile zentrale Frage aller Fachdidaktiken: So arbeitet Prof. Dr. Sandra Sprenger zum Einsatz geographischer Informationssysteme für das Lernen zu Klimaschutz und Nachhaltigkeit. Prof. Dr. Andreas Körber forscht zum Einsatz digitaler Medien im Bereich des historischen Lernens, beispielsweise im Lehrprojekt „HistoGames“, welches in Kooperation zwischen dem Fachbereich Geschichte und dem Arbeitsbereich Geschichtsdidaktik den Einsatz von Videospielen im Geschichtsunterricht thematisierte.
Im Projekt „Digitales Lernen Grundschule“ haben mehrere Erziehungswissenschaftlerinnen und –wissenschaftler der Fakultät aus Medienpädagogik und Fachdidaktik kooperiert, um herauszufinden, wie ein Medieneinsatz in der Grundschule die Teilhabe aller Schülerinnen und Schüler ermöglichen und kritisches Medienhandeln fördern kann, und wie diese Ergebnisse auch zukünftig in die Lehrerbildung einfließen müssen. Wie digitale Medien in verschiedenen Bildungsinstitutionen eingesetzt werden können, ist neben der Schule auch für andere Bildungsinstitutionen relevant: Dr. Wilko Reichwein untersucht, welche Konzepte für das digitale Lernen in der Ausbildung von Berufsschullehrerinnen und –lehrern sinnvoll sind. Diese sollen mit der Nutzung von Tablets lernen, Chancen für den Einsatz digitaler Medien im Berufsschulunterricht zu erkennen und umzusetzen.
Prof. Dr. Gabi Reinmann, Professorin für Lehren und Lernen an der Hochschule, verbindet Digitalisierung mit dem Ansatz des „forschenden Lernens“: Mit dem Projekt „SCoRe“ möchte das Team herausfinden, wie forschendes Lernen mit Video im Kontext großer Studierendenzahlen umsetzbar ist und welche Lernergebnisse damit erreicht werden können - vom Aufbau einer forschenden Haltung bis zu studentischen Beiträgen zur Nachhaltigkeitsforschung.
Lehren und Lernen unter Bedingungen der Digitalisierung
Wie müssen das Lernen mit Medien, das Lernen über Medien und Bildung in einer digitalisierten Welt aussehen? Wie kann man gute Lernumgebungen gestalten? Und wie kann man dabei die Reflexion und Eigenständigkeit der Lernenden unterstützen? Dies sind zentrale Fragen für die Umsetzung einer zukunftsorientierten Mediendidaktik.
Bei einer zukunftsorientierten Mediendidaktik ist es eine besondere Herausforderung, neben dem „Lernen mit Medien“ das „Lernen über Medien“ nicht aus dem Blick zu verlieren. Wenn beispielsweise Schulen mit Tablets oder anderen Geräten umfänglich ausgestattet werden, müssen gleichzeitig auch Lehrerinnen und Lehrer mit Wissen und Kompetenzen ausgestattet sein, um diese sinnvoll einsetzen zu können.
Beim Thema Digitalisierung in der Lehre geht es nach Kerstin Mayrberger nicht nur darum, wie Medien eingesetzt werden – das Smartboard löst den Overhead-Projektor ab -, sondern „wie Lernsituationen unter den Bedingungen von Digitalisierung gestaltet werden können“. Medien sind dabei gleichzeitig Dokumente und Ausdrucksmittel, was sich einfach am Beispiel eines Blogs oder Wikis zeigen lässt: Diese beiden Formate sind nicht nur eine Darstellungsform von Wissen, sondern vermitteln zugleich, dass die Lernenden sich eigenständig im Netz des Wissens bewegen und dazu beitragen oder dass die Interaktion mit externen Nutzerinnen und Nutzern gewünscht und unterstützt wird.
Digitalisierung in Bildungskontexten begleiten
Die Forschung zu Themen der Digitalisierung in Bildungsprozessen hat hohen Anwendungscharakter. So wurden in bisherigen Projekten an der Universität Hamburg bereits neue Formate erprobt, die Ideen aus dem Konzept von „MakerSpaces“ aufgenommen haben. Beispielsweise wurde ein Raum für Lehrende der Universität geschaffen, in dem Tools und Konzepte für eine digitalisierte Lehre ausprobiert werden konnten und Praktiken von Digitalität beim Erstellen von freien Bildungsmaterialien erprobt wurden. Das sogenannte „OpenLab“ ist ein Austauschformat, in dem Lehrende gemeinsam Ideen für Lernformate entwickeln, diese dann gestalten und nebenbei noch Fachwissen erwerben können. Ziel beider Formate war es, dabei auch vom eigenen Bildschirm weg und in den gemeinsamen Austausch hinein zu kommen. Der Ansatz der partizipativen Mediendidaktik sieht diese Interaktionen und Beziehungen als Kern von Medienbildung.
Chancen zur gesellschaftlichen Teilhabe
Am Beispiel der Inklusion lässt sich zeigen, wie der Transfer aus der Forschung wirksam werden kann für die Teilhabe aller Menschen an Bildung. Torben Rieckmann (Doktorand) hat eine App namens "mathildr" entworfen, die junge Menschen mit Trisomie 21 darin unterstützt, mathematische Kompetenzen leichter zu erlernen. Prof. Dr. Sven Degenhardt bringt Erkenntnisse aus der Forschung zur Mediennutzung von blinden und sehbehinderten Menschen in diejenigen Kontexte ein, die die Zugänglichkeit von Informationen für alle gewährleisten müssen – zum Beispiel Bibliotheken.
Gesellschaftliche Digitalisierung bietet darüber hinaus Möglichkeiten wie nie zuvor, Wissen und Konzepte mit anderen zu teilen. Unter dem Stichwort „open educational resources“ werden gelungene Bildungsressourcen wie beispielsweise Materialien, Kurzvideos oder Unterrichtssequenzen im Netz zur Verfügung gestellt. Die kompakte Handreichung „Synergie Praxis“ erklärt für Lehrende an Hamburger Schulen und Hochschulen, wie man diese Ressourcen finden, nutzen und ergänzen kann. Das Fachmagazin „Synergie“, herausgegeben von der Universität Hamburg, informiert Interessierte weitergehend darüber, welche Entwicklungen es in Fachdiskussionen wie auch in der Praxis zu Themen der Digitalisierung in Bildungskontexten gibt.
Eine Kurzfassung des Artikels ist auch im Newsroom der UHH zu finden.