Apropos Klimaschutz und NachhaltigkeitWie sich die Erziehungswissenschaft den gesellschaftlichen Herausforderungen stellt
27. September 2019, von Bente Gießelmann
Foto: UHH/Dingler
Dieser Artikel erscheint in gekürzter Fassung auch im Newsroom der UHH.
Die Universität Hamburg hat sich mit dem Leitbild „University for a Sustainable Future“ (Universität für eine nachhaltige Zukunft) dem Thema der Nachhaltigkeit verpflichtet. An der Fakultät für Erziehungswissenschaft ist das Thema Nachhaltigkeit in Forschung und Lehre verankert – doch was heißt das genau? Beispiele zeigen, was Erziehungswissenschaft mit Nachhaltigkeit und Klimaschutz zu tun hat.
Nachhaltigkeit und Bildung
Die Frage, wie wir dem Klimawandel und seinen negativen Folgen entgegensteuern können (Klimaschutz) und welche ökologischen, ökonomischen und sozialen Aspekte wir uns mit der Brille der Generationengerechtigkeit anschauen müssen (Nachhaltigkeit), ist eine der aktuellsten gesellschaftlichen Debatten.
„Nachhaltigkeit“ wird aus erziehungswissenschaftlicher Perspektive in (mindestens) zwei Bedeutungen verwendet: Zum einen geht es um Nachhaltigkeit als (Querschnitts-) Thema innerhalb von Bildungssituationen, also in der Schule und in den einzelnen Unterrichtsfächern, in der Erwachsenenbildung oder auch in Ansätzen wie der climate change education. Die zweite Bedeutung von Nachhaltigkeit meint eher die Meta-Ebene der Reflexion, des Lernens und der strukturellen Bedingungen. Hier geht es darum, nachhaltige Bildungsprozesse zu begleiten oder Kompetenzen zu vermitteln, die Lernenden wie auch pädagogisch Handelnden ein Denken und Verhalten in komplexen, sich verändernden Umgebungen ermöglichen.
Die UN-Dekade Bildung für nachhaltige Entwicklung (2005-2014) gilt als wichtige Initiative, Bildung im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung für alle Menschen zugänglich zu machen als Voraussetzung für die verantwortliche und innovative Mitgestaltung von Gegenwart und Zukunft. Teil der Dekade war es, Bildung für nachhaltige Entwicklung (BnE) in Modellprojekten zu erproben und damit Grundlagen für die strukturelle Umsetzung im Bildungssystem zu schaffen. Lehrerinnen und Lehrern kommt dabei eine Schlüsselrolle zu: Ihr Wissen und ihre Kompetenzen sind ausschlaggebend dafür, ob Bildungsprozesse und Bildungsinstitutionen zukunftsfähig umgestaltet werden können.
Nachhaltigkeit als Forschungsthema
Die erziehungswissenschaftliche Forschung setzt dafür an grundlegenden Fragen an: Wie kann Bildung für nachhaltige Entwicklung stärker in Institutionen und Systemen implementiert werden? Welche Methoden vermitteln Schülerinnen und Schülern am besten die entsprechenden Kompetenzen? Und welche Formate sind geeignet, um Studierenden die Fähigkeiten zu vermitteln, die sie für die Gestaltung von Bildungsprozessen brauchen werden?
Prof. Dr. Sandra Sprenger und Christian Benninghaus aus dem Arbeitsbereich Geographiedidaktik forschen am Beispiel des Themas „Wasser“ zu der Frage, wie Schülerinnen und Schüler mit Unterstützung bestimmter Methoden das systemische Denken erlernen können. Zum komplexen Themenfeld des nachhaltigen Wasserkonsums werden Unterrichtsbeispiele erstellt, in deren Zentrum die „Mystery Methode“ steht. Bei der Mystery-Methode sollen die Schülerinnen und Schüler knappe, ungeordnete Informationen zu einem Fallbeispiel analysieren und sinnvoll miteinander in Beziehung setzen, um eine (zunächst "rätselhafte") Leitfrage lösen zu können.
Auch im Arbeitsbereich Didaktik der Physik spielt Klimawandel eine Rolle im Studium: Der Treibhauseffekt ist ein typisches Thema für zahlreiche Fragestellungen der Physikdidaktik. Der Unterricht in der Sekundarstufe zu den physikalischen Prozessen rund um Atmosphäre und Erderwärmung erfordert von Lehrkräften ein gutes fachliches und aktuelles Wissen sowie die Kompetenz, die Komplexität des Themas mit Schülerinnen und Schülern zu bearbeiten. Im Projekt „Klimawandel vor Gericht“ (2008-2011, Prof. Dr. Dietmar Höttecke und andere) wurde praxisnah erforscht, welche schulischen und außerschulischen Anlässe sich besonders gut eignen, um sich mit wichtigen Fragen rund um den Klimawandel zu beschäftigen. Im Fokus stand vor allem, die Schülerinnen und Schüler in der Entwicklung eigener Urteilskompetenzen zu unterstützen.
Nachhaltigkeit sei in den naturwissenschaftlichen Fächern eine wichtige Perspektive, so Markus Feser (Doktorand Arbeitsbereich Physikdidaktik). Das ethisch-moralische Bewerten von Handlungsoptionen oder Phänomenen könne nicht innerfachlich erfolgen, sondern brauche die verschränkte Perspektive auf ökologische, soziale, ökonomische und kulturelle Dimensionen. Ein aktuelles Forschungsprojekt des Arbeitsbereiches unter der Verantwortung von Johanna Ratzek (Doktorandin) erforscht, wie im Unterricht diese Bewertungskompetenz gefördert werden kann.
Nachhaltigkeit in Lehre und Universität
In der Ausbildung von Lehrkräften ist Nachhaltigkeit ein zentrales Stichwort. Das gilt besonders im Kontext der sich verändernden gesellschaftlichen Bedingungen. Diese werden an der Fakultät für Erziehungswissenschaft im Forschungsschwerpunkt „Ungewissheit als Dimension pädagogischen Handelns“ erforscht. Prof. Dr. Angelika Paseka arbeitet zum Ansatz des „forschenden Lernens“ als Beitrag zu Nachhaltigkeit in Studium und Lehre: Studierende sollen befähigt werden, in der Berufspraxis nach wissenschaftlichen Kriterien Wissen zu generieren und für sich ständig verändernde Problemstellungen Lösungen zu entwickeln.
Diese Fragestellungen waren in diesem Jahr auch Hauptthema der ECER, der größten europäischen erziehungswissenschaftlichen Konferenz, die Anfang September 2019 in Hamburg stattfand. Im Blog zur ECER beschreibt unsere studentische Redakteurin, was sie aus ihrer Perspektive zum Zusammenhang von Nachhaltigkeit und Bildung von der Konferenz mitgenommen hat. Die ECER hat sich mit dem Motto „Going Green“ nicht zuletzt auch die Umsetzung eines nachhaltigen Veranstaltungsmanagements zur Aufgabe gemacht – als erste Konferenz an der Universität Hamburg, die dies systematisch umsetzte, und mit dem Ziel, die Erfahrungen an folgende Veranstaltungsteams weiterzugeben. Was „Going Green“ auf der ECER konkret bedeutete für Reise und Mobilität, Tagungsorganisation und Verpflegung, zeigt die Dachorganisation EERA hier.
Transfer in die pädagogische Praxis – das Feld der Berufsbildung
Ein wichtiges Ziel des erziehungswissenschaftlichen Transfers ist es, dass die Ergebnisse, Orientierungen und best practices, die in der Forschung untersucht oder entwickelt worden sind, auch in den vielen unterschiedlichen Praxisfeldern von Bildung und Erziehung - auch außerhalb der Schule - wirksam werden.
Nachhaltigkeit und nachhaltige Entwicklung werden in den kommenden Jahren eine zentrale Rolle in der Arbeitswelt einnehmen – wie diese Anforderung in die Berufsbildung einfließen kann, dazu leistet die Erziehungswissenschaft einen wichtigen Beitrag. Prof. Dr. Werner Kuhlmeier (Berufs- und Wirtschaftspädagogik) forscht beispielsweise zu der Frage, wie Nachhaltigkeitsthemen in die betriebliche Ausbildung in verschiedenen Ausbildungs- und Lehrberufen integriert werden können. Die Anforderungen an die Berufliche Bildung für nachhaltige Entwicklung (BBnE) müssen in den entsprechenden Curricula festgehalten werden, damit sie langfristig in das Lehren und Lernen an Berufsschulen integriert werden. Die Erziehungswissenschaft unterstützt dabei den Transfer durch das Einbringen der wissenschaftlichen Expertise, durch die Begleitung und Evaluation von Modellprojekten oder durch die Weiterentwicklung der Didaktik, also der Erprobung von Methoden und Materialien in der Berufsbildung.
Auch die Universität selbst ist gefragt, Nachhaltigkeit als Querschnittsthema zu implementieren. Wissen und Informationen bündelt hier für die zentrale Einrichtung „Kompetenzzentrum Nachhaltige Universität“, das KNU. Teams von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowie Angehörigen der Universität erarbeiten Ziele und Strategien zur Umsetzung nachhaltiger Prinzipien in Studium, Lehre, Forschung und Verwaltung. Welche Projekte zum Thema Nachhaltigkeit es in Forschung und Lehre an den Fakultäten der UHH gibt, hat das KNU in jeweils einer Landkarte übersichtlich dargestellt. |