"Vom Grindel nach Manhattan"Joseph Carlebach-Preisträgerin und Absolventin der Erziehungswissenschaft Vivien Rönneburg im Gespräch über Erinnerungen und Identitäten
15. Mai 2019, von Bente Gießelmann
Foto: UHH, RRZ/MCC, Mentz
Zum Gedenken an das Leben und Wirken von Dr. Joseph Carlebach (1883–1942) verleiht die Universität Hamburg für herausragende wissenschaftliche Beiträge zur jüdischen Geschichte, Religion und Kultur den Joseph Carlebach-Preis – in diesem Jahr hat unter anderem Vivien Rönneburg, Absolventin der Erziehungswissenschaft, den Preis für ihre Masterarbeit gewonnen.
(Hier der Link zur Pressemitteilung anlässlich der Preisverleihung am 8. Mai 2019)
Im Interview erzählt Vivien Rönneburg von ihrer Arbeit „Vom Grindel nach Manhattan – Identität und Zugehörigkeit in den Memoiren jüdischer Auswanderer im Nationalsozialismus“ (Betreuung Prof. Dr. Ingrid Lohmann und Prof. Dr. Miriam Rürup), und was dieses Thema mit Bildung, mit der Gegenwart und mit der im Grindelviertel direkt am Joseph-Carlebach-Platz gelegenen Fakultät für Erziehungswissenschaft zu tun hat.
Was wollten Sie herausfinden, was ist das Thema Ihrer Arbeit?
Ich habe mir Memoiren angeguckt von jüdischen Hamburgern oder Hamburger Juden – je nachdem -, die in der Zeit des Nationalsozialismus in die USA ausgewandert sind. Memoiren sind ja im Gegensatz zu Tagebüchern später verfasste Dokumente, die vor allem für die eigene Familie oder für eine Teilöffentlichkeit gedacht sind. In meiner Forschung hat mich besonders die Frage nach Identität und Zugehörigkeit interessiert. Also wenn man so einen krassen Bruch in der eigenen Biographie hat, wenn man aus dem eigenen Land vertrieben wird und alles zurücklassen muss, was das dann bedeutet und wie man damit umgeht – und wie diese Menschen dann Geschichten letztendlich über sich selbst erzählen.
Und was sind die zentralen Ergebnisse?
Der Akt des Erzählens ist ein ganz starker Ausdruck von Identität, also die Geschichten, die wir über uns selbst erzählen: Was ist alles passiert, wie bin ich dorthin gekommen, …? Zum Beispiel gibt es eine Person, deren Memoiren ich analysiert habe, die natürlich ganz stark den Nationalsozialismus ablehnt, aber auch den Kommunismus, und sagt, die USA sind das einzige richtige politische System. Das zieht sich durch die ganze Erzählung, und letztlich bedeutet das, dass er sich im Akt des Erzählens positioniert und ausdrückt: Ich bin jetzt Amerikaner.
Letztlich versuchen alle Menschen, eine kontinuierliche Lebenserzählung herzustellen, und es gibt bestimmte Muster, an die sie sich anlehnen, und diese Muster drücken natürlich Identitäten aus. Das ist in den Memoiren beispielsweise einerseits die Bezugnahme auf den Holocaust, aber auch Erzählungen von Migrationsbiographien. In meiner Perspektive ist in den Memoiren beides wichtig: was passiert ist und wie es von den Erzählenden dargestellt wird.
Ich wohne selbst im Grindelviertel, das ist natürlich auch spannend zu wissen, die sind genau hier gewesen und erwähnen alles Mögliche, also Orte, die ich auch aus dem Alltag kenne – das ist schon irgendwie persönlich.
Wie sind Sie denn zu diesem Thema gekommen?
In meinem allerersten Semester habe ich in Geschichte eine Einführung zum Thema osteuropäische Juden gewählt, das fand ich super interessant, und dann habe ich immer weiter was zu jüdischer Geschichte gemacht, daraus hat sich das herauskristallisiert. Auch am Institut für die Geschichte der deutschen Juden (IGDJ) habe ich Seminare belegt. Zwischen meinem Bachelor und Master war ich ein Jahr in Schottland und habe dort Literaturwissenschaft studiert – Memoiren gehen ja auch in die Richtung Literatur, da habe ich aus beidem gezehrt.
Gleichzeitig würde ich in Bezug auf das Lehramtsstudium sagen: Grade der Geschichtsdidaktik verdanke ich ganz viel, was so dieses Meta-Nachdenken über die Geschichte angeht. Also was wollen wir Kindern beibringen, was sind denn das für Sinnbildungsmuster, die darin stecken und so – das hat mir viel gebracht. Man muss drüber nachdenken, was dahintersteckt, also nicht nur auf die Inhalte schauen, sondern auch gucken: Wie wird das dargestellt?
Was hat Sie als Erziehungswissenschaftlerin bzw. aus einer erziehungswissenschaftlichen Perspektive besonders interessiert?
Grundsätzlich habe ich gesagt, ich mache kein „klassisch“ erziehungswissenschaftliches Thema, aber letztlich – ich denke jetzt an das Thema Flucht - ist das ein Thema einer globalisierten Welt. Wie gehen Menschen damit um, wenn es einen plötzlichen Bruch in ihrer Biographie gibt? Wenn man sich den Schulalltag und Erziehungskontexte anschaut, ist das natürlich unglaublich wichtig. Und auch die Frage, wie wird Identität ausgedrückt und wo kommt sie zum Ausdruck, ist ja hochaktuell.
Was können wir demnach aus Ihrer Arbeit, die ja historisch eingebettet ist, für die Gegenwart lernen?
Man kann sehr gut sehen: Wenn Menschen gleiche oder sehr ähnliche Erfahrungen machen, gibt es doch sehr unterschiedliche Arten, daraus Schlüsse zu ziehen. Und es gibt letztlich immer auch ein Bedürfnis, das auszudrücken, also: Wo gehöre ich hin? Und gibt es da mehrere Versionen, also Identitäten, die sich da in mir vereinen? Es gibt Migration, Internationalisierung, Globalisierung, aber das Streben nach Identität geht ja trotzdem nicht weg. Man muss sich eher überlegen, wie kann man damit umgehen, wie kann man auch mit bunten und hybriden Identitäten umgehen?
Gibt es eine Verbindung Ihrer Arbeit zur Person Joseph Carlebach?
Joseph Carlebach, nach dem der Preis benannt ist, war ja auch Schulleiter, und überhaupt eine sehr spannende Person als Lehrerpersönlichkeit und auch Intellektueller. Der Preis selbst wird nicht innerhalb der Erziehungswissenschaft vergeben, aber als Mensch hat er viel damit zu tun gehabt. Vor der Preisverleihung kannte ich den Namen schon aus meiner Forschung: In einer der Memoiren erzählt eine Person von ihrer Begegnung mit Carlebach und wie sich eine Freundschaft entwickelt hat. Carlebach war ein ganz spannender Mensch, den man eben sowohl im Kontext jüdischer Geschichte als auch im Kontext der Erziehungswissenschaft sehen kann, er selbst hat sich auch viel mit erziehungswissenschaftlichen Schriften beschäftigt. Und diese Uni war ebenfalls ein wichtiger Bezugspunkt für ihn und letztendlich der Grund, aus Lübeck nach Hamburg zu ziehen und die Schule hier direkt neben dem Campus zu leiten, die früher die Talmud-Tora-Schule war und eben heute Joseph-Carlebach-Schule heißt.
Inwiefern wird Sie das Thema weiter begleiten?
Ich bin schon seit einem Jahr fertig und habe derzeit einen Lehrauftrag an einer Grundschule. Aber die Preisverleihung war nochmal so ein Anstoß, verstärkt über eine Promotion nachzudenken.
Über meine Arbeit und auch bei der Preisverleihung habe ich viele spannende Menschen kennengelernt. Die Auseinandersetzung hat meinen eigenen Blick für das Thema geschärft, so ist das ja, wenn man intensiv an einem Thema arbeitet. Weiter wird mich deshalb auf jeden Fall mein Interesse an Memoiren oder allgemeiner an Biographien begleiten.