Nachruf auf Prof. Dr. Meinert Meyer
5. Dezember 2018, von Claudia-Dorothee Stecher
Foto: UHH/Stecher
In der Nacht vom 9. zum 10. November 2018 ist der Schulpädagoge Meinert Meyer kurz nach seinem 77. Geburtstag in einem Hospiz bei Münster verstorben. Die Erziehungswissenschaft verabschiedet sich von einem Kollegen, der die Schulpädagogik/Allgemeine Didaktik seit den 1980er Jahren bis zuletzt maßgeblich mitgeprägt hat.
Die akademische Laufbahn von Meinert Meyer begann in der Arbeitsgruppe des früh verstorbenen Herwig Blankertz zur wissenschaftlichen Begleitung des Kollegschulversuchs Nordrhein-Westfalen an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, wo er sich 1986 mit einer Arbeit zum Fremdsprachenunterricht der Sekundarstufe II habilitierte. Die Arbeit spiegelte sein auch später immer wieder erkennbares Interesse an einer Verbindung der Allgemeinen Didaktik mit den Fachdidaktiken, insbesondere der Philosophie- und der Fremdsprachendidaktik, wider. Dieses Interesse führte dazu, dass Meinert Meyer über viele Jahre als einer der wenigen Schulpädagogen den Kontakt zur Deutschen Gesellschaft für Fremdsprachenforschung gehalten hat. Nach einer Gastprofessur für Didaktik der englischen Sprache und Literatur an der TU Berlin erfolgte 1993 ein Ruf an die Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg auf eine Professur für Allgemeine Didaktik/Schulforschung. Zum Wintersemester 1996/97 wechselte Meinert Meyer auf eine Professur für Erziehungswissenschaft unter besonderer Berücksichtigung der Schulpädagogik, Schwerpunkt Allgemeine Didaktik, an die Universität Hamburg, wo er bis zu seiner Pensionierung 2007 tätig war, u.a. auch als Dekan des Fachbereichs Erziehungswissenschaft.
Inhaltlich suchte Meinert Meyer in der Tradition der geisteswissenschaftlichen Pädagogik und vor dem Hintergrund seiner Ausbildung und Dissertation in der Philosophie zunächst Anschlüsse an die Gedanken und Werke klassischer Autoren wie Comenius, Schleiermacher, Dewey oder Wittgenstein. Er befasste sich intensiv mit Aspekten des Generationenverhältnisses, mit demokratischer Erziehung, Sprachphilosophie und schulischer Bildung und versuchte, diese Themen auf die Gegenwart hin auszulegen. Analog zur Entwicklung der Disziplin gewannen auch empirische Fragestellungen zunehmend Raum in seinem Werk. Seine umfangreiche Betreuertätigkeit von empirischen Qualifikationsarbeiten sowie seine eigenen Arbeiten zur Schülermitbeteiligung im Fachunterricht belegen dies. Meinert Meyers Gesamtwerk umfasst rund 180 Bücher und Aufsätze zu unterrichtsbezogenen Themen, zur Fachdidaktik, insbesondere zum Fremdsprachenunterricht, zur Schülermitbeteiligung, zu Allgemeiner Bildung und curricularen Fragen. Insbesondere gegen Ende seiner Lehr- und Forschungstätigkeit war er in intensiver Auseinandersetzung mit dem Werk Wolfgang Klafkis und im Anschluss an Herwig Blankertz zunehmend mit der Ausgestaltung seines eigenen didaktischen Ansatzes, der Bildungsgangdidaktik, befasst.
Als Sprecher des Hamburger DFG-Graduiertenkollegs „Bildungsgangforschung“ (2002-2008) ging es Meinert Meyer darum, die Grundidee der Bildungsgangdidaktik, die Sinnkonstruktionen der Lernenden als Gestalterinnen und Gestalter ihrer eigenen Bildungsgänge ernst zu nehmen und Unterricht von dort her zu denken, für die Allgemeine Didaktik und die Fachdidaktiken fruchtbar zu machen. Hierin sah er sich selbst in der Tradition neuhumanistischer Bildungstheorien sowie der Inhaltsorientierung sensu Klafki und knüpfte doch zugleich an neuere schülerorientierte Didaktiken an. Produktive Impulse für seine eigene wissenschaftliche Tätigkeit hat er beständig durch Begegnungen mit der schulischen Praxis gewonnen, von der er immer wieder als Experte angefragt wurde. So war Meinert Meyer u.a. langjähriges Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Oberstufenkollegs Bielefeld (1992-2013). Zur Entwicklung seiner wissenschaftlichen Disziplin trug Meinert Meyer auch durch den Vorsitz der Kommission „Schulforschung und Didaktik“ der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft (1993-1997) bei. Seit 2005 war er zunächst Mitglied, seit 2008 Vorsitzender der Deutschen Comenius-Gesellschaft. In seinen letzten Lebensjahren engagierte er sich aktiv in der europaweiten Didaktikdiskussion, nicht zuletzt im EERA-Netzwerk Didaktik, Lernen und Unterricht, in dem er seit 2006 aktiv war (vgl. das gemeinsam mit Brian Hudson 2011 herausgegebene Buch: Beyond Fragmentation – Didactics, Learning and Teaching in Europe). Eine weitere ‚Baustelle‘ – eines seiner Lieblingswörter – sah er im Austausch mit asiatischen Wissenschaftskulturen – besonders Südkorea und China weckten hier sein Interesse. Hinzu kamen eine umfangreiche Gutachtertätigkeit und die Gründung und Mitherausgeberschaft der „Zeitschrift für Erziehungswissenschaft“ (seit 1998).
Eine Würdigung des Schaffens von Meinert Meyer kann nicht an der Betreuung zahlreicher Dissertationen und Habilitationen vorbeigehen. In der Förderung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in Qualifikationsphasen sah er seine vielleicht wichtigste Aufgabe als Hochschullehrer. Er konnte auf eine Betreuungstätigkeit von 30 Dissertationen als Erstgutachter und eine Beteiligung an 70 weiteren Verfahren zurückblicken.
Wer Meinert Meyer persönlich erleben durfte, wird ihn als einen herzlichen, zugewandten und humorvollen Menschen, Kollegen und akademischen Lehrer in Erinnerung behalten. Offenheit, Neugier und Pflichtbewusstsein zeichneten ihn aus. Eine besondere Freude hatte er an anderen Menschen, Lebenswelten und Kulturen, kurz an anderen Weltsichten. Diese letztgenannte Eigenschaft stand vermutlich in einem engen Zusammenhang mit seiner Neigung zum Künstlerischen, vor allem dem Malen auf einem durchaus hohen Niveau. 2014 wurden seine Bilder in einer gemeinsamen Ausstellung mit Werken seines Sohnes Joost, einem professionellen Bildhauer, in seiner Wahlheimat Münster gezeigt. Die Ausstellung trug den Titel: „... von Nashörnern und anderen Sichtweisen“. Das Nashorn war Meinert Meyers Markenzeichen. Es war für ihn der Inbegriff des Fremden und zugleich Vertrauten; es befand sich auf dem Buchumschlag seiner Habilitationsschrift; viele Freunde, Kolleginnen und Kollegen freuten sich auf seinen alljährlichen Neujahrsgruß: eine selbst gestaltete, immer originelle Radierung eines Nashorns. Ein müdes, aber zufrieden darniederliegendes Nashorn ziert auch die Trauerkarte der Familie zu seinem Tod. Mit seinem Zwillingsbruder Hilbert hat Meinert Meyer die Allgemeine Didaktik als wissenschaftliche Disziplin verteidigt, erweitert und vorangebracht. Meinert Meyer wäre zufrieden, wenn er wüsste, dass diese Aufgabe nun von seinen Kolleginnen und Kollegen, seinen Schülerinnen und Schülern fortgeführt wird.
Uwe Hericks, Ingrid Kunze und Matthias Trautmann