Die Fakultät trauert um Prof. Dr. Ellen Schulz (1929-2015)
5. Mai 2015, von Dr. Wolfgang Roehl

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Am 13. April 2015 verstarb Frau Prof. Dr. Ellen Schulz im 86. Lebensjahr. In ihrer fast 30jährigen Tätigkeit an der Universität Hamburg hat sie – zuerst als Dozentin und Abteilungsleiterin am Pädagogischen Institut (1963 bis 1970), danach als Professorin am neugegründeten Fachbereich Erziehungswissenschaft – in vielfältiger Weise die Entwicklung der Fachdisziplin, die Gestaltung des Instituts für Berufs- und Wirtschaftspädagogik und den Ausbau des Fachbereichs Erziehungswissenschaft angestoßen und mit geprägt. Als erste Frau im Amt der Sprecherin setzte sie sich von 1972 bis 1974 für den strukturellen Ausbau des Fachbereichs Erziehungswissenschaft ein. Als mehrjähriges Mitglied des Vorstandes der Kommission Berufs- und Wirtschaftspädagogik in der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft (DGfE) sowie als Mitglied verschiedener Kommissionen und Gremien innerhalb und außerhalb des Hochschulbereichs, war sie auf vielfache Weise aktiv, auch noch nach dem Ausscheiden aus dem Hochschuldienst im Jahr 1991, wie z. B. in der von Carl-Ludwig Furck geleiteten Strukturkommission der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft. Ihre Umsicht und Gelassenheit, ihr stringentes Denken, ihr Organisations- und Planungsvermögen sowie ihre Art, Selbstverständlichkeiten zu hinterfragen, haben ihr sehr viel Achtung und Anerkennung in wissenschaftlichen wie auch außerwissenschaftlichen Bereichen eingebracht.
Ellen Schulz promovierte an der Philosophischen Fakultät der Universität Hamburg 1962 bei Georg Geißler, dem damaligen Inhaber des Lehrstuhls für Erziehungswissenschaft, mit der Studie Die Mädchenbildung in den Schulen für die berufstätige Jugend. Die Geschlechterfrage im Bildungsbereich und die Geschichte der Mädchenberufsbildung waren zu dieser Zeit noch randständige Themen. Ellen Schulz war somit eine der ersten Wissenschaftlerinnen, die sich in der Nachkriegsära mit den Berufsbildungs- und Ausbildungsproblemen von Frauen systematisch befasste. Ihre Arbeit lieferte eine wichtige Grundlage für die erst später aufkommende öffentliche Diskussion um die Bildungsbenachteiligung von Mädchen in Schule und Berufsausbildung.
Im Kontext der „deutschen Bildungskatastrophe“ und der beginnenden Reformdiskussionen im Bildungsbereich waren es dann empirisch ausgerichtete Forschungsprojekte, in denen Ellen Schulz mitarbeitete bzw. seit den 1970er Jahren auch leitete. So wirkte sie ab 1964 an einem von dem Erziehungswissenschaftler und Bildungspolitiker Hans Wenke in Hamburg geleiteten Forschungsprojekt mit, das die Bildungs- und Begabungsreserven in Berufsschulen untersuchte und dabei jene Faktoren zu ermitteln suchte, die eine hemmende Wirkung auf die Entfaltung der individuellen Begabung hatten. Ellen Schulz veröffentlichte die Ergebnisse dieser Untersuchung 1969 in der Monographie Ungenutzte Begabungsreserven. Im Zeichen der anstehenden Reformen im Berufsbildungsbereich stand auch der 1968 zusammen mit Ekkehard Eichberg verfasste Band Berufserziehung in Stichwörtern, der als Bestandsaufnahme und Grundlage für die sich theoretisch ausformende Berufspädagogik gedacht war.
Mit dem 1970 vorgelegten Strukturplan für das Bildungswesen rückten Fragen zum strukturellen Umbau des Bildungswesens und zur Integration von beruflicher und allgemeiner Bildung in den Vordergrund ihres Wirkens. In dieser bildungspolitisch hochbrisanten Reformphase richteten sich die Forschungsinteressen Ellen Schulz’ auf die Ausgestaltung der Bildungsgänge in einer neu zu konzipierenden Sekundarstufe II. Von 1971 bis 1976 führte sie mit mehreren Mitarbeitern ein vom Bundesinstitut für Berufsbildungsforschung finanziertes Forschungsprojekt durch, in dessen Mittelpunkt die Konzeptionierung der Fachoberschule als neue Schulform sowie die Bestrebungen standen, über doppelprofilierte Bildungsgänge die Berufs- und Allgemeinbildung in der Sekundarstufe II besser zu verzahnen.
Beteiligt war Ellen Schulz auch an dem vom Bundesinstitut für Berufsbildung 1978 bundesweit gestarteten Modellversuchsprogramm zur Öffnung gewerblich-technischer Berufe für Frauen. Sie übernahm die wissenschaftliche Begleitung des Hamburger Modellversuchs; mit Hilfe unterschiedlicher methodischer Zugänge wurde der Frage nachgegangen, ob sich Frauen für technische Berufe eignen und sie ohne signifikante Unterschiede einen gleich guten Abschluss wie männliche Auszubildende in gewerblich-technischen Berufsfeldern erreichen können. Dieser Begleituntersuchung schloss sich ein weiteres Projekt an, das sich mit der Umschulung von Frauen in gewerblich-technische Berufe befasste.
Auch nach ihrer Pensionierung blieb Ellen Schulz aktiv. Sie übernahm 1992 die Ko-Leitung der zuvor von Angelika Wagner gegründeten Arbeitsstelle Expertinnen-Beratungsnetz/Mentoring und war dort auch als Expertin und Mentorin für den Hochschulbereich tätig. In ihrer zehnjährigen ehrenamtlichen Leitungstätigkeit hat sie das Expertinnen-Beratungsnetz weiter auf- und ausgebaut und diesem zu einem großen überregionalen Erfolg verholfen. Dazu gehört nicht zuletzt der Aufbau vergleichbarer Einrichtungen in fünf weiteren Städten (Berlin, Dresden, Köln, München und Bremen). Für ihre Verdienste und ehrenamtliche Tätigkeit wurde Ellen Schulz am 7. April 2006 mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.
Die Fakultät Erziehungswissenschaft trauert um eine vielfach anerkannte Wissenschaftlerin, eine engagierte Berufspädagogin und eine langjährige Kollegin.
Prof. Dr. Christine Mayer
Fachbereich 1: Allgemeine, Interkulturelle und
International Vergleichende Erziehungswissenschaft