Rede von Prodekan Prof. Dr. Körber auf der akademischen Abschlussfeier am 29. Januar 2014
1. April 2014, von Dr. Wolfgang Roehl
Liebe Anwesende, d.h.
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liebe Eltern, Partner, Kinder und weitere Verwandte, Freunde derjenigen, die heute hier feiern, und die wir heute feiern, …
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liebe Kolleginnen und Kollegen aus dem Hause, aus den anderen am Zustandekommen des hier zu feiernden Ereignisses beteiligten Fakultäten und Institutionen,
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liebe Vertreter(innen) des Präsidiums,
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liebe Vertreter des Hamburger Bildungswesens,
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vor allem aber: liebe Absolventinnen und Absolventen. –
im Namen des Dekanats unserer Fakultät beglückwünsche ich Sie alle zu dem, was Sie in den letzten Wochen, Monaten und Jahren erreicht haben.
Solche Abschlussfeiern wie die heutige gibt es – nachdem sie eine Weile aus der Mode gekommen waren und der Abschied von der Universität durch die Post vorgenommen wurde – nunmehr seit einigen Jahren wieder. Regelmäßig finden wir uns hier zusammen und hören Musik und Ansprachen, überreichen Zeugnisse und Preise und erfreuen und beim anschließenden Empfang. Selbst der Text dieser Rede ist – mangels großer Variation der Anlässe – nicht gänzlich neu.
– alles Routine also?
Für uns vielleicht – für Sie sicherlich nicht: Auch wenn Sie inzwischen mehrere Abschnitte Ihrer formalen Bildungsbiographie erfolgreich absolviert haben, dürfte dieses Examen einen denk-, wenn nicht auch einen merk- würdigen Einschnitt markieren. Sie verlassen nun Ihre Alma Mater, treten in einen neuen Abschnitt Ihres Lebens ein – vielleicht wissen Sie schon, wie es weitergeht, haben schon einen Platz in einer weiteren Ausbildungsphase oder einen Arbeitsplatz, oder aber Sie suchen noch, orientieren sich. Immer aber gilt: So, wie es bisher war, bleibt es nicht. Anlass genug, um zurückzuschauen auf Ihr Studium, innezuhalten und nachzudenken darüber, wie es war, als Sie hier anfingen, darüber wie Sie sich entwickelt haben, aber auch, wie sich die Institutionen entwickelt haben, Ihr Fach bzw. Ihre Fächer usw.
In diesem Sinne kann etwa daran erinnert werden, dass Sie zu einer Zeit Erziehungswissenschaften studiert haben, in welcher in der Bildungslandschaft, der Politik wie der Wissenschaft, Einiges in Bewegung war und noch ist. Ob es Ihre eigene Präferenz war oder nicht – Sie werden sich im Studium nicht nur mit großen Pädagog(inn)en und ihren Ideen, mit der Geschichte der Disziplin, den gesellschaftlichen Bedingungen und den Institutionen von Bildung auseinandergesetzt haben, mit Schule, Unterricht und außerschulischer Bildung und Erziehung: sie werden notwendig auch eine – wie sehr auch immer vorläufige – eigene Position entwickelt haben zu den Konzepten und Ideen, mit denen heutzutage die Bildungsforschung, Bildungspolitik und die Schulpädagogik wie auch die Didaktiken das Bildungswesen reformieren. Bildungsstandards, Kompetenzen, sind entsprechende Stichworte, aber ebenso Individualisierung, Autonomie, Schülerorientierung, Heterogenität , Schulentwicklung sowie – gar nicht mehr so neu – die „Neuen Medien“ – und schließlich – ganz aktuell und uns alle umtreibend – die Inklusion.
Sie werden Einblick gewonnen haben in Fragen der empirischen Fundierung und Absicherung bildungswissenschaftlicher und -politischer Positionen; Stichwort: PISA, Vergleichsuntersuchungen, qualitative und quantitative Forschung.
Ganz egal, was genau Sie im Weiteren tun werden, ob Sie in die Schule gehen, um Lehrerinnen und Lehrer zu werden, ob sie in der außerschulischen Kinder- und Jugendbildung arbeiten wollen, in der Erwachsenenbildung, ob sie verwaltend oder forschend am Gegenstand bleiben wollen – wir Lehrenden wünschen uns, dass Sie hier nicht nur totes Wissen erworben haben, nicht nur die Fähigkeit, in einem vorgegebenen Rahmen das zu tun, was andere geplant und vorbereitet haben, sondern dass Sie sich als kritische, reflektierende und urteilsfreudige, aber auch urteilsfähige Fachleute in die weitere Entwicklung der Disziplin einmischen können. – Das wäre im Übrigen auch der eigentliche Sinn eines universitären Studiums, das sich zugleich in Humboldtscher Tradition als Bildung, nicht Ausbildung versteht und doch seinen Berufs- und Praxisbezug nicht verleugnet – nicht Theorie gegen Praxis auszuspielen, nicht – wie es etwa für den Übergang zum Referendariat immer wieder kolportiert wird – zu vergessen, was man auf der Universität gelernt hat, um nun zu erfahren, wie es richtig, eigentlich gehe, sondern die berechtigten und ihre eigene Dignität besitzenden Inhalte, Perspektiven und Erfahrungen der weiteren Ausbildung selbst reflektieren und in Wert setzen zu können auf der Basis eines breiten theoretischen Wissens. Das unterscheidet gerade eine Profession und ihre Professionalität von anderen Berufen und Formen der Berufsausübung: Selbst – als Person – immer neue individuelle Fälle, Situationen, Herausforderungen, die in die Lebenschancen Anderer eingreifen, neu und verantwortlich gestalten zu können, ohne sich nur auf ein feststehendes Regelwerk verlassen zu wollen oder zu können. Diese Art der Professionalität braucht die pragmatische Routine und Übung – aber eben auch die Theorie. Wenn Ihr Studium diese Basis gelegt hat, Sie sich befähigt fühlen, Ihr Tun immer selbst zu reflektieren und zu verantworten, sich zutrauen, auftretende Fragen selbstständig zu klären, Fach, Institution, Gepflogenheiten etc. kritisch zu befragen – dann hat das Studium seinen Zweck erreicht.
Vor drei Jahren – bei meiner ersten Abschlussfeierrede als Prodekan – habe ich etwa an dieser Stelle einer vergleichbaren Rede innegehalten und darüber nachgedacht, ob denn für diejenigen unter den damaligen Studierenden, die nicht ein Staatsexamen oder den Master, sondern einen Bachelor erworben haben, überhaupt von „Abschluss“ gesprochen werden kann, und ob sie überhaupt an einer solchen Feier teilnehmen sollen oder wollen.
Einige von Ihnen werden es wissen: Nicht nur die engagierten Vertreter unserer Studierenden, sondern auch der Fakultätsrat haben wiederholt die Auffassung vertreten und bekräftigt, dass zumindest für das Lehramt – für die „grundständigen“ Erziehungswissenschaften sieht das durchaus anders aus – der Bachelor eigentlich nicht – wie es offiziell heißt – „berufsqualifizierend“ ist, und dass wir deshalb eine Organisationsform befürworten, welche ohne die weitgehend künstliche, aber ein gerüttelt Maß an persönlichen Unsicherheiten (Ihrerseits) und bürokratischem Aufwand (unsererseits), in einigen Fällen sogar deutliche Härten hervorbringende Trennung von BA und M.Ed. aufgehoben wird. Das erweist sich – wie in der Vorbereitung der Revision des Hamburger Hochschulgesetzes gerade wieder deutlich geworden ist – alles andere als einfach und wir selbst können es nicht ändern – selbst wenn wir es wollten. Die Situation aber ist – gerade auch angesichts des kürzlich ergangenen Urteils gegen die Universität Osnabrück – kaum übersichtlicher geworden.
Sollen wir aber deshalb, um nicht diese künstliche Unterteilung des Studiums symbolisch zu stützen, die Leistung derjenigen ignorieren, die eine Bachelor-Prüfung absolviert haben, und das uns gegenüber mehrfach geäußerte Interesse an einer solchen Feier? Nein. In diesem Sinne feiern wir natürlich auch Sie und mit Ihnen. Immerhin haben Sie ja auch die Möglichkeit (und einige nehmen sie ja auch wahr) die Universität zu wechseln, eine Studienpause einzulegen und Berufserfahrung zu sammeln.
Damit kann ich mich wieder an alle wenden:
Sie alle haben also allen Grund zu feiern – und wir, denke ich auch. Feiern und sich freuen sollen und wollen Sie (dazu dient insbesondere auch der Empfang im Anschluss) zunächst einmal Ihre eigene Leistung. Sie haben – gleich, welchen Abschluss Sie gemacht haben – in einem geregelten, komplexen Verfahren bewiesen, dass Sie sich mit wissenschaftlichen Fragestellungen und Themen aus dem Bereich der Erziehungswissenschaft und ggf. Ihrer Unterrichtsfächer eigenständig auf eine Art und Weise auseinandersetzen können, die unter Fachleuten Anerkennung findet. Damit sind (bei allen Probleme, welche solche Verfahren immer noch aufweisen) wesentliche Anforderungen wissenschaftlicher Prüfungen erfüllt. Ich will das jetzt nicht im Einzelnen ausführen. Wichtig ist heute: Sie haben sich mit Ihrem Examen also gegenüber der Profession ausgewiesen.
Sie können sich also durchaus dazu gratulieren, dass sie sich nicht haben entmutigen lassen von den in Prüfungsordnungen, Studienplänen, Modulbeschreibungen, Seminarplänen, Prüfungsprotokollen von Vorgängern und anderen Dokumenten niedergelegten Anforderungen. Ich erinnere mich noch gut, wie ich zu Beginn meines Studiums immer dachte, das könnte man (nicht nur ich) nie schaffen, und wie mit dem Studieren, mit dem Angehen der Anforderungen diese auch immer bearbeitbarer wurden – bis im Rückblick selbst die Abschlussprüfungen, nicht mehr wie ein unüberwindlicher Berg aussahen, sondern im Gegenteil sogar Wesentliches von ihrem Schrecken verloren hatten: Das gilt wohl immer: Erst im Nachhinein sieht man ein, dass auch in Prüfungen mit Wasser gekocht wird – mit echtem und heißenmWasser zwar, aber doch mit Wasser. Diese Einsicht gewinnt aber nur, wer sich auch ernsthaft auf die Prüfung einlässt, wer sich ernsthaft vorbereitet. Der Wechsel von Vorab- und Rückansicht der Prüfung ist selbst ein Gewinn an Lebenserfahrung und -kompetenz. Wer sich Prüfungen vorab kleinredet, gewinnt die Sache nicht, wer nicht rückblickend einsieht, dass nicht die gehabte Prüfung, sondern der zuvor gewesene Lernprozess das Eigentliche darstellt, hat sich selbst nicht gewonnen. Sie haben es offenkundig geschafft, sich selbst und die Ihnen angesonnene Sache so zusammenzuführen, dass beides, Sie und die Sache bewahrt und gefördert wurden. Verlieren Sie diese Einsicht nicht. Sie wird Ihnen weiterhelfen, wenn Sie merken, dass es keineswegs vorbei ist.
Es kommt aber noch hinzu, dass Ihre Prüfung “undefiniert” war, als Sie anfingen zu studieren. Es gehört nämlich zu guten wissenschaftlichen Prüfungen, dass sie gerade nicht (zumindest nicht in Gänze) für alle Studierenden gleich gestaltet sind, dass nicht die gleichen Fragestellungen einer ganzen Kohorte von Kandidaten gestellt werden, und dass die „Lösungen“ und Ergebnisse keineswegs vollständig im Voraus feststehen.
Zumindest ein Teil der Prüfung individualisiert, bringt die Kandidatin, den Kandidaten als Individuum ins Spiel, als Menschen, der sich professionell und selbst denkend, mit den eigenen Erfahrungen, der eigenen Perspektive, den eigenen Urteilen mit einem relevanten Gegenstand auseinandersetzt. Das geschieht zumeist in der schriftlichen Hausarbeit zur Prüfung, begrenzt auch in den Klausuren. In dieser Form eine Prüfung bestanden zu haben, die nicht schon identisch Hunderte vor Ihnen bestanden haben oder mehrere oder ebenfalls hunderte mit Ihnen (wie im Abitur bzw. Zentralabitur), sondern wo die Thematik der Prüfung Teil der Prüfung war, weil Sie selbst in dieser Thematik sichtbar wurden gegenüber der community, das ist etwas, das Ihnen vorab kaum einsehbar erscheinen konnte.
In zweifachem Sinne können Sie sich und wollen wir Ihnen mit dieser Feier daher gratulieren dazu, einen Weg (zumindest vorläufig) abgeschlossen zu haben, dessen Ziel Sie beim Beginn noch gar nicht erkennen konnten, weil es noch gar nicht da war. Studieren heißt somit auch: sich auf Neues, Ungewisses einlassen, das man dann aber auch mit gestalten und mit prägen kann; studiert haben, heißt dann, in einem bestimmten Maße auch sichtbar geworden zu sein und die Sache, das Fach, die Wissenschaft und ihre Erkenntnis mit geprägt zu haben. Auch das kann und darf man feiern. Es ist Teil eines Bildungsprozesses, der mehr ist als Ausbildung, sondern Professionalisierung.
Vor drei Jahren, als wir noch wenig Erfahrungen mit den Bachelor- und Master-Prüfungs- und Studienordnungen hatten, habe ich vor einem der ersten Abschlussjahrgänge noch unsicher meiner Hoffnung Ausdruck gegeben, dass es uns gelungen sein möge, diese gerade nicht „verschult“ und dem eigenen Denken abhold zu gestalten, sondern mit den für die Entwicklung eigener wissenschaftlicher Positionen nötigen Freiräumen und Freiheiten zu versehen. Nur so kann es aber gelingen, den Bachelor nicht nur als “Zwischenfazit” hinzunehmen, sondern als Grundlage für ein weniger formalisiertes, stärker an der Sache ausgerichtetes Studium, das diesen Namen wieder verdient, dann hat der Bachelor auch für die Universität seinen Sinn gewonnen. Und auch Ihnen gegenüber möchte ich nun wieder bekräftigen, dass wir alle hoffen, es möge uns gelungen sein.
Wo immer Sie also weiter tätig sind, im Beruf oder im Studium, wünscht Ihnen das Dekanat der Fakultät für Erziehungswissenschaft, Psychologie und Bewegungswissenschaft, dass Ihnen diese Qualifikation nicht nur formal nützen und helfen möge, sondern dass Sie bei Ihrem weiteren Tun und Lernen so produktiv wie selbstständig darauf aufbauen und anknüpfen können. Alles Gute!
Vielen Dank