Zusammenfassung des Podcast Bildungsschnack, Folge 07 im Juli 2022: Dies ist eine schriftliche Zusammenfassung des Gespräches und darf ausschließlich nach Abstimmung mit der Urheberin (Fakultät für Erziehungswissenschaft, UHH) weiterverwendet werden.
Diversitätskontexte reflektieren mit dem Anti-Bias Ansatz
Internationalisierung in der Lehrer:innenbildung
Schlagworte: Diversität, Orientierungspraktikum, Anti-Bias Ansatz
Moderation: Dr. Katrin Steinvoord
Intro
Herzlich Willkommen zu einer neuen Folge unseres Podcast Bildungsschnack. Wie jeden Monat wollen wir auch heute ein spannendes Forschungsprojekt aus der Fakultät für Erziehungswissenschaft der Universität Hamburg unter die Lupe nehmen.
In der siebsten Folge habe ich Frau Prof. Dr. MHEd. Telse Iwers und Herrn Dr. Javier Carnicer zu Gast (sinngemäße Zusammenfassung des Gesprächs):
Grundlagen von DiCoT
In dieser Folge erzählen uns die beiden Gäste etwas über das Projekt DiCoT (Diversity Contexts in Teacher Education) und die dazugehörige Begleitforschung. DiCoT ist ein vom DAAD (Deutscher Akademischer Austausch Dienst) gefördertes Projekt im Rahmen der Förderlinie „Lehramt International – Modellprojekte an Universitäten“. Das Projekt läuft von Anfang 2021 bis Ende 2024 und wird gemeinsam mit dem ZLH (Zentrum für Lehrerbildung Hamburg) durchgeführt. Ziel des Projekts ist es, das Orientierungspraktikum (OP) im Bachelorstudiengang der Lehramtsstudiengänge mit der Möglichkeit internationale Erfahrungen zu machen, zu verknüpfen. Diese internationalen Erfahrungen können durch die Durchführung des Praktikums im Ausland stattfinden, aber auch durch die Reflektion von Internationalisierungserfahrungen „at home“. Im Rahmen von DiCoT, werden die Studierenden in ihren Vorbereitungs- und Begleitseminare des Orientierungspraktikums unter anderem mit dem Anti-Bias Ansatz konfrontiert. Auf Basis dieses theoretischen Fundaments (Anti-Bias Ansatz im Vorbereitungsseminar) gehen die Studierenden dann ins Ausland, machen dort ihre Erfahrungen, bekommen das Begleitseminar in Form eines zu bearbeitenden E-Portfolios an die Hand und reflektieren die gemachten Erfahrungen schlussendlich wieder in Form einer Abschlussveranstaltung. Alle Lehrenden der Vorbereitungsseminare werden vorab in dem Anti-Bias Ansatz geschult, sodass sie Übungsanteile ihrer Seminare dazu gestalten können.
Der Anti-Bias Ansatz
„Bias“ bedeutet so etwas wie Voreingenommenheit und Vorurteil, aber auch gleichzeitig Schieflage, Einseitigkeit und Verzerrung. Und Anti-Bias bedeutet dann, gegen Schieflagen und Vorurteile zu handeln. Es geht dabei nicht nur darum, die eigenen Vorurteile und Stereotypen zu bearbeiten, sondern auch um die gesellschaftlichen Bedingungen, die dazu führen. Der Anti-Bias Ansatz zielt sowohl auf das Empowerment der einzelnen Personen, aber auch auf den Abbau von Diskriminierung. Dieser Ansatz kommt bei DiCoT zum Einsatz, weil er besonders gut die Studierende auf Diversitätskontexte vorbereitet/vorbereiten kann. Solche Diversitätskontexte findet man sowohl in Hamburg (Deutschland) als auch im Ausland. DiCoT wird als Projekt verstanden, in dem Diversität intersektional gedacht wird und unterschiedliche Differenzlinien Beachtung finden. Bei der Anwendung des Anti-Bias Ansatzes verständigt man sich daher reflektierend während der Vorbereitungsphase des Orientierungspraktikums über alle Differenzkategorien (z. B. ethnische Herkunft, sozio-ökonomischer Status, Bildungsstand der Familien, Geschwisterstand innerhalb der Familiengruppe, Stadt vs. Land usw.). Diese unterschiedlichen Aspekte machen dann die Identität aus, auf deren Basis die Person dann in die Reflexion über Diversität geht.
Beteiligte an dem Projekt
Es gibt insgesamt drei verschiedene Gruppen, die an dem Projekt DiCoT mitwirken.
- Das ELF-Team (Erziehungswissenschaftliche Lehre und Forschung) besteht neben Telse und Javier noch aus Prof. Dr. Sara Fürstenau, Dr. des Simone Plöger, Carolina Colmenares Díaz, Helena Dedecek Gertz.
- Das E-Portfolio wird gestaltet von Britta Schmidt und Nadja Strunk. (Diese Arbeit ist so gut wie abgeschlossen.)
- Die Koordination wird übernommen von Myriam Hummel und Elisa Imanuwarta. Hier wird ein projektinternes Alumninetzwerk erstellt, ein Partnerschaftsnetzwerk aufgebaut und generelle Vernetzungsarbeit geleistet.
Begleitforschung: Implementierung und Erfahrungen
Allgemein ist hier das Modul „Anti-Bias Ansatz im Rahmen des Orientierungspraktikums“ das Objekt der Beforschung. Es gibt hier zwei Forschungslinien. Zum einen wird die Implementierung des Moduls erforscht und kritisch reflektiert. Zum anderen werden die Erfahrungen der Studierenden begleitet und eine mögliche Haltungsänderung erforscht um hier auch zu schauen, inwiefern die Studierenden durch das Modul die Ziele des Anti-Bias Ansatzes erreichen.
Die Implementierung wird durch eine prozessbegleitende und dialogbezogene Vorgehensweise beforscht. Hier findet v.a. viel Kommunikation zwischen dem ELF-Team und den Dozierenden der Vorbereitungsseminare statt. Dabei wird das Erleben der Fortbildungen im Anti-Bias Ansatz der Dozierenden reflektiert und auch geschaut, welche Teile der zur Verfügung gestellten Materialien die Dozierenden schlussendlich für ihre Seminare übernehmen und wie sie diese umsetzen. Dies geschah zum Teil beispielsweise durch teilnehmende Beobachtung, sodass Unterschiede in der Anwendung der Übungen und Materialien aufgedeckt werden konnten.
Der zweite Strang beschäftigt sich mit den Veränderungen der subjektiven Haltung der Studierenden. Die Studierenden machen hierfür ‚reflective journals‘ während der Auslandsaufenthalte bzw. während sie die Differenzerfahrungen machen und im Nachgang werden auf der Basis der Journals dann Interviews geführt. Hier interessiert die Forschenden v.a. ob es eine Auflösung von Stereotypisierungen gibt oder ob es sogar zu neuen Stereotypisierungen kommt. Deshalb ist es wichtig, dass die Studierenden auch über die eigenen Normen, Wertvorstellungen und normativen Setzungen reflektieren.
Persönliche Motivation der Forschenden
Für Javier Carnicer ist die Internationalisierung des Lehramtsstudiums und die Unterstützung der Studierenden bei ihrer Reflektion der Diversitätskontexte die hauptsächliche Motivation um in dem Projekt mitzuarbeiten. Telse Iwers ist die Herstellung von Chancengerechtigkeit im Unterricht (durch die Schulung kommender Lehrer:innen z. B. wie hier im Anti-Bias Ansatz) eine große Motivation. Außerdem ist ihr die Beschäftigung mit und Beseitigung von kognitiven Schließungsprozessen ein großes Anliegen.
Herausforderungen des Forschungsprojekts
Die theoretische Reichweite und der theoretische Anspruch des Anti-Bias Ansatzes ist begrenzt. Er eignet sich, nach Meinung von Telse Iwers, sehr gut als Vorbereitung z. B. für das Orientierungspraktikum, es „trägt aber in seiner theoretischen Basis nicht dazu bei, umfassend über Diversitätskategorien zu reflektieren“ (Telse Iwers). Es bedarf in der Zukunft einer theoretischen Weitung, die nicht zu komplex werden darf, aber den eher handlungsorientierten Anti-Bias Ansatz in Teilen ergänzt.
Dozierende an der Hochschule sind sehr erfahren darin, theoriegeleitete Reflexionen anzuleiten. DiCoT ist jedoch ein Projekt, dass in seiner Herangehensweise anders ist. Die persönliche Reflexion, v. a. auch der eigenen persönlichen Diversitätserfahrungen, ist für viele neu und gewöhnungsbedürftig. Die Gestaltung dieser Prozesse, dass sie allen Beteiligten etwas bringen, ist für Javier Carnicer die größte Herausforderung.
Zukunftsvisionen von DiCoT
Zukünftig sollen sich ALLE Studierenden ermutigt fühlen, eine gut reflektierte Auslanderfahrung während ihres Studiums zu machen. DiCoT soll hier der Grundstein sein und in Zukunft sollen Studierende auch ihre eigenen Standorte miteinbringen können. Als Verstetigungsperspektive soll den Lehrenden durch DiCoT die Möglichkeit gegeben werden, Reflexionsangebote in das Seminargeschehen zu integrieren. Es sollen möglichst viele Lehrende und Studierende in den Seminaren über Differenz und Ungleichheit reflektieren.
Outro
Dies war eine Folge vom Bildungsschnack. Jeden Monat wird hier ein Forschungsprojekt der Fakultät für Erziehungswissenschaft der Universität Hamburg vorgestellt – wenn Sie wissen wollen, zu welchen Themen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an unserer Fakultät forschen, wie genau sie das eigentlich machen und welche Relevanz das für Bildung und Gesellschaft hat, dann abonnieren Sie uns bei Spotify oder iTunes oder besuchen uns auf der Seite des Bildungsschnacks.
Danke für’s Zuhören, Tschüss und bis zum nächsten Mal!