Professur für Digitalisierung in der Bildung besetzt„Wie können digitale Technologien sinnvoll in Bildungsprozessen verwendet werden?“Freydis Vogel im Gespräch
4. April 2023
Foto: privat
Prof. Dr. Freydis Vogel ist von der University of Nottingham nach Hamburg gekommen und hat eine Professur an der Fakultät für Erziehungswissenschaft für “Digitalisierung in der Bildung“ angetreten.
Ihr Weg als Wissenschaftlerin in fünf Sätzen?
Meine wissenschaftliche Laufbahn begann an der Ludwig-Maximilians-Universität in München, an der ich nach meinem Magisterstudium in Pädagogik und Psychologie 2014 promovierte. Im Anschluss daran wechselte ich an die TUM School of Education (Technische Universität München), um als Post-Doc am Lehrstuhl für Schulpädagogik meine Studien, vor allem zum computerunterstützten kooperativen Lernen, zu vertiefen. Ab Juni 2018 war ich dann als Assistant Professor an der University of Nottingham in England in der Forschung und Lehre am Learning Sciences Research Institut im Bereich „Digitales Lehren und Lernen“ tätig. Aufbauend auf meiner Expertise zum Lehren und Lernen mit digitalen Technologien freue ich mich nun besonders mit der Professur „Digitalisierung in der Bildung“ an der Universität Hamburg meinen Weg in diesem spannenden Bereich fortzusetzen.
Was war ausschlaggebend für Ihre Entscheidung, an die Uni Hamburg zu kommen?
Die Fakultät für Erziehungswissenschaft an der UHH ist eine etablierte Institution, die in meinen Augen besonders durch ihre Breite in den erziehungswissenschaftlichen Themenbereichen und eine hervorragende Umsetzung der Lehrer:innenbildung besticht. Dies ist eine perfekte Grundlage für meine Tätigkeit in Forschung und Lehre zur Digitalisierung in der Bildung, da Digitalisierung unterschiedliche Bildungsbereiche verknüpft und durchdringt. Was mich dabei besonders positiv beeindruckt hat, sind die Begegnungen mit engagierten Kolleg:innen an der Fakultät für Erziehungswissenschaft, insbesondere auch in dem schon sehr gut etablierten Medienzentrum der Fakultät.
An welchen Forschungsthemen arbeiten Sie derzeit?
Die Forschungsthemen, an denen ich arbeite, sind von meinem Interesse für das kooperative Lernen mit digitalen Technologien geprägt. Es stellt sich vor allem die Frage, wie und unter welchen Umständen kooperatives Lernen gelingen kann oder gemeinsam Probleme gelöst werden, die ein Zusammenspiel unterschiedlicher individueller Fähigkeiten bedürfen. Digitale Technologien kommen hier auf mehrere Weise zum Tragen. Zum einen geht es um die Entwicklung von digitalen Technologien, die die gemeinsame Kooperation unterstützen, Kommunikation anleiten oder zu lernförderlichen Aktivitäten anregen. Zum anderen werden in der sich schnell verändernden digitalen Welt ständig neue Technologien entwickelt, für die Lernende und Lehrende immer neue Fertigkeiten erlernen müssen, beispielsweise durch sich verändernde Kommunikationsformen.
Hierbei schaue ich mir vor allem drei Themenkomplexe an:
Kooperatives Lernen kann, wenn es gut gerahmt ist, neben dem gemeinsamen Wissenserwerb und kooperativem Problemlösen vor allem auch das soziale Lernen fördern. Von Lernenden wird dabei die Bereitschaft und Fähigkeit gefordert, sich auf das gemeinschaftliche Lernen einzulassen, wobei kognitive, soziale und emotionale Mechanismen in einem komplexen Gefüge zusammenwirken. Diese Mechanismen verhelfen zu erfolgreichem kooperativen Problemlösen, gemeinsamer Wissenskonstruktion und der Entwicklung individueller Kenntnisse und Fertigkeiten. Hier schaue ich mir unter dem Begriff „Transaktivität“ an, welche Mechanismen im gemeinsamen Dialog ineinandergreifen und wie wir verschiedene Fähigkeiten fördern können.
Das zweite Thema ist die Datenanalyse im Forschungskontext selbst: Die hierfür notwendigen Analyseverfahren werden ständig weiterentwickelt und die fortschreitende Digitalisierung bietet neue Möglichkeiten, wie beispielsweise automatisierte Analyseverfahren und den Einsatz von maschinellem Lernen. Bezogen auf meine inhaltlichen Forschungsbereiche geht es z. B. darum, ob und wie soziale Fertigkeiten individuell gemessen werden können, während sie gleichzeitig von dem Verhalten und den Fähigkeiten anderer abhängen.
Der dritte Schwerpunkt ist die Aus- und Fortbildung von Lehrkräften zum Einsatz digitaler Bildungstechnologien und der Transfer in die Schulpraxis. Lehrer:innen in der Aus- und Weiterbildung brauchen Gelegenheiten, um ihr Wissen über Theorien und aktuelle empirische Forschungsergebnisse beständig zu erweitern und auf dieser Grundlage das Handlungsgeschehen im Unterricht vertieft zu reflektieren – in einem Feld, welches sich stetig und schnell wandelt. Hierbei steht vor allem die Frage im Vordergrund, inwiefern bildungswissenschaftliche Evidenz vermittelt und in die Unterrichtsplanung integriert wird. Darüber hinaus geht es darum, im Kontext der Digitalisierung in der Bildung Fähigkeiten zu fördern, Informationen und Quellen zu aktuellen Themen zu bewerten, auszuwählen und auf das Unterrichten anzuwenden. Dies bezieht sich beispielweise auf die Verwendung von online Suchmaschinen, aber auch ganz aktuell auf den sinnvollen und kompetenten Einsatz von KI-Modellen.
Wie erklären Sie Ihre Forschung ganz einfach verständlich?
Ich finde in Gesprächen schnell Anknüpfungspunkte an die Lebensrealität meiner Gesprächspartner:innen, da fast alle Erfahrungen mit dem Lernen mit digitalen Technologien gemacht haben (z. B.: MS Teams, Moodle, email, TikTok) und unterschiedliche Erfahrungen zum gemeinsamen Lernen kennen. Dann erkläre ich, dass es viele Vorteile haben kann, sich gemeinsam mit anderen zusammenzutun, um zu lernen oder Probleme zu lösen, wie zum Beispiel, dass man mit mehr Spaß bei der Sache ist oder sich gegenseitig unterstützen kann. Das funktioniert aber nicht immer gleich gut und daher erforsche ich, mit welchen Hilfestellungen Lerngruppen am besten ihre Ziele erreichen. Dabei bin ich besonderes daran interessiert, wie digitale Programme auf Computern, Tablets oder Smartphones beim Lernen sinnvoll verwendet werden können.
Zu welchen aktuellen gesellschaftlichen Themen oder Herausforderungen möchten Sie Ihre wissenschaftliche Expertise beitragen (und wie)?
Auch wenn die Digitalisierung im Bildungsbereich das Potential hat, Prozesse zu verbessern und Lösungen anzubieten, stellt sie uns alle auch vor sich wandelnde Herausforderungen. Nicht zuletzt seit der allgegenwärtigen Nutzung von online Lernen während der Pandemie und dem öffentlichen Zugang zu Künstlicher Intelligenz durch Programme wie ChatGPT sind die mit der Digitalisierung verknüpften Herausforderungen vor allem im Bildungsbereich in den Vordergrund gerückt. Mit meiner Expertise und zukünftigen Forschung im Bereich der Digitalisierung in der Bildung möchte ich den notwendigen interdisziplinären Diskurs anregen, mitgestalten und dazu beitragen, Antworten zu finden:
- Wie können digitale Technologien sinnvoll in Bildungsprozessen verwendet werden?
- Wie und welche digitalen Fähigkeiten sollen vermittelt werden?
- Welche Unterstützung ist für Beteiligte in formeller und informeller Bildung und Erziehung hilfreich?
Nicht ganz unabhängig davon möchte ich mit dazu beitragen, Wege aufzuzeigen, wie in Zeiten von Desinformation und Filterblasen in digitalen Kommunikationsplattformen eine kritische und mehrperspektivische Meinungsbildung gelingen kann.
Was erwarten Sie von den Studierenden und von sich selbst innerhalb der Lehre?
Ich freue mich sehr, Studierende in meinen Veranstaltungen zu begrüßen, die sich für Themen der Digitalisierung in der Bildung interessieren. Hierzu gebe ich gezielt Einblicke in die eigene Forschung und Projekte von Kooperationspartner:innen über die Tore von Hamburg hinaus. Ich bin aber auch sehr neugierig auf die Themen, die Studierenden selbst besonders unter den Nägeln brennen, und in meinen Veranstaltungen unterstütze und begleite ich die Studierenden dabei, ihre individuellen Lernziele zu erreichen. Da die Digitalisierung aus Erziehungs- und Bildungsprozessen nicht mehr wegzudenken ist, kann ich allen Studierenden der Fakultät für Erziehungswissenschaft empfehlen, meine Veranstaltungen als Gelegenheit zu nutzen die Möglichkeiten digitaler Technologien in der Bildung auszuloten und die damit verknüpften Herausforderungen kritisch zu reflektieren. In meiner Lehre habe ich den Anspruch, den Studierenden Lerngelegenheiten zu eröffnen, in denen ich sie darin unterstütze, sich interessensgeleitet Fachwissen anzueignen und Fähigkeiten zu entwickeln, dieses praktisch anzuwenden und kritisch zu reflektieren. Dabei lade ich dazu ein, in einer respektvollen und vorurteilsfreien Atmosphäre Fragen zu stellen, zu diskutieren und Lösungen zu erarbeiten.
Wie sieht Ihre internationale und praxisbezogene Zusammenarbeit aus?
Durch meine bisherige Tätigkeit im Ausland und mein Engagement in internationalen wissenschaftlichen Gemeinschaften (z. B. als Koordinatorin in der European Association for Research on Learning and Instruction) habe ich ein breites Netzwerk. Durch meine Zeit in Großbritannien arbeite ich mit Kolleg:innen an der University of Nottingham und der University of Cambridge zusammen. In Japan intensiviere ich gerade die Zusammenarbeit mit Kolleg:innen an der Senshu University und der Shizuoka University. Auch arbeite ich zusammen mit Kolleg:innen in den USA, die beispielsweise an der Indiana University Bloomington oder der Penn State University beschäftigt sind. Durch mein Engagement in der International Society of the Learning Sciences pflege ich eine große Anzahl internationaler Kontakte von Wissenschaftler:innen, die hauptsächlich mit der Lehr- und Lernforschung mit digitalen Technologien befasst sind.
Insbesondere im Bereich der Digitalisierung in der Bildung möchte ich die Stellung der Fakultät für Erziehungswissenschaft an der Uni Hamburg stärken. Dies soll vor allem durch eine gute Vernetzung mit anderen Fakultäten und Einrichtungen erfolgen, die ihre spezifische Perspektive und Expertise zum Thema Digitalisierung einbringen. Durch den interdisziplinären Austausch lassen sich neue Ansätze der Digitalisierung erarbeiten, die für Erziehung und Bildung an der Fakultät vorangehend umgesetzt und erprobt werden können.
Worauf freuen Sie sich in Hamburg?
Bislang habe ich Hamburg nur auf Reisen erleben dürfen und die Stadt hat mich schon immer fasziniert, vor allem der Hafen, die vielen kulturellen Angebote, das wechselnde Wetter, die Geradlinigkeit, Offenheit und Diversität der Menschen, denen ich begegnet bin. Nun freue ich mich darauf selbst Teil dessen zu werden und das, was mich fasziniert auch an der Universität und meinen zukünftigen Kolleg:innen und Student:innen wiederzufinden.