Zuwanderung und Quereinstieg ins Schulsystem?Studie zu Internationalen Vorbereitungsklassen stellt Ergebnisse vor
19. Oktober 2022
Foto: UHH/Barakos
Mit dem Krieg in der Ukraine steigt derzeit wieder die Zahl der geflüchteten Schülerinnen und Schüler, die in Deutschland in unterschiedlichen Klassenstufen in das Regelschulsystem einsteigen. In Hamburg werden diese Kinder und Jugendlichen in sogenannten Internationalen Vorbereitungsklassen (IVK) beschult, bevor sie in Regelklassen übergehen. Ein Forschungsteam der Universität Hamburg hat mit dem Projekt „SpraBÜ – Sprachliche Bildung am Übergang von Vorbereitungs- zu Regelklasse“ Stadtteilschulen in Hamburg mit IVK begleitet und stellt die Ergebnisse vor.
Derzeit gibt es viele Kinder in den Internationalen Vorbereitungsklassen und das stellt die Schulen vor besondere Herausforderungen, so Simone Plöger: „Momentan gibt es (wieder) eine hohe Zahl von Kindern in IVK. Das führt teilweise dazu, dass Kinder frühzeitiger die IVK verlassen und in Regelklassen übergehen. Die Gestaltung des Übergangs ist also für die Schulen ein dringliches Thema. Die Eingliederung ins Schulsystem stellt an die Politik, aber auch an die einzelnen Lehrkräfte, die die IVK unterrichten, neue und alte Herausforderungen.“
Das Forschungsteam (Prof. Dr. Sara Fürstenau, Dr. Elisabeth Barakos, Dr. (des) Simone Plöger) hat im Projekt „SpraBÜ – Sprachliche Bildung am Übergang von Vorbereitungs- zu Regelklasse“ über drei Jahre an zwei Schulen intensiv die Lehrkräfte und Kinder in den IVK begleitet. „Unser wesentliches Ergebnis ist der Einblick in den policy-practice-gap”, so Elisabeth Barakos. „Wir haben dort das Dilemma zwischen Vorstellungen der Behörde und der Realität in den Klassen deutlich erkannt. Das führt zu negativen Auswirkungen wie Arbeitsbelastung der Lehrkräfte, was an fehlenden Ressourcen wie Personal und Finanzen liegt. Das wiederum wirkt sich auf die Übergänge der Kinder aus, die verfrüht oder auch verspätet übergehen müssen.“
Die Forschenden untersuchten etwa das Zusammenspiel aus offiziellen Vorgaben für die IVK und den vorhandenen Strukturen. Simone Plöger: „Die strukturellen Gegebenheiten stehen dem pädagogischen Arbeiten zum Teil im Wege, wenn beispielsweise kein gutes Unterrichtsmaterial für IVK zur Verfügung steht und Lehrkräfte dies erst zusammenstellen müssen.“
Auch die Erhöhung der Klassengröße in der IVK von 15 auf 18 stellte sich im Projekt als Hindernis für die Förderung einzelner Kinder heraus – am deutlichsten am Übergang der Schüler:innen aus den IVK in die Regelklassen. Eigentlich sollen sie dafür an ihrer Schule bleiben können, doch in den Regelklassen können keine Plätze reserviert werden. „Wenn eine Regelklasse bereits voll ist, müssen Kinder aus IVK an eine andere Schule und dann können Lehrkräfte den Übergang nicht gestalten oder sie begleiten und unterstützen“, so Plöger. Das bedeute für die Kinder, dass sie neben einem Klassen- auch einen Schulwechsel bewältigen müssen. „Sie müssen sich an ein völlig neues Umfeld gewöhnen, das in den meisten Fällen kaum informiert ist über ihre spezifischen Bedürfnisse“, ergänzt die Erziehungswissenschaftlerin.
Im SpraBÜ-Projekt arbeiteten die Forschenden mit Schulen zusammen, an denen qualifizierte Lehrkräfte den IVK-Unterricht gestalten. „Dort war Mehrsprachigkeit selbstverständlich Thema und wurde einbezogen und wir haben guten Unterricht beobachtet“, so Plöger. Doch auch unter diesen Bedingungen zeigten sich große Herausforderungen.
Implikationen für die Schulpraxis
Neben dem beobachteten Engagement der Lehrkräfte gehe es dabei vor allem um Kommunikation, so Simone Plöger: „Was wir aus den beiden Fallschulen zeigen können: Wenn es eine gute Kommunikation zwischen Schulleitung und IVK-Leitung sowie Lehrkräften gibt, ist das sehr hilfreich. Es hilft, wenn klar ist, was die Kriterien für den Übergang sind, wer Entscheidungen trifft und wer informiert werden muss.“ Oft brauche es einfache strukturelle Veränderungen, um das Arbeiten leichter zu machen, dies sei beispielsweise der Bereich der Informationsweitergabe an Schulen.
Das Forschungsteam hat zum Abschluss des Projektes die Beteiligten in einem mehrstündigen Workshop zusammengebracht, um die Ergebnisse zu präsentieren und gemeinsam weiterzudenken. „Wir wollten als Wissenschaftlerinnen die Ergebnisse als Sprungbrett in die Diskussion zwischen Bildungspolitik und Schulpraxis geben.“ Dabei seien IVK kein „Spezialthema“, sondern eröffneten die Frage nach dem zukünftigen Umgang mit einer immer diverser geprägten Gesellschaft.
Sara Fürstenau, Projektleiterin und Professorin für Interkulturelle Bildung, resümiert dazu: „Natürlich ging es in unseren Ergebnissen zunächst viel um Fragen von Strukturen und Ressourcen. Doch es geht um mehr.“ IVKs seien sehr heterogene Klassen mit einer Vielzahl von Erstsprachen, Lernständen, sozialen Hintergründen, die es in Zukunft noch viel stärker geben werden. „Eine heterogene Schülerschaft ist bereits jetzt Alltag. Die Frage ist: Wie kann man diese Schülerschaft bestmöglich beschulen?“
Eine sinnvolle Perspektive sei, nicht nur zielgruppenspezifisch zu denken, sondern den inklusiven Umgang mit Heterogenität anzuschauen. In den Austausch brachten die Forschenden dazu zum Beispiel das Konzept der „integrativen Beschulung“ mit begleitender Sprachförderung ein. Dieses sieht vor, dass neu zugewanderte Schüler:innen umgehend in Regelklassen kommen und begleitend dazu Sprachförderung erhalten.
Mehr zu den Projektergebnissen:
Barakos, E. (2022). Digital, vielsprachig und im Übergang. Internationale Vorbereitungsklassen in Zeiten der Pandemie. In Budde, J.; Lengyel, D.; Böning, C.; Claus, C.; Weuster; N.; Doden, K. & Schroedler, T. (Hrsg.). Schule in Distanz – Kindheit in Krise. Springer VS, S. 151-172.
Ein weiterer Einblick in das Forschungsprojekt mit stärkerem Blick auf die Auswirkungen der Pandemie findet sich in der Vorstellung von SpraBÜ als Forschungsprojekt des Monats.
Ansprechpartnerin: Dr. Elisabeth Barakos