Professur für Sozialpädagogik besetztWie gelingt gesellschaftliche Teilhabe?Prof. Dr. Holger Schoneville im Gespräch
14. Oktober 2021
Foto: privat
Prof. Dr. Holger Schoneville ist von der Technischen Universität Dortmund nach Hamburg gekommen und hat an der Fakultät für Erziehungswissenschaft eine Professur für „Sozialpädagogik“ angetreten. Im Interview erzählt er von seinen Forschungsschwerpunkten zu Jugendlichen im öffentlichen Raum, Armut und den Bedingungen für gesellschaftliche Teilhabe.
Ihr Weg als Wissenschaftler in fünf Sätzen?
Meine Begeisterung für die Wissenschaft wurde eher überraschend geweckt. Einer meiner Professor:innen hat mich am Anfang meines Studiums gefragt, ob ich als studentische Hilfskraft die Anmeldung und den Empfang bei einer Tagung organisieren könne. Der Job ging nur ein paar Stunden und danach konnte ich zwei Tagen den Vorträgen zuhören. Ich habe kaum was verstanden, aber war total davon begeistert – das war eine echte Bildungserfahrung und rückblickend wohl auch so etwas wie eine Initialzündung. Danach kamen dann Stipendien, Stellen als wissenschaftlicher Mitarbeiter in Kassel und Dortmund, Vertretungen von Professuren in Wuppertal und Essen, Auslandsaufenthalte in Großbritannien, Brasilien sowie den USA und jetzt das großartige Angebot, die Professur hier in Hamburg anzutreten.
Was war ausschlaggebend für Ihre Entscheidung, an die Uni Hamburg zu kommen?
Die Sozialpädagogik in Hamburg ist inhaltlich stark und traditionsreich sowie in einer insgesamt renommierten erziehungswissenschaftlichen Fakultät verortet. Das erscheint mir als genau das richtige Umfeld für meine Arbeiten und ich erhoffe mir zahlreiche Möglichkeiten des Austauschs und der Zusammenarbeit.
An welchen Forschungsthemen arbeiten Sie derzeit?
In einem meiner Forschungsschwerpunkte untersuche ich die Frage, wie Jugendliche private und öffentliche Räume erleben und durch Nutzung aneignen und welche Rolle soziale Ungleichheit dabei spielt. Startpunkt meines Interesses ist die Beobachtung, dass die Teilhabe von Jugendlichen im öffentlichen Raum mindestens widersprüchlich ist: Während sie in Bezug auf die Gestaltung öffentlicher Räume als marginalisiert erscheinen und jugendliche Freizeiträume zunehmend umkämpft sind, kann man zugleich beobachten, dass es beispielsweise subkulturellen Jugendgruppen und auch politischen Jugendbewegungen immer wieder gelingt, öffentliche Räume für sich zu gewinnen. In einer kleineren Studie gemeinsam mit Architekt:innen aus London beispielsweise haben wir kürzlich Jugendliche mit narrativen Interviews befragt, wie sie öffentliche Räume nutzen und wahrnehmen. In gewisser Weise schließe ich damit an Arbeiten an, die in Hamburg bereits Tradition haben und mit dem Namen von Martha Muchow verbunden sind.
Ein zweiter thematischer Schwerpunkt liegt in der Fortentwicklung sozialpädagogischer Armutsforschung. Armut verstehe ich dabei nicht nur als Mangel an Geld, sondern darüber hinaus als komplexe Lebenswirklichkeit, die mit umfassenden Einschränkungen der Verwirklichungsmöglichkeiten einhergeht. Für mich stehen dabei insbesondere die Menschen selbst im Zentrum. Mit sogenannten subjekttheoretischen und anerkennungstheoretischen Ansätzen lässt sich Armut daraufhin untersuchen, ob und in welcher Weise sie als Missachtung wirkt. Im Kern interessiert mich also die Frage, was es mit den Menschen macht, wenn sie in einem reichen Land, wie der Bundesrepublik Deutschland, unter Bedingungen leben, die wir als Armut bezeichnen.
Darüber hinaus beschäftige ich mich als Teil dieser Armutsforschung mit den gesellschaftlichen Hilfsangeboten, die im weiten Feld der Sozialen Arbeit auf Armutsphänomene reagieren. Ein besonderer Fokus liegt dabei auf alternativen Armutshilfen, wie wir sie in Tafeln, Suppenküchen, Kleiderkammern und Sozialkaufhäusern vorfinden können. Gemeinsam mit Kolleg:innen gehe ich davon aus, dass sich hier ein neues Feld der Hilfe etabliert hat, dass auf Ehrenamtlichkeit und Spenden basiert, auf die es jedoch keine rechtlichen Ansprüche gibt. Wir bezeichnen dieses Phänomen als "neue Mitleidsökonomie". Mich interessiert dabei vor allem, was die Entstehung und Etablierung der neuen Mitleidsökonomie mit dem wohlfahrtsstaatlichen Arrangement insgesamt macht.
In diesen Schwerpunkten gibt es sehr gute Anknüpfungsmöglichkeiten zu den Forschungen zu Ungleichheitsverhältnissen und Benachteiligung in der Fakultät für Erziehungswissenschaft.
Zu welchen aktuellen gesellschaftlichen Themen oder Herausforderungen möchten Sie Ihre wissenschaftliche Expertise beitragen (und wie)?
Es geht um grundlegende gesellschaftliche Fragen: Was brauchen Menschen um an unseren modernen Gesellschaften teilzuhaben, welche Ressourcen benötigen sie, wie müssen Institutionen gestaltet werden und welche Bildungsangebote können sie darin unterstützen? In diesen Fragen stecken Herausforderungen, die gerade in Bezug auf Kinder und Jugendliche immer aktuell sind. Aber auch vor dem Hintergrund, dass wir in unserer Gesellschaft heute mit einer sich weiter verfestigten Ungleichheit zu tun haben und ein großer Teil von Menschen in Armutslagen lebt, ist für die gesellschaftliche Teilhabe von Menschen eine zentrale Herausforderung. Das sind Themen, zu denen ich gerne meine Expertise einbringen möchte.
Was erwarten Sie von den Studierenden und von sich selbst innerhalb der Lehre?
Universitäre Veranstaltungen sind für mich immer Einladungen an die Studierenden, sich gemeinsam zentrale Themen anzueignen. Insofern geht es also auch in der universitären Lehre um Bildungsprozesse. In meinem Fall können dies Theorien oder auch empirische Erkenntnisse sein, mit denen wir uns zentrale sozialpädagogische Fragen erschließen können. Ich freue mich darüber, wenn Studierende diese Einladung annehmen und mit ihren Ideen und Fragen die Veranstaltungen mitprägen.
Worauf freuen Sie sich in Hamburg?
Besonders freue ich mich auf den inhaltlichen Diskurs. Gemeinsam mit den Kolleg:innen und Studierenden konstruktiv um zentrale Fragen des Fachs zu ringen, das ist für mich ein wichtiger Teil von Wissenschaft. Ich hoffe sehr, dass das bald auch wieder mehr persönlich geht. Und ansonsten, freue ich mich zum Start auf ein Bier mit Blick auf die Elbe.