Ein Virus spricht keine Sprache?Trang Schwenke-Lam über Mehrsprachigkeit, Gesundheit und Corona
17. April 2020, von Bente Gießelmann
Foto: UHH/Hohberg
Trang Schwenke-Lam ist Doktorandin an der Fakultät für Erziehungswissenschaft. Sie forscht zu vietnamesischen Communities in Deutschland und promoviert im Fachbereich Interkulturelle und International Vergleichende Erziehungswissenschaft bei Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Ingrid Gogolin.
Frau Schwenke-Lam, ein Virus kennt keine Grenzen und wir alle haben in den letzten Wochen eine Art Crash-Kurs in Epidemiologie und virologischem Vokabular bekommen. Was hat denn die Corona-Krise mit Mehrsprachigkeit zu tun?
Eine Menge. Sie sprechen den Crash-Kurs im virologischen Vokabular an, woran sich die Bedeutung von Mehrsprachigkeit im gesundheitlichen Sektor ganz gut erklären lässt. Auch wenn wir Deutsch auf muttersprachlichem Niveau beherrschen, fällt es vielen von uns schwer, die komplexen medizinischen und wissenschaftlichen Zusammenhänge infolge der Pandemie zu verstehen. Unsere „Health Literacy“ bzw. Gesundheitskompetenz wird derzeit auf eine harte Probe gestellt. Wie mag es dann Menschen ergehen, die zwar Alltagsdeutsch verstehen und nutzen, aber die Fachsprache nicht ausreichend verstehen, um entsprechend handeln zu können? Diese sind nun umso mehr auf verlässliche, mehrsprachige Gesundheitsinformationen angewiesen.
Sie sprechen in Ihrer Forschung von „Health Literacy“ – was bedeutet das?
Unter „Health Literacy“ wird allgemein die Fähigkeit von Personen verstanden, Gesundheitsinformationen zu finden, zu verstehen, kritisch zu beurteilen und in adäquate Handlungen zu überführen. In der repräsentativen Studie des Nationalen Aktionsplans Gesundheitskompetenz wird berichtet, dass mehr als die Hälfte der deutschen Bevölkerung im Umgang mit gesundheitsrelevanten Informationen erhebliche Schwierigkeiten hat. Hieran kann man ablesen, dass die Steigerung der Gesundheitskompetenzen der gesamtdeutschen Bevölkerung zugutekommen würde. Eine niedrigere Gesundheitskompetenz weisen vor allem Menschen mit niedrigem Bildungsgrad bzw. niedrigem sozialen Status, einem höheren Lebensalter, mit chronischer Erkrankung und/ oder mit Migrationshintergrund auf. Die „Health Literacy“ kann man beispielsweise durch das Bereitstellen von Gesundheitsinformationen in einfacherer Sprache, unterstützt durch Piktogramme oder Erklärvideos verbessern.
Welche besonderen Herausforderungen gibt es in Bezug auf Gesundheit und das Gesundheitssystem für mehrsprachige Personen und Familien in Deutschland?
Aus bisherigen Erkenntnissen der Mehrsprachigkeitsforschung wissen wir, dass die Beherrschung unterschiedlicher sprachlicher Register (z.B. Alltags- vs. Bildungssprache) eine zentrale Schaltstelle der gesellschaftlichen Teilhabe spielt. Das bedeutet im Fall von COVID-19, dass wir bei eingewanderten Menschen, unabhängig vom Beherrschen der deutschen Alltagssprache, nicht voraussetzen können, dass sie in der komplexen gesundheitsrelevanten Fachsprache bewandert sind. Dies kann dazu führen, dass Personen sich und andere weniger gut schützen können und dass es eine große Verunsicherung aufgrund von fehlender Information gibt. Im schlimmsten Fall können präventive Maßnahmen nicht entsprechend umgesetzt werden (z.B. veränderte Abläufe beim Arztkontakt, Notwendigkeit der Einhaltung der Quarantäne). Hinzu kommt, dass prekäre soziale und ökonomische Risikofaktoren das Einhalten der präventiven Maßnahmen für eingewanderte Menschen erschweren können – zum Beispiel enger Wohnraum oder Berufe mit höherem Infektionsrisiko wie beispielsweise in der Pflege.
Eine weitere Herausforderung: Tatsächlich ist es ein wiederkehrendes Phänomen - nicht nur in COVID-19 Zeiten - dass Kinder die Rolle der Sprachmittler einnehmen müssen - mangels professioneller Alternativen. Das ist eine hohe Belastung für Kinder. In Australien gibt es z.B. eine staatlich organisierte, zertifizierte, zentrale Vermittlungsstelle für professionelle Gesundheitsdolmetscher für sehr viele Einwanderersprachen.
Was wäre aus Sicht der Forschung wichtig für eine Krisenbewältigung (wie jetzt die Corona-Krise) in einer mehr- oder vielsprachigen Gesellschaft, und was ergeben sich für gesellschaftliche Veränderungsbedarfe?
Die Handlungen jeder einzelnen Person haben ein großes Gewicht in der Pandemie. Gesamtgesellschaftlich profitieren wir alle davon, wenn wir die mehrsprachigen Informationsbedarfe mehr mitbedenken und in unterstützende Handlungen umsetzen, denn nur auf diesem Weg können wir COVID-19 in der Zeit ohne Impfstoff und auch danach erfolgreich eindämmen. Konkret bedeutet es für jetzt und die Zukunft: Ausbau und nachhaltige Professionalisierung der Sprachmittlung im Gesundheitswesen, Bereitstellung von Gesundheitsinformationen in verständlicher Sprache in allen Einwanderersprachen, Schulung von Multiplikatoren und engere Zusammenarbeit mit mehrsprachigen Communities sowie die gezielte Mobilisierung von mehrsprachigem Gesundheitspersonal.
Gibt es konkrete Beispiele einer „Multilingual Health Literacy“, die Sie aus Ihrer Perspektive als Forscherin für gelungen oder vielversprechend halten?
Erfreulicherweise wurden in den letzten Wochen viele wichtige Maßnahmen zur Verbesserung der „Multilingual Health Literacy“ auch seitens der Bundesregierung und der nationalen und internationalen Medien umgesetzt. Beispielsweise wurden fundierte Gesundheitsinformationen zu COVID-19 in einige Einwanderersprachen übersetzt und medial breit gestreut. Ebenso wurden ehrenamtliche Dolmetscherdienste aktiv, um die Kommunikation zwischen Ärzten oder Patienten zu erleichtern. Auch die Selbstaktivierung der mehrsprachigen Communities ist spannend zu beobachten. Sie stellen über Websites übersetzte Gesundheitsinformationen vom RKI bereit oder aktivieren mehrsprachiges Gesundheitspersonal für Aufklärungskampagnen.
Sie haben selbst grade einen Wissenstransfer in Buchform organisiert, der aktueller nicht sein könnte…
Im Dezember 2019 haben meine Co-Autorin Hanh Nguyen-Schwanke vom Deutsch-Vietnamesischen Kinderbuchverlag HORAMI und ich in Zusammenarbeit mit einem ärztlichen Beirat u.a. bestehend aus Ärzten des UKSH Campus Lübeck, dem Gesundheitsamt Lübeck und der Charité Berlin den ersten deutsch-vietnamesischen Kindergesundheitsratgeber herausgebracht. Unser Ziel war es, zentrale Gesundheitsinformationen und -tipps sowie Hintergrundinformationen zum deutschen Gesundheitswesen verständlich auf Deutsch und Vietnamesisch aufzubereiten. Zudem sollten Arzt-Patienten-Kommunikationsbarrieren anhand von Abbildungen und Formulierungshilfen abgebaut werden. Es ist ein Pionierprojekt und wir hoffen, dass es viele weitere Menschen im Gesundheitssektor inspiriert und Projekte in anderen Sprachen nach sich zieht.
Danke für das Gespräch!