Mirjam Schülle
Assoziierte Promovendin
Anschrift
- Kurzvorstellung
Mirjam Schülle (M. Sc. Public Health) ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Humboldt-Universität zu Berlin, am Institut für Rehabilitationswissenschaften und promoviert ebenso an diesem. Sie ist assoziiertes Mitglied im Kooperativen Graduiertenkolleg „Vernachlässigte Themen der Flüchtlingsforschung“ an der Universität Hamburg und der HAW Hamburg.
- Kontakt
Mirjam.schuelle@hu-berlin.de
- Aktuelles Forschungsprojekt
Arbeitstitel: „Gesundheits- und Teilhabeleistungen für geflüchtete Menschen mit Beeinträchtigungen - Eine empirische Untersuchung zur Anwendung der Leistungsnormen in Sozialbehörden"
In dem Promotionsprojekt werden Voraussetzungen untersucht, unter welchen Gesundheits- und Teilhabeleistungen für geflüchtete Menschen mit Beeinträchtigungen nach den Leistungsnormen §§ 4 und 6 AsylbLG von Sozialbehörden gewährleistet werden. Unter Voraussetzungen sollen sowohl rechtliche, politische, behördenspezifische als auch arbeitssoziologische Aspekte miteinbezogen werden.
Die Promotion ist interdisziplinär ausgerichtete, thematisch an der Schnittstelle zwischen Gesundheits- bzw. Rehabilitations- und Migrationsforschung einzuordnen und methodisch in der Rechtsumsetzungs-, bzw. Versorgungsforschung anzusiedeln.
Die Schnittstelle von Behinderung, Migration und Flucht hat in den vergangenen Jahren sowohl bei den Akteuren der sozialen Praxis, der Politik als auch in der Wissenschaft etwas an Bewusstsein erlangt. In der sozialen Praxis ist die Notwendigkeit der Verschränkung der bisher vorwiegend voneinander getrennt agierenden Hilfesysteme von Asyl- und Migrationsfachdienste mit der Eingliederungshilfe durch die jüngste Zuwanderung deutlicher geworden. Der zweite Nationale Aktionsplan (NAT 2.0) zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) formuliert Partizipation von Menschen mit Behinderungen und Migrationshintergrund als Handlungsfeld. Auch im zweiten Teilhabebericht der Bundesregierung über die Lebenslagen von Menschen mit Beeinträchtigungen wurde ein Schwerpunktkapitel aufgegriffen, welches die Lebenslagen von beeinträchtigten Menschen mit Migrationshintergrund berücksichtigt. Aktuelle wissenschaftlichen Debatten um Inklusion, Diversität und Intersektionalität haben die Erforschung von Behinderung und Migration als Differenzkategorien aufgegriffen und erste empirische Untersuchungen zur Verwobenheit dieser Dimensionen wurden vorgelegt. (vgl. Westphal/Wansing 2019)
Zugang zu bedarfsgerechten Gesundheits- und Rehabilitationsleistungen sind eine wesentliche Voraussetzung zur gesellschaftlichen Teilhabe von geflüchtete Menschen mit Beeinträchtigungen. Allerdings liegen dazu kaum empirische Daten vor. Lediglich aus einzelnen Hinweisen aus Praxisprojekte ist bekannt, dass der Zugang und die Versorgungssituation für diese Personengruppe besonders erschwert sind (DIMR 2017, Schülle 2017).
In den medizinischen Erstuntersuchungen während des Aufenthalts in einer Erstaufnahmeeinrichtung (EAE) werden Beeinträchtigungen oder behinderungsspezifische Bedarfe i.d.R. nicht erfasst. Mit der Zuweisung geflüchteten Menschen in eine Kommune wird der Sicherstellungsauftrag zur Gesundheitsversorgung von den Bundesländern an die Kommune übergeben. Es ist demnach den Kommunen überlassen wie sie die Versorgung gestalten. Gängige Praxis ist zum einen, einen sog. Behandlungsschein auszustellen, zum anderen werden teilweise Gesundheitskarten in Kooperationen mit Krankenkassen vergeben. Vielfach offensichtlich notwendige Behandlungsscheine werden nicht genehmigt, wodurch das Behandlungsscheinverfahren im Leistungszugang und -umfang als nicht bedarfsgerecht kritisiert wird (stellv. Bozorgmehr/Razum 2015, Schülle 2017, 2019). In diesem Zusammenhang wird ebenso von strukturellen Zugangsbarrieren und einer unzulässigen Diskriminierung für die Betroffenen gesprochen (ebd.). In einigen Bundesländern ist deshalb das Gesundheitskartensystem vergleichbar zu GKV-Versicherten eingeführt worden (auf rechtlicher Grundlage des § 264 SGB V). Der Leistungszugang als auch der Leistungsumfang ist i.d.R. bedarfsgerecht und diskriminierungsfrei umgesetzt worden, da die Abläufe entsprechend des Regelversorgungssystems organisiert sind.
Aufgrund der unterschiedlichen Handhabung zur Anwendung der unbestimmten Rechtsbegriffe und dem Ausüben des Ermessens der Normen (§§ 4, 6 AsylbLG) innerhalb der Kommunen und Ländern (Hillmann 2017; Schülle 2017/2019) entsteht bundesweit eine extreme Ungleichheit in der gesundheitlichen Versorgung für geflüchtete Menschen.
Frau Schülle macht es sich zu ihrer wissenschaftlichen Aufgabe, etwas zur Erschließung dieser Forschungslücke, der Leistungsgewährung von §§ 4, 6 AsylbLG zu untersuchen. Sie führt mit Ihrer Arbeit eine explorative Studie durch, die anhand von problemzentrierten- und Fokusgruppeninterviews die Leistungsentscheidung strukturell von der Antragstellung bis zum Antragsentscheid analysiert. Ferner werden die Ergebnisse für die angewandte Rechtswissenschaft von Interesse sein, da grundsätzlich kaum Wissen zur Umsetzung von Ermessensnormen vorliegt. Darüber hinaus wird die Untersuchung von Schülle die kommunalen und länderspezifischen Unterschiede der Rechtspraxis aufzeigen, welche im Ergebnis für den Zugang und den Leistungsumfang für geflüchtet Menschen mit Beeinträchtigungen existieren, was die These der gesundheitlichen Ungleichheit dieser Personengruppe stärken könnte.
Erstbetreuung: Professorin Gudrun Wansing (Humboldt-Universität zu Berlin)
Zweitbetreuung: Professor Felix Welti (Universität Kassel)
Voraussichtlicher Abschluss: 2021
- Arbeits- und Forschungsschwerpunkte
Gesundheitliche und soziale Ungleichheit (health inequieties)
Zugang zum Sozial- und Gesundheitssystem für sozial benachteiligte Gruppen
Rechtslage, politische Diskussion und Entwicklung der medizinischen Versorgung nach Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG)
Zugang zur Gesundheitsversorgung und Sozialleistungen für Asylsuchende und Menschen ohne rechtlichen Aufenthaltsstatus
Gesundheitskarte (eGK) für geflüchtete Menschen
Gesundheitsversorgung und Teilhabeleistungen für geflüchtete Menschen mit Behinderungen (besondere Schutzbedürftigkeit)
Gesundheitsversorgung und medizinische Rehabilitation für Menschen mit Beeinträchtigungen
Versorgungsmodel Medizinischer Zentren für Menschen mit geistiger und mehrfacher Behinderungen (MZEB)
- Vita
Studium: 2009-2015 Gesundheitswissenschaften, Grundstudium: Hochschule Neubrandenburg (B. Sc. Health Science and Health Administrartion), Universität Bielefeld (M. Sc. Public Health)
Abschluss 2015: Gesundheitswissenschaften, Master of Science Public Health
2015: Wissenschaftliche Mitarbeiterin Universität Bielefeld, AG 7 Umwelt & Gesundheit
2016-2017: Wissenschaftliche Mitarbeiterin Universität Kassel, im Projekt „Partizipatives Monitoring der aktuellen Entwicklungen des Rehabilitations- und Teilhaberechts“
Seit 2017: wissenschaftliche Mitarbeiterin der Humboldt-Universität zu Berlin, Institut für Rehabilitationswissenschaften, Abteilung Rehabilitationssoziologie
- Publikationen zum Promotionsprojekt
Schülle, Mirjam; Frankenstein, Arne (2019): Europa- und Verfassungsrechtliche Anforderungen an die Auslegung von § 6 Abs. 1 AsylbLG in Hinblick auf Leistungen für geflüchtete Menschen mit Behinderungen. In: Recht und Praxis der Rehabilitation (1), S. 20-27.
Schülle, Mirjam (2018): Medizinische Versorgung behinderter Menschen, die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten – juristische und praktische Barrieren der Barrierefreiheit. In: Wansing, Gudrun; Westphal, Manuela (Hg.) (2018): Migration, Flucht und Behinderung: Herausforderungen für Politik, Bildung und psychosoziale Dienste. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften.
Schülle, Mirjam (2017): Geflüchtete Menschen mit Behinderungen – Versorgungslage, Zugang zum Hilfesystem und Unterbringung. In: Recht und Praxis der Rehabilitation (3), S. 21-29.
Schülle, Mirjam (2016): Ausschluss von Eingliederungsleistungen für Asylsuchende durch das Bundesteilhabegesetz – Überblick der Diskussion mit Ausblick für die Umsetzung. Beitrag D53-2016 unter www.reha-recht.de; 25.11.2016.
Schülle, Mirjam; Jacobs, Marleen; Neef, Rainer; Bergmeyer, Vera (2016): Die Gesundheitskarte für Geflüchtete. In: Gesundheit braucht Politik: Zeitschrift für eine soziale Medizin (3), S. 21-23.